Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

Dichter, der den künstlerischen Lebensdrang beherrschen,
nicht mehr nur aussprechen, wollte, die zu dienenden
Sklaven erniedrigten Organe der dramatischen Kunst.
Wie der Virtuos die Tasten des Klavieres auf und nie¬
derdrückt, so wollte der Dichter nun das künstlich anein¬
andergefügte Schauspielerpersonal wie ein hölzernes
Instrument spielen, aus dem man gerade nur seine
specielle Kunstfertigkeit hören, aus dem man nur ihn,
den spielenden Virtuosen, wahrnehmen sollte. Dem ehr¬
gierigen Egoisten erwiderten die Tasten des Instrumentes
auf ihre Weise: je bravourwüthiger er darauf loshäm¬
merte, desto mehr stockten und klapperten sie.

Göthe zählte einst nur vier Wochen reinen Glückes
aus seinem überreichen Leben zusammen: die unseligsten
Jahre seines Lebens erwähnt er nicht besonders; wir kennen
sie aber: -- es waren die, in denen er jenes stockende und
verstimmte Instrument sich zu seinem Gebrauche herrichten
wollte. Ihn, den Gewaltigen, verlangte es, aus der laut¬
losen Einöde kunstliterarischen Schaffens sich in das leben¬
dig, klangvolle Kunstwerk zu erlösen. Wessen Auge war
sicherer und umfassender im Erkennen des Lebens, als das
seinige? Was er ersehen, geschildert, und beschrieben, das
wollte er nun auf jenem Instrumente zu Gehör bringen.
O Himmel! wie entstellt, wie unkennbar klangen ihm seine
in dichterische Musik gebrachten, Anschauungen entgegen!

Dichter, der den künſtleriſchen Lebensdrang beherrſchen,
nicht mehr nur ausſprechen, wollte, die zu dienenden
Sklaven erniedrigten Organe der dramatiſchen Kunſt.
Wie der Virtuos die Taſten des Klavieres auf und nie¬
derdrückt, ſo wollte der Dichter nun das künſtlich anein¬
andergefügte Schauſpielerperſonal wie ein hölzernes
Inſtrument ſpielen, aus dem man gerade nur ſeine
ſpecielle Kunſtfertigkeit hören, aus dem man nur ihn,
den ſpielenden Virtuoſen, wahrnehmen ſollte. Dem ehr¬
gierigen Egoiſten erwiderten die Taſten des Inſtrumentes
auf ihre Weiſe: je bravourwüthiger er darauf loshäm¬
merte, deſto mehr ſtockten und klapperten ſie.

Göthe zählte einſt nur vier Wochen reinen Glückes
aus ſeinem überreichen Leben zuſammen: die unſeligſten
Jahre ſeines Lebens erwähnt er nicht beſonders; wir kennen
ſie aber: — es waren die, in denen er jenes ſtockende und
verſtimmte Inſtrument ſich zu ſeinem Gebrauche herrichten
wollte. Ihn, den Gewaltigen, verlangte es, aus der laut¬
loſen Einöde kunſtliterariſchen Schaffens ſich in das leben¬
dig, klangvolle Kunſtwerk zu erlöſen. Weſſen Auge war
ſicherer und umfaſſender im Erkennen des Lebens, als das
ſeinige? Was er erſehen, geſchildert, und beſchrieben, das
wollte er nun auf jenem Inſtrumente zu Gehör bringen.
O Himmel! wie entſtellt, wie unkennbar klangen ihm ſeine
in dichteriſche Muſik gebrachten, Anſchauungen entgegen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="118"/>
Dichter, der den kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Lebensdrang <hi rendition="#g">beherr&#x017F;chen</hi>,<lb/>
nicht mehr nur <hi rendition="#g">aus&#x017F;prechen</hi>, wollte, die zu dienenden<lb/>
Sklaven erniedrigten Organe der dramati&#x017F;chen Kun&#x017F;t.<lb/>
Wie der Virtuos die Ta&#x017F;ten des Klavieres auf und nie¬<lb/>
derdrückt, &#x017F;o wollte der Dichter nun das kün&#x017F;tlich anein¬<lb/>
andergefügte Schau&#x017F;pielerper&#x017F;onal wie ein hölzernes<lb/>
In&#x017F;trument &#x017F;pielen, aus dem man gerade nur &#x017F;eine<lb/>
&#x017F;pecielle Kun&#x017F;tfertigkeit hören, aus dem man nur <hi rendition="#g">ihn</hi>,<lb/>
den &#x017F;pielenden Virtuo&#x017F;en, wahrnehmen &#x017F;ollte. Dem ehr¬<lb/>
gierigen Egoi&#x017F;ten erwiderten die Ta&#x017F;ten des In&#x017F;trumentes<lb/>
auf <hi rendition="#g">ihre</hi> Wei&#x017F;e: je bravourwüthiger er darauf loshäm¬<lb/>
merte, de&#x017F;to mehr &#x017F;tockten und klapperten &#x017F;ie.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Göthe</hi> zählte ein&#x017F;t nur vier Wochen reinen Glückes<lb/>
aus &#x017F;einem überreichen Leben zu&#x017F;ammen: die un&#x017F;elig&#x017F;ten<lb/>
Jahre &#x017F;eines Lebens erwähnt er nicht be&#x017F;onders; wir kennen<lb/>
&#x017F;ie aber: &#x2014; es waren die, in denen er jenes &#x017F;tockende und<lb/>
ver&#x017F;timmte In&#x017F;trument &#x017F;ich zu &#x017F;einem Gebrauche herrichten<lb/>
wollte. Ihn, den Gewaltigen, verlangte es, aus der laut¬<lb/>
lo&#x017F;en Einöde kun&#x017F;tliterari&#x017F;chen Schaffens &#x017F;ich in das leben¬<lb/>
dig, klangvolle Kun&#x017F;twerk zu erlö&#x017F;en. We&#x017F;&#x017F;en Auge war<lb/>
&#x017F;icherer und umfa&#x017F;&#x017F;ender im Erkennen des Lebens, als das<lb/>
&#x017F;einige? Was er er&#x017F;ehen, ge&#x017F;childert, und be&#x017F;chrieben, das<lb/>
wollte er nun auf jenem In&#x017F;trumente zu Gehör bringen.<lb/>
O Himmel! wie ent&#x017F;tellt, wie unkennbar klangen ihm &#x017F;eine<lb/>
in dichteri&#x017F;che Mu&#x017F;ik gebrachten, An&#x017F;chauungen entgegen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0134] Dichter, der den künſtleriſchen Lebensdrang beherrſchen, nicht mehr nur ausſprechen, wollte, die zu dienenden Sklaven erniedrigten Organe der dramatiſchen Kunſt. Wie der Virtuos die Taſten des Klavieres auf und nie¬ derdrückt, ſo wollte der Dichter nun das künſtlich anein¬ andergefügte Schauſpielerperſonal wie ein hölzernes Inſtrument ſpielen, aus dem man gerade nur ſeine ſpecielle Kunſtfertigkeit hören, aus dem man nur ihn, den ſpielenden Virtuoſen, wahrnehmen ſollte. Dem ehr¬ gierigen Egoiſten erwiderten die Taſten des Inſtrumentes auf ihre Weiſe: je bravourwüthiger er darauf loshäm¬ merte, deſto mehr ſtockten und klapperten ſie. Göthe zählte einſt nur vier Wochen reinen Glückes aus ſeinem überreichen Leben zuſammen: die unſeligſten Jahre ſeines Lebens erwähnt er nicht beſonders; wir kennen ſie aber: — es waren die, in denen er jenes ſtockende und verſtimmte Inſtrument ſich zu ſeinem Gebrauche herrichten wollte. Ihn, den Gewaltigen, verlangte es, aus der laut¬ loſen Einöde kunſtliterariