Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

in einer kühnsten That ausgesprochen, so haben Tondichter,
wie Gluck und Mozart nicht minder durch herrliche,
liebereiche Thaten diese Freude kundgegeben, mit der der
Liebende in seinen Gegenstand sich versenkt, um aufzuhören,
er selbst zu sein, zum Lohn dafür aber unendlich mehr zu
werden. Da, wo das von vorn herein nur für egoistische
Kundgebung der einzelnen Künste zugerichtete Bauwerk der
Oper nur irgend die Bedingungen in sich aufzeigte, die das
volle Aufgehen der Musik in die Dichtkunst ermöglichen,
haben diese Meister die Erlösung ihrer Kunst zum gemein¬
samen Kunstwerke vollbracht. Der unabwendbare schädliche
Einfluß herrschender schlechter Zustände erklärt uns aber
die große Vereinzelung jener schönen Thaten, sowie die
Vereinzelung der Tondichter selbst, die sie vollbrachten;
was unter gewissen glücklichen, doch aber fast nur zu¬
fälligen Umständen dem Einzelnen möglich war, giebt der
Masse der Erscheinungen noch lange kein Gesetz: in dieser
erkennen wir aber nur das zersplitterte egoistische Walten
der Willkür, das ja das Verfahren aller bloßen Nachahmung
ist, weil sie nicht aus sich selbst schafft. Gluck und Mo¬
zart
, sowie die sehr wenigen von ihnen verwandten Ton¬
dichter*), dienen uns auf dem öden, nächtlichen Meere der

*) Unter diesen ist aber namentlich der Meister der französischen
Schule aus dem Anfange dieses Jahrhunderts zu gedenken.

in einer kühnſten That ausgeſprochen, ſo haben Tondichter,
wie Gluck und Mozart nicht minder durch herrliche,
liebereiche Thaten dieſe Freude kundgegeben, mit der der
Liebende in ſeinen Gegenſtand ſich verſenkt, um aufzuhören,
er ſelbſt zu ſein, zum Lohn dafür aber unendlich mehr zu
werden. Da, wo das von vorn herein nur für egoiſtiſche
Kundgebung der einzelnen Künſte zugerichtete Bauwerk der
Oper nur irgend die Bedingungen in ſich aufzeigte, die das
volle Aufgehen der Muſik in die Dichtkunſt ermöglichen,
haben dieſe Meiſter die Erlöſung ihrer Kunſt zum gemein¬
ſamen Kunſtwerke vollbracht. Der unabwendbare ſchädliche
Einfluß herrſchender ſchlechter Zuſtände erklärt uns aber
die große Vereinzelung jener ſchönen Thaten, ſowie die
Vereinzelung der Tondichter ſelbſt, die ſie vollbrachten;
was unter gewiſſen glücklichen, doch aber faſt nur zu¬
fälligen Umſtänden dem Einzelnen möglich war, giebt der
Maſſe der Erſcheinungen noch lange kein Geſetz: in dieſer
erkennen wir aber nur das zerſplitterte egoiſtiſche Walten
der Willkür, das ja das Verfahren aller bloßen Nachahmung
iſt, weil ſie nicht aus ſich ſelbſt ſchafft. Gluck und Mo¬
zart
, ſowie die ſehr wenigen von ihnen verwandten Ton¬
dichter*), dienen uns auf dem öden, nächtlichen Meere der

*) Unter dieſen iſt aber namentlich der Meiſter der franzöſiſchen
Schule aus dem Anfange dieſes Jahrhunderts zu gedenken.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="137"/>
in einer kühn&#x017F;ten That ausge&#x017F;prochen, &#x017F;o haben Tondichter,<lb/>
wie <hi rendition="#g">Gluck</hi> und <hi rendition="#g">Mozart</hi> nicht minder durch herrliche,<lb/>
liebereiche Thaten die&#x017F;e Freude kundgegeben, mit der der<lb/>
Liebende in &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand &#x017F;ich ver&#x017F;enkt, um aufzuhören,<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ein, zum Lohn dafür aber unendlich mehr zu<lb/>
werden. Da, wo das von vorn herein nur für egoi&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Kundgebung der einzelnen Kün&#x017F;te zugerichtete Bauwerk der<lb/>
Oper nur irgend die Bedingungen in &#x017F;ich aufzeigte, die das<lb/>
volle Aufgehen der Mu&#x017F;ik in die Dichtkun&#x017F;t ermöglichen,<lb/>
haben die&#x017F;e Mei&#x017F;ter die Erlö&#x017F;ung ihrer Kun&#x017F;t zum gemein¬<lb/>
&#x017F;amen Kun&#x017F;twerke vollbracht. Der unabwendbare &#x017F;chädliche<lb/>
Einfluß herr&#x017F;chender &#x017F;chlechter Zu&#x017F;tände erklärt uns aber<lb/>
die große Vereinzelung jener &#x017F;chönen Thaten, &#x017F;owie die<lb/>
Vereinzelung der Tondichter &#x017F;elb&#x017F;t, die &#x017F;ie vollbrachten;<lb/>
was unter gewi&#x017F;&#x017F;en glücklichen, doch aber fa&#x017F;t nur zu¬<lb/>
fälligen Um&#x017F;tänden dem Einzelnen möglich war, giebt der<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e der Er&#x017F;cheinungen noch lange kein Ge&#x017F;etz: in die&#x017F;er<lb/>
erkennen wir aber nur das zer&#x017F;plitterte egoi&#x017F;ti&#x017F;che Walten<lb/>
der Willkür, das ja das Verfahren aller bloßen Nachahmung<lb/>
i&#x017F;t, weil &#x017F;ie nicht aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chafft. <hi rendition="#g">Gluck</hi> und <hi rendition="#g">Mo¬<lb/>
zart</hi>, &#x017F;owie die &#x017F;ehr wenigen von ihnen verwandten Ton¬<lb/>
dichter<note place="foot" n="*)"><lb/>
Unter die&#x017F;en i&#x017F;t aber namentlich der Mei&#x017F;ter der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Schule aus dem Anfange die&#x017F;es Jahrhunderts zu gedenken.</note>, dienen uns auf dem öden, nächtlichen Meere der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0153] in einer kühnſten That ausgeſprochen, ſo haben Tondichter, wie Gluck und Mozart nicht minder durch herrliche, liebereiche Thaten dieſe Freude kundgegeben, mit der der Liebende in ſeinen Gegenſtand ſich verſenkt, um aufzuhören, er ſelbſt zu ſein, zum Lohn dafür aber unendlich mehr zu werden. Da, wo das von vorn herein nur für egoiſtiſche Kundgebung der einzelnen Künſte zugerichtete Bauwerk der Oper nur irgend die Bedingungen in ſich aufzeigte, die das volle Aufgehen der Muſik in die Dichtkunſt ermöglichen, haben dieſe Meiſter die Erlöſung ihrer Kunſt zum gemein¬ ſamen Kunſtwerke vollbracht. Der unabwendbare ſchädliche Einfluß herrſchender ſchlechter Zuſtände erklärt uns aber die große Vereinzelung jener ſchönen Thaten, ſowie die Vereinzelung der Tondichter ſelbſt, die ſie vollbrachten; was unter gewiſſen glücklichen, doch aber faſt nur zu¬ fälligen Umſtänden dem Einzelnen möglich war, giebt der Maſſe der Erſcheinungen noch lange kein Geſetz: in dieſer erkennen wir aber nur das zerſplitterte egoiſtiſche Walten der Willkür, das ja das Verfahren aller bloßen Nachahmung iſt, weil ſie nicht aus ſich ſelbſt ſchafft. Gluck und Mo¬ zart, ſowie die ſehr wenigen von ihnen verwandten Ton¬ dichter *), dienen uns auf dem öden, nächtlichen Meere der *) Unter dieſen iſt aber namentlich der Meiſter der franzöſiſchen Schule aus dem Anfange dieſes Jahrhunderts zu gedenken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/153
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/153>, abgerufen am 05.05.2024.