vorhanden ist: was aber nicht aus einem wirklichen Be¬ dürfnisse hervorgeht, ist willkürlich, unbedingt, tyrannisch. Die Mode ist deshalb die unerhörteste, wahnsinnigste Tyrannei, die je aus der Verkehrtheit des menschlichen Wesens hervorgegangen ist: sie fordert von der Natur ab¬ soluten Gehorsam; sie gebietet dem wirklichen Bedürfnisse vollkommenste Selbstverleugnung zu Gunsten eines einge¬ bildeten; sie zwingt den natürlichen Schönheitssinn des Menschen zur Anbetung des Häßlichen; sie tödtet seine Gesundheit, um ihm Gefallen an der Krankheit beizu¬ bringen; sie zerbricht seine Stärke und Kraft, um ihn an seiner Schwäche Behagen finden zu lassen. Wo die lächer¬ lichste Mode herrscht, da muß die Natur als das Lächer¬ lichste anerkannt werden; wo die verbrecherischeste Unnatur herrscht, da muß die Aeußerung der Natur als das höchste Verbrechen erscheinen; wo die Verrücktheit die Stelle der Wahrheit einnimmt, da muß die Wahrheit als Verrückte eingesperrt werden.
Das Wesen der Mode ist die absoluteste Einförmig¬ keit, wie ihr Gott ein egoistischer, geschlechtsloser, zeugungs¬ unfähiger ist; ihre Thätigkeit ist daher willkürliche Verän¬ derung, unnöthiger Wechsel, unruhiges, verwirrtes Stre¬ ben nach Gegensatz zu ihrem Wesen, eben dem der absolu¬ ten Einförmigkeit. Ihre Macht ist die Macht der Gewohn¬ heit. Die Gewohnheit aber ist der unüberwindliche
vorhanden iſt: was aber nicht aus einem wirklichen Be¬ dürfniſſe hervorgeht, iſt willkürlich, unbedingt, tyranniſch. Die Mode iſt deshalb die unerhörteſte, wahnſinnigſte Tyrannei, die je aus der Verkehrtheit des menſchlichen Weſens hervorgegangen iſt: ſie fordert von der Natur ab¬ ſoluten Gehorſam; ſie gebietet dem wirklichen Bedürfniſſe vollkommenſte Selbſtverleugnung zu Gunſten eines einge¬ bildeten; ſie zwingt den natürlichen Schönheitsſinn des Menſchen zur Anbetung des Häßlichen; ſie tödtet ſeine Geſundheit, um ihm Gefallen an der Krankheit beizu¬ bringen; ſie zerbricht ſeine Stärke und Kraft, um ihn an ſeiner Schwäche Behagen finden zu laſſen. Wo die lächer¬ lichſte Mode herrſcht, da muß die Natur als das Lächer¬ lichſte anerkannt werden; wo die verbrecheriſcheſte Unnatur herrſcht, da muß die Aeußerung der Natur als das höchſte Verbrechen erſcheinen; wo die Verrücktheit die Stelle der Wahrheit einnimmt, da muß die Wahrheit als Verrückte eingeſperrt werden.
Das Weſen der Mode iſt die abſoluteſte Einförmig¬ keit, wie ihr Gott ein egoiſtiſcher, geſchlechtsloſer, zeugungs¬ unfähiger iſt; ihre Thätigkeit iſt daher willkürliche Verän¬ derung, unnöthiger Wechſel, unruhiges, verwirrtes Stre¬ ben nach Gegenſatz zu ihrem Weſen, eben dem der abſolu¬ ten Einförmigkeit. Ihre Macht iſt die Macht der Gewohn¬ heit. Die Gewohnheit aber iſt der unüberwindliche
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vorhanden iſt: was aber nicht aus einem wirklichen Be¬
dürfniſſe hervorgeht, iſt willkürlich, unbedingt, tyranniſch.
Die Mode iſt deshalb die unerhörteſte, wahnſinnigſte
Tyrannei, die je aus der Verkehrtheit des menſchlichen
Weſens hervorgegangen iſt: ſie fordert von der Natur ab¬
ſoluten Gehorſam; ſie gebietet dem wirklichen Bedürfniſſe
vollkommenſte Selbſtverleugnung zu Gunſten eines einge¬
bildeten; ſie zwingt den natürlichen Schönheitsſinn des
Menſchen zur Anbetung des Häßlichen; ſie tödtet ſeine
Geſundheit, um ihm Gefallen an der Krankheit beizu¬
bringen; ſie zerbricht ſeine Stärke und Kraft, um ihn an
ſeiner Schwäche Behagen finden zu laſſen. Wo die lächer¬
lichſte Mode herrſcht, da muß die Natur als das Lächer¬
lichſte anerkannt werden; wo die verbrecheriſcheſte Unnatur
herrſcht, da muß die Aeußerung der Natur als das höchſte
Verbrechen erſcheinen; wo die Verrücktheit die Stelle der
Wahrheit einnimmt, da muß die Wahrheit als Verrückte
eingeſperrt werden.
Das Weſen der Mode iſt die abſoluteſte Einförmig¬
keit, wie ihr Gott ein egoiſtiſcher, geſchlechtsloſer, zeugungs¬
unfähiger iſt; ihre Thätigkeit iſt daher willkürliche Verän¬
derung, unnöthiger Wechſel, unruhiges, verwirrtes Stre¬
ben nach Gegenſatz zu ihrem Weſen, eben dem der abſolu¬
ten Einförmigkeit. Ihre Macht iſt die Macht der Gewohn¬
heit. Die Gewohnheit aber iſt der unüberwindliche
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/42>, abgerufen am 22.07.2024.
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