der Kunst; denn in diesem Reigen, der die Bewegung der Kunst selbst ist, sind sie durch schönste Neigung und Liebe sinnlich und geistig so wundervoll fest und lebenbe¬ dingend in einander verschlungen, daß jede einzelne, aus dem Reigen losgelöst, leben- und bewegungslos nur ein künstlich angehauchtes, erborgtes Leben noch fortführen kann, nicht -- wie im Dreiverein -- selige Gesetze gebend, sondern zwangvolle Regeln für mechanische Bewegung empfangend.
Beim Anschauen dieses entzückenden Reigens der ächtesten, adeligsten Musen, des künstlerischen Menschen, gewahren wir jetzt die drei, eine mit der andern liebevoll Arm in Arm bis an den Nacken verschlungen; dann bald diese bald jene einzelne, wie um den anderen ihre schöne Gestalt in voller Selbstständigkeit zu zeigen, sich aus der Verschlingung lösend, nur noch mit der äußersten Hand¬ spitze die Hände der anderen berührend; jetzt die eine, vom Hinblick auf die Doppelgestalt ihrer festumschlungenen beiden Schwestern entzückt, ihr sich neigend; dann zwei, vom Reize der einen gerissen, huldigungsvoll sie grüßend, -- um endlich Alle, fest umschlungen, Brust an Brust, Glied an Glied, in brünstigem Liebeskusse zu einer einzi¬ gen, wonniglebendigen Gestalt zu verwachsen. -- Das ist das Lieben und Leben, Freuen und Freien der Kunst, der Einen, immer sie selber, und immer andere, überreich sich scheidenden und überselig sich vereinigenden.
der Kunſt; denn in dieſem Reigen, der die Bewegung der Kunſt ſelbſt iſt, ſind ſie durch ſchönſte Neigung und Liebe ſinnlich und geiſtig ſo wundervoll feſt und lebenbe¬ dingend in einander verſchlungen, daß jede einzelne, aus dem Reigen losgelöſt, leben- und bewegungslos nur ein künſtlich angehauchtes, erborgtes Leben noch fortführen kann, nicht — wie im Dreiverein — ſelige Geſetze gebend, ſondern zwangvolle Regeln für mechaniſche Bewegung empfangend.
Beim Anſchauen dieſes entzückenden Reigens der ächteſten, adeligſten Muſen, des künſtleriſchen Menſchen, gewahren wir jetzt die drei, eine mit der andern liebevoll Arm in Arm bis an den Nacken verſchlungen; dann bald dieſe bald jene einzelne, wie um den anderen ihre ſchöne Geſtalt in voller Selbſtſtändigkeit zu zeigen, ſich aus der Verſchlingung löſend, nur noch mit der äußerſten Hand¬ ſpitze die Hände der anderen berührend; jetzt die eine, vom Hinblick auf die Doppelgeſtalt ihrer feſtumſchlungenen beiden Schweſtern entzückt, ihr ſich neigend; dann zwei, vom Reize der einen geriſſen, huldigungsvoll ſie grüßend, — um endlich Alle, feſt umſchlungen, Bruſt an Bruſt, Glied an Glied, in brünſtigem Liebeskuſſe zu einer einzi¬ gen, wonniglebendigen Geſtalt zu verwachſen. — Das iſt das Lieben und Leben, Freuen und Freien der Kunſt, der Einen, immer ſie ſelber, und immer andere, überreich ſich ſcheidenden und überſelig ſich vereinigenden.
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der Kunſt; denn in dieſem Reigen, der die Bewegung der
Kunſt ſelbſt iſt, ſind ſie durch ſchönſte Neigung und Liebe
ſinnlich und geiſtig ſo wundervoll feſt und lebenbe¬
dingend in einander verſchlungen, daß jede einzelne, aus
dem Reigen losgelöſt, leben- und bewegungslos nur ein
künſtlich angehauchtes, erborgtes Leben noch fortführen kann,
nicht — wie im Dreiverein — ſelige Geſetze gebend, ſondern
zwangvolle Regeln für mechaniſche Bewegung empfangend.
Beim Anſchauen dieſes entzückenden Reigens der
ächteſten, adeligſten Muſen, des künſtleriſchen Menſchen,
gewahren wir jetzt die drei, eine mit der andern liebevoll
Arm in Arm bis an den Nacken verſchlungen; dann bald
dieſe bald jene einzelne, wie um den anderen ihre ſchöne
Geſtalt in voller Selbſtſtändigkeit zu zeigen, ſich aus der
Verſchlingung löſend, nur noch mit der äußerſten Hand¬
ſpitze die Hände der anderen berührend; jetzt die eine, vom
Hinblick auf die Doppelgeſtalt ihrer feſtumſchlungenen
beiden Schweſtern entzückt, ihr ſich neigend; dann zwei,
vom Reize der einen geriſſen, huldigungsvoll ſie grüßend,
— um endlich Alle, feſt umſchlungen, Bruſt an Bruſt,
Glied an Glied, in brünſtigem Liebeskuſſe zu einer einzi¬
gen, wonniglebendigen Geſtalt zu verwachſen. — Das iſt das
Lieben und Leben, Freuen und Freien der Kunſt, der
Einen, immer ſie ſelber, und immer andere, überreich ſich
ſcheidenden und überſelig ſich vereinigenden.
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/60>, abgerufen am 22.07.2024.
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