Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

malerei; denn hier findet es unerschöpflichen Gegenstand
und durch ihn unerschöpfliches Vermögen, während er nach
anderen Richtungen hin als Darsteller der Natur nur mit
willkürlichem Sichten, Sondern und Wählen verfahren kann,
um unsrem durchaus unkünstlerischen Leben irgend kunst¬
würdige Gegenstände abzugewinnen. Je mehr die soge¬
nannte Historienmalerei durch Dichten und Deuten den
schönen wahren Menschen und das schöne wahre Leben
aus den, der Gegenwart entlegensten Erinnerungen uns
vorzuführen sich bemüht, je mehr sie, bei dem ungeheuren
Aufwande von Vermittelungen hierbei, die zwangvoll auf
ihr lastende Aufgabe bekennt, mehr und etwas anderes
sein zu müssen als dem Wesen einer Kunstart zu
sein gebührt, -- desto mehr hat auch sie sich nach
einer Erlösung zu sehnen, die, wie die einzig noth¬
wendige der Bildhauerei, eigentlich nur in ihrem Auf¬
gehen darin ausgesprochen sein könnte, woher sie
ursprünglich die Kraft zum künstlerischen Leben ge¬
wonnen hatte, und dieß war eben das lebendige mensch¬
liche Kunstwerk selbst, dessen Erstehen aus dem Leben die
Bedingungen vollkommen aufheben müßte, die ihr Dasein
und Gedeihen als selbstständige Kunstart nothwendig machen
konnten. Ein gesundes, nothwendiges Leben vermag die
menschendarstellende Malerkunst unmöglich da zu füh¬
ren, wo, ohne Pinsel und Leinwand, im lebendigsten künst¬

malerei; denn hier findet es unerſchöpflichen Gegenſtand
und durch ihn unerſchöpfliches Vermögen, während er nach
anderen Richtungen hin als Darſteller der Natur nur mit
willkürlichem Sichten, Sondern und Wählen verfahren kann,
um unſrem durchaus unkünſtleriſchen Leben irgend kunſt¬
würdige Gegenſtände abzugewinnen. Je mehr die ſoge¬
nannte Hiſtorienmalerei durch Dichten und Deuten den
ſchönen wahren Menſchen und das ſchöne wahre Leben
aus den, der Gegenwart entlegenſten Erinnerungen uns
vorzuführen ſich bemüht, je mehr ſie, bei dem ungeheuren
Aufwande von Vermittelungen hierbei, die zwangvoll auf
ihr laſtende Aufgabe bekennt, mehr und etwas anderes
ſein zu müſſen als dem Weſen einer Kunſtart zu
ſein gebührt, — deſto mehr hat auch ſie ſich nach
einer Erlöſung zu ſehnen, die, wie die einzig noth¬
wendige der Bildhauerei, eigentlich nur in ihrem Auf¬
gehen darin ausgeſprochen ſein könnte, woher ſie
urſprünglich die Kraft zum künſtleriſchen Leben ge¬
wonnen hatte, und dieß war eben das lebendige menſch¬
liche Kunſtwerk ſelbſt, deſſen Erſtehen aus dem Leben die
Bedingungen vollkommen aufheben müßte, die ihr Daſein
und Gedeihen als ſelbſtſtändige Kunſtart nothwendig machen
konnten. Ein geſundes, nothwendiges Leben vermag die
menſchendarſtellende Malerkunſt unmöglich da zu füh¬
ren, wo, ohne Pinſel und Leinwand, im lebendigſten künſt¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="181"/>
malerei; denn hier findet es uner&#x017F;chöpflichen Gegen&#x017F;tand<lb/>
und durch ihn uner&#x017F;chöpfliches Vermögen, während er nach<lb/>
anderen Richtungen hin als Dar&#x017F;teller der Natur nur mit<lb/>
willkürlichem Sichten, Sondern und Wählen verfahren kann,<lb/>
um un&#x017F;rem durchaus unkün&#x017F;tleri&#x017F;chen Leben irgend kun&#x017F;<lb/>
