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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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Erlösung durch allgemeinstes Verständniß aufzugehen ha¬
ben, so fragt es sich nun, welche die Lebensbedingungen
sein müssen, die dieses Kunstwerk und diese Erlösung als
nothwendig hervorrufen können. Wird es die verständ¬
nißbedürftige und nach Verständniß ringende moderne
Kunst für sich, aus eigenem Ermessen und Vorausbedacht,
nach willkürlicher Wahl der Mittel und mit überlegter Fest¬
setzung des Modus der als nothwendig erkannten Vereini¬
gung, vermögen? Wird sie eine constitutionelle Charte
octroyiren können, um zur Verständigung mit der soge¬
nannten Unbildung des Volkes zu gelangen? und wenn sie
es über sich bringt, wird diese Verständigung durch diese
Constitution wirklich ermöglicht werden? Kann die Kultur¬
kunst von ihrem abstracten Standpunkte aus in das Leben
dringen, oder -- muß nicht vielmehr das Leben in die
Kunst
dringen? das Leben aus sich heraus die ihm allein
entsprechende Kunst erzeugen, in ihr aufgehen, --
statt daß die Kunst (wohlverstanden: die Kulturkunst,
die außerhalb des Lebens entstandene) aus sich das Leben
erzeuge
und in ihm aufgehe?

Versichern wir uns zuerst darüber, wen wir uns un¬
ter dem Schöpfer des Kunstwerkes der Zukunft zu denken
haben, um von ihm aus auf die Lebensbedingungen zu
schließen, die ihn und sein Kunstwerk entstehen lassen
können.

Erlöſung durch allgemeinſtes Verſtändniß aufzugehen ha¬
ben, ſo fragt es ſich nun, welche die Lebensbedingungen
ſein müſſen, die dieſes Kunſtwerk und dieſe Erlöſung als
nothwendig hervorrufen können. Wird es die verſtänd¬
nißbedürftige und nach Verſtändniß ringende moderne
Kunſt für ſich, aus eigenem Ermeſſen und Vorausbedacht,
nach willkürlicher Wahl der Mittel und mit überlegter Feſt¬
ſetzung des Modus der als nothwendig erkannten Vereini¬
gung, vermögen? Wird ſie eine conſtitutionelle Charte
octroyiren können, um zur Verſtändigung mit der ſoge¬
nannten Unbildung des Volkes zu gelangen? und wenn ſie
es über ſich bringt, wird dieſe Verſtändigung durch dieſe
Conſtitution wirklich ermöglicht werden? Kann die Kultur¬
kunſt von ihrem abſtracten Standpunkte aus in das Leben
dringen, oder — muß nicht vielmehr das Leben in die
Kunſt
dringen? das Leben aus ſich heraus die ihm allein
entſprechende Kunſt erzeugen, in ihr aufgehen, —
ſtatt daß die Kunſt (wohlverſtanden: die Kulturkunſt,
die außerhalb des Lebens entſtandene) aus ſich das Leben
erzeuge
und in ihm aufgehe?

Verſichern wir uns zuerſt darüber, wen wir uns un¬
ter dem Schöpfer des Kunſtwerkes der Zukunft zu denken
haben, um von ihm aus auf die Lebensbedingungen zu
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[205/0221] Erlöſung durch allgemeinſtes Verſtändniß aufzugehen ha¬ ben, ſo fragt es ſich nun, welche die Lebensbedingungen ſein müſſen, die dieſes Kunſtwerk und dieſe Erlöſung als nothwendig hervorrufen können. Wird es die verſtänd¬ nißbedürftige und nach Verſtändniß ringende moderne Kunſt für ſich, aus eigenem Ermeſſen und Vorausbedacht, nach willkürlicher Wahl der Mittel und mit überlegter Feſt¬ ſetzung des Modus der als nothwendig erkannten Vereini¬ gung, vermögen? Wird ſie eine conſtitutionelle Charte octroyiren können, um zur Verſtändigung mit der ſoge¬ nannten Unbildung des Volkes zu gelangen? und wenn ſie es über ſich bringt, wird dieſe Verſtändigung durch dieſe Conſtitution wirklich ermöglicht werden? Kann die Kultur¬ kunſt von ihrem abſtracten Standpunkte aus in das Leben dringen, oder — muß nicht vielmehr das Leben in die Kunſt dringen? das Leben aus ſich heraus die ihm allein entſprechende Kunſt erzeugen, in ihr aufgehen, — ſtatt daß die Kunſt (wohlverſtanden: die Kulturkunſt, die außerhalb des Lebens entſtandene) aus ſich das Leben erzeuge und in ihm aufgehe? Verſichern wir uns zuerſt darüber, wen wir uns un¬ ter dem Schöpfer des Kunſtwerkes der Zukunft zu denken haben, um von ihm aus auf die Lebensbedingungen zu ſchließen, die ihn und ſein Kunſtwerk entſtehen laſſen können.

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/221>, abgerufen am 04.05.2024.