Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

als es der Musik erlaubt die unbedingte Hauptsache, die
einzig tonangebende Kunstart im Drama zu sein. Wo die
Dichtkunst für sich das Alleinige sein wollte, wie im reci¬
tirten Schauspiele, da nahm sie die Musik in ihren Dienst
zu Nebenzwecken, zu ihrer Bequemlichkeit, wie z. B. zur
Unterhaltung der Zuschauer in den Zwischenakten, oder
auch zur Steigerung der Wirkung gewisser stummer Hand¬
lungen, wie eines behutsamen Spitzbubeneinbruches und
dergleichen mehr. Nicht minder geschah dieß von der
Tanzkunst, wenn sie stolz zu Rosse saß und von der Musik
ganz ergebenst den Steigbügel sich halten ließ. Gerade
so machte es nun die Tonkunst im Oratorium mit der
Dichtkunst: sie ließ sich von ihr eben nur die Steine zu
Haufen tragen, aus denen sie nach Belieben ihr Gebäude
aufführen konnte. Zur unverschämtesten Aeußerung ihres
immer anschwellenden Hochmuthes bestimmte sich die
Musik aber endlich in der Oper. Hier nahm sie den
Tribut der Dichtkunst bis auf den letzten Heller in An¬
spruch: die Poesie sollte ihr nicht mehr nur Verse machen,
nicht mehr wie im Oratorium, menschliche Charaktere und
dramatische Zusammenhänge nur andeuten um ihr Anhalt
zur Ausbreitung zu geben, -- sondern sie sollte ihr gan¬
zes Wesen, Alles was sie irgend vermochte, vollständige
Charaktere und complicirte dramatische Handlungen, kurz
das ganze gedichtete Drama selbst ihr zu Füßen legen,

als es der Muſik erlaubt die unbedingte Hauptſache, die
einzig tonangebende Kunſtart im Drama zu ſein. Wo die
Dichtkunſt für ſich das Alleinige ſein wollte, wie im reci¬
tirten Schauſpiele, da nahm ſie die Muſik in ihren Dienſt
zu Nebenzwecken, zu ihrer Bequemlichkeit, wie z. B. zur
Unterhaltung der Zuſchauer in den Zwiſchenakten, oder
auch zur Steigerung der Wirkung gewiſſer ſtummer Hand¬
lungen, wie eines behutſamen Spitzbubeneinbruches und
dergleichen mehr. Nicht minder geſchah dieß von der
Tanzkunſt, wenn ſie ſtolz zu Roſſe ſaß und von der Muſik
ganz ergebenſt den Steigbügel ſich halten ließ. Gerade
ſo machte es nun die Tonkunſt im Oratorium mit der
Dichtkunſt: ſie ließ ſich von ihr eben nur die Steine zu
Haufen tragen, aus denen ſie nach Belieben ihr Gebäude
aufführen konnte. Zur unverſchämteſten Aeußerung ihres
immer anſchwellenden Hochmuthes beſtimmte ſich die
Muſik aber endlich in der Oper. Hier nahm ſie den
Tribut der Dichtkunſt bis auf den letzten Heller in An¬
ſpruch: die Poeſie ſollte ihr nicht mehr nur Verſe machen,
nicht mehr wie im Oratorium, menſchliche Charaktere und
dramatiſche Zuſammenhänge nur andeuten um ihr Anhalt
zur Ausbreitung zu geben, — ſondern ſie ſollte ihr gan¬
zes Weſen, Alles was ſie irgend vermochte, vollſtändige
Charaktere und complicirte dramatiſche Handlungen, kurz
das ganze gedichtete Drama ſelbſt ihr zu Füßen legen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="133"/>
als es <hi rendition="#g">der Mu&#x017F;ik</hi> erlaubt die unbedingte Haupt&#x017F;ache, die<lb/>
einzig tonangebende Kun&#x017F;tart im Drama zu &#x017F;ein. Wo die<lb/>
Dichtkun&#x017F;t für &#x017F;ich das Alleinige &#x017F;ein wollte, wie im reci¬<lb/>
tirten Schau&#x017F;piele, da nahm &#x017F;ie die Mu&#x017F;ik in ihren Dien&#x017F;t<lb/>
zu Nebenzwecken, zu ihrer Bequemlichkeit, wie z. B. zur<lb/>
Unterhaltung der Zu&#x017F;chauer in den Zwi&#x017F;chenakten, oder<lb/>
auch zur Steigerung der Wirkung gewi&#x017F;&#x017F;er &#x017F;tummer Hand¬<lb/>
lungen, wie eines behut&#x017F;amen Spitzbubeneinbruches und<lb/>
dergleichen mehr. Nicht minder ge&#x017F;chah dieß von der<lb/>
Tanzkun&#x017F;t, wenn &#x017F;ie &#x017F;tolz zu Ro&#x017F;&#x017F;e &#x017F;aß und von der Mu&#x017F;ik<lb/>
ganz ergeben&#x017F;t den Steigbügel &#x017F;ich halten ließ. Gerade<lb/>
&#x017F;o machte es nun die Tonkun&#x017F;t im Oratorium mit der<lb/>
Dichtkun&#x017F;t: &#x017F;ie ließ &#x017F;ich von ihr eben nur die Steine zu<lb/>
Haufen tragen, aus denen &#x017F;ie nach Belieben ihr Gebäude<lb/>
aufführen konnte. Zur unver&#x017F;chämte&#x017F;ten Aeußerung ihres<lb/>
immer an&#x017F;chwellenden Hochmuthes be&#x017F;timmte &#x017F;ich die<lb/>
Mu&#x017F;ik aber endlich in der <hi rendition="#g">Oper</hi>. Hier nahm &#x017F;ie den<lb/>
Tribut der Dichtkun&#x017F;t bis auf den letzten Heller in An¬<lb/>
&#x017F;pruch: die Poe&#x017F;ie &#x017F;ollte ihr nicht mehr nur Ver&#x017F;e machen,<lb/>
nicht mehr wie im Oratorium, men&#x017F;chliche Charaktere und<lb/>
dramati&#x017F;che Zu&#x017F;ammenhänge nur andeuten um ihr Anhalt<lb/>
zur Ausbreitung zu geben, &#x2014; &#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;ollte ihr gan¬<lb/>
zes We&#x017F;en, Alles was &#x017F;ie irgend vermochte, voll&#x017F;tändige<lb/>
Charaktere und complicirte dramati&#x017F;che Handlungen, kurz<lb/>
das ganze gedichtete Drama &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">ihr zu Füßen legen</hi>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0149] als es der Muſik erlaubt die unbedingte Hauptſache, die einzig tonangebende Kunſtart im Drama zu ſein. Wo die Dichtkunſt für ſich das Alleinige ſein wollte, wie im reci¬ tirten Schauſpiele, da nahm ſie die Muſik in ihren Dienſt zu Nebenzwecken, zu ihrer Bequemlichkeit, wie z. B. zur Unterhaltung der Zuſchauer in den Zwiſchenakten, oder auch zur Steigerung der Wirkung gewiſſer ſtummer Hand¬ lungen, wie eines behutſamen Spitzbubeneinbruches und dergleichen mehr. Nicht minder geſchah dieß von der Tanzkunſt, wenn ſie ſtolz zu Roſſe ſaß und von der Muſik ganz ergebenſt den Steigbügel ſich halten ließ. Gerade ſo machte es nun die Tonkunſt im Oratorium mit der Dichtkunſt: ſie ließ ſich von ihr eben nur die Steine zu Haufen tragen, aus denen ſie nach Belieben ihr Gebäude aufführen konnte. Zur unverſchämteſten Aeußerung ihres immer anſchwellenden Hochmuthes beſtimmte ſich die Muſik aber endlich in der Oper. Hier nahm ſie den Tribut der Dichtkunſt bis auf den letzten Heller in An¬ ſpruch: die Poeſie ſollte ihr nicht mehr nur Verſe machen, nicht mehr wie im Oratorium, menſchliche Charaktere und dramatiſche Zuſammenhänge nur andeuten um ihr Anhalt zur Ausbreitung zu geben, — ſondern ſie ſollte ihr gan¬ zes Weſen, Alles was ſie irgend vermochte, vollſtändige Charaktere und complicirte dramatiſche Handlungen, kurz das ganze gedichtete Drama ſelbſt ihr zu Füßen legen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/149
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/149>, abgerufen am 08.05.2024.