würdige Gegen&#x017F;tände abzugewinnen. Je mehr die &#x017F;oge¬<lb/>
nannte Hi&#x017F;torienmalerei durch Dichten und Deuten den<lb/>
&#x017F;chönen wahren Men&#x017F;chen und das &#x017F;chöne wahre Leben<lb/>
aus den, der Gegenwart entlegen&#x017F;ten Erinnerungen uns<lb/>
vorzuführen &#x017F;ich bemüht, je mehr &#x017F;ie, bei dem ungeheuren<lb/>
Aufwande von Vermittelungen hierbei, die zwangvoll auf<lb/>
ihr la&#x017F;tende Aufgabe bekennt, <hi rendition="#g">mehr</hi> und etwas <hi rendition="#g">anderes</hi><lb/>
&#x017F;ein zu mü&#x017F;&#x017F;en als dem We&#x017F;en einer Kun&#x017F;tart zu<lb/>
&#x017F;ein gebührt, &#x2014; de&#x017F;to mehr hat auch &#x017F;ie &#x017F;ich nach<lb/>
einer Erlö&#x017F;ung zu &#x017F;ehnen, die, wie die einzig noth¬<lb/>
wendige der Bildhauerei, eigentlich nur in ihrem Auf¬<lb/>
gehen <hi rendition="#g">darin</hi> ausge&#x017F;prochen &#x017F;ein könnte, woher &#x017F;ie<lb/>
ur&#x017F;prünglich die Kraft zum kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Leben ge¬<lb/>
wonnen hatte, und dieß war eben das lebendige men&#x017F;ch¬<lb/>
liche Kun&#x017F;twerk &#x017F;elb&#x017F;t, de&#x017F;&#x017F;en Er&#x017F;tehen aus dem Leben die<lb/>
Bedingungen vollkommen aufheben müßte, die ihr Da&#x017F;ein<lb/>
und Gedeihen als &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Kun&#x017F;tart nothwendig machen<lb/>
konnten. Ein ge&#x017F;undes, nothwendiges Leben vermag die<lb/><hi rendition="#g">men&#x017F;chendar&#x017F;tellende</hi> Malerkun&#x017F;t unmöglich da zu füh¬<lb/>
ren, wo, ohne Pin&#x017F;el und Leinwand, im lebendig&#x017F;ten kün&#x017F;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0197] malerei; denn hier findet es unerſchöpflichen Gegenſtand und durch ihn unerſchöpfliches Vermögen, während er nach anderen Richtungen hin als Darſteller der Natur nur mit willkürlichem Sichten, Sondern und Wählen verfahren kann, um unſrem durchaus unkünſtleriſchen Leben irgend kunſt¬ würdige Gegenſtände abzugewinnen. Je mehr die ſoge¬ nannte Hiſtorienmalerei durch Dichten und Deuten den ſchönen wahren Menſchen und das ſchöne wahre Leben aus den, der Gegenwart entlegenſten Erinnerungen uns vorzuführen ſich bemüht, je mehr ſie, bei dem ungeheuren Aufwande von Vermittelungen hierbei, die zwangvoll auf ihr laſtende Aufgabe bekennt, mehr und etwas anderes ſein zu müſſen als dem Weſen einer Kunſtart zu ſein gebührt, — deſto mehr hat auch ſie ſich nach einer Erlöſung zu ſehnen, die, wie die einzig noth¬ wendige der Bildhauerei, eigentlich nur in ihrem Auf¬ gehen darin ausgeſprochen ſein könnte, woher ſie urſprünglich die Kraft zum künſtleriſchen Leben ge¬ wonnen hatte, und dieß war eben das lebendige menſch¬ liche Kunſtwerk ſelbſt, deſſen Erſtehen aus dem Leben die Bedingungen vollkommen aufheben müßte, die ihr Daſein und Gedeihen als ſelbſtſtändige Kunſtart nothwendig machen konnten. Ein geſundes, nothwendiges Leben vermag die menſchendarſtellende Malerkunſt unmöglich da zu füh¬ ren, wo, ohne Pinſel und Leinwand, im lebendigſten künſt¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/197
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/197>, abgerufen am 05.05.2024.