früherer, aus Schönheitsbedürfniß producirender Zeiten, stellt die Einzelheiten dieser Werke nach luxuriösem Belie¬ ben zusammen, verbindet -- aus unruhigem Verlangen nach Abwechselung -- alle nationalen Baustyle der Welt zu unzusammenhängenden, scheckigen Gestaltungen, kurz -- sie verfährt nach der Willkür der Mode, deren frivole Ge¬ setze sie zu den ihrigen machen muß, eben weil sie nirgends aus innerer, schöner Nothwendigkeit zu gestalten hat.
Die Baukunst hat in so fern alle demüthigenden Schicksale der getrennten, rein menschlichen Kunstarten an sich mit zu erleben, als sie nur durch das Bedürfniß des, sich selbst als schön kundgebenden oder nach dieser Kund¬ gebung verlangenden Menschen zu wahrhaft schöpferischem Gestalten veranlaßt werden kann. Genau mit dem Ver¬ blühen der griechischen Tragödie begann auch ihr Fall, trat nämlich die Schwächung ihrer eigenthümlichen Pro¬ ductionskraft ein; und die üppigsten Monumente, die sie zur Verherrlichung des kolossalen Egoismus der späteren Zeiten, ja selbst desjenigen des christlicher Glaubens, auf¬ richten mußte, erscheinen gegen die erhabene Einfalt und die tiefsinnige Bedeutsamkeit griechischer Gebäude zur Zeit der Blüthe der Tragödie wie geile Auswüchse üppiger nächtlicher Träume gegen die heiteren Geburten des strah¬ lenden, alldurchdringenden Tageslichtes.
Nur mit der Erlösung der egoistisch getrennten rein¬
früherer, aus Schönheitsbedürfniß producirender Zeiten, ſtellt die Einzelheiten dieſer Werke nach luxuriöſem Belie¬ ben zuſammen, verbindet — aus unruhigem Verlangen nach Abwechſelung — alle nationalen Bauſtyle der Welt zu unzuſammenhängenden, ſcheckigen Geſtaltungen, kurz — ſie verfährt nach der Willkür der Mode, deren frivole Ge¬ ſetze ſie zu den ihrigen machen muß, eben weil ſie nirgends aus innerer, ſchöner Nothwendigkeit zu geſtalten hat.
Die Baukunſt hat in ſo fern alle demüthigenden Schickſale der getrennten, rein menſchlichen Kunſtarten an ſich mit zu erleben, als ſie nur durch das Bedürfniß des, ſich ſelbſt als ſchön kundgebenden oder nach dieſer Kund¬ gebung verlangenden Menſchen zu wahrhaft ſchöpferiſchem Geſtalten veranlaßt werden kann. Genau mit dem Ver¬ blühen der griechiſchen Tragödie begann auch ihr Fall, trat nämlich die Schwächung ihrer eigenthümlichen Pro¬ ductionskraft ein; und die üppigſten Monumente, die ſie zur Verherrlichung des koloſſalen Egoismus der ſpäteren Zeiten, ja ſelbſt desjenigen des chriſtlicher Glaubens, auf¬ richten mußte, erſcheinen gegen die erhabene Einfalt und die tiefſinnige Bedeutſamkeit griechiſcher Gebäude zur Zeit der Blüthe der Tragödie wie geile Auswüchſe üppiger nächtlicher Träume gegen die heiteren Geburten des ſtrah¬ lenden, alldurchdringenden Tageslichtes.
Nur mit der Erlöſung der egoiſtiſch getrennten rein¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0166"n="150"/>
früherer, aus Schönheitsbedürfniß producirender Zeiten,<lb/><hirendition="#g">ſtellt</hi> die Einzelheiten dieſer Werke nach luxuriöſem Belie¬<lb/>
ben <hirendition="#g">zuſammen</hi>, verbindet — aus unruhigem Verlangen<lb/>
nach Abwechſelung — alle nationalen Bauſtyle der Welt<lb/>
zu unzuſammenhängenden, ſcheckigen Geſtaltungen, kurz —<lb/>ſie verfährt nach der Willkür der Mode, deren frivole Ge¬<lb/>ſetze ſie zu den ihrigen machen muß, eben weil ſie nirgends<lb/>
aus innerer, ſchöner Nothwendigkeit zu geſtalten hat.</p><lb/><p>Die Baukunſt hat in ſo fern alle demüthigenden<lb/>
Schickſale der getrennten, rein menſchlichen Kunſtarten an<lb/>ſich mit zu erleben, als ſie nur durch das Bedürfniß des,<lb/>ſich ſelbſt als ſchön kundgebenden oder nach dieſer Kund¬<lb/>
gebung verlangenden Menſchen zu wahrhaft ſchöpferiſchem<lb/>
Geſtalten veranlaßt werden kann. Genau mit dem Ver¬<lb/>
blühen der griechiſchen Tragödie begann auch <hirendition="#g">ihr</hi> Fall,<lb/>
trat nämlich die Schwächung ihrer eigenthümlichen Pro¬<lb/>
ductionskraft ein; und die üppigſten Monumente, die ſie zur<lb/>
Verherrlichung des koloſſalen Egoismus der ſpäteren<lb/>
Zeiten, ja ſelbſt desjenigen des chriſtlicher Glaubens, auf¬<lb/>
richten mußte, erſcheinen gegen die erhabene Einfalt und<lb/>
die tiefſinnige Bedeutſamkeit griechiſcher Gebäude zur Zeit<lb/>
der Blüthe der Tragödie wie geile Auswüchſe üppiger<lb/>
nächtlicher Träume gegen die heiteren Geburten des ſtrah¬<lb/>
lenden, alldurchdringenden Tageslichtes.</p><lb/><p>Nur mit der Erlöſung der egoiſtiſch getrennten rein¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[150/0166]
früherer, aus Schönheitsbedürfniß producirender Zeiten,
ſtellt die Einzelheiten dieſer Werke nach luxuriöſem Belie¬
ben zuſammen, verbindet — aus unruhigem Verlangen
nach Abwechſelung — alle nationalen Bauſtyle der Welt
zu unzuſammenhängenden, ſcheckigen Geſtaltungen, kurz —
ſie verfährt nach der Willkür der Mode, deren frivole Ge¬
ſetze ſie zu den ihrigen machen muß, eben weil ſie nirgends
aus innerer, ſchöner Nothwendigkeit zu geſtalten hat.
Die Baukunſt hat in ſo fern alle demüthigenden
Schickſale der getrennten, rein menſchlichen Kunſtarten an
ſich mit zu erleben, als ſie nur durch das Bedürfniß des,
ſich ſelbſt als ſchön kundgebenden oder nach dieſer Kund¬
gebung verlangenden Menſchen zu wahrhaft ſchöpferiſchem
Geſtalten veranlaßt werden kann. Genau mit dem Ver¬
blühen der griechiſchen Tragödie begann auch ihr Fall,
trat nämlich die Schwächung ihrer eigenthümlichen Pro¬
ductionskraft ein; und die üppigſten Monumente, die ſie zur
Verherrlichung des koloſſalen Egoismus der ſpäteren
Zeiten, ja ſelbſt desjenigen des chriſtlicher Glaubens, auf¬
richten mußte, erſcheinen gegen die erhabene Einfalt und
die tiefſinnige Bedeutſamkeit griechiſcher Gebäude zur Zeit
der Blüthe der Tragödie wie geile Auswüchſe üppiger
nächtlicher Träume gegen die heiteren Geburten des ſtrah¬
lenden, alldurchdringenden Tageslichtes.
Nur mit der Erlöſung der egoiſtiſch getrennten rein¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/166>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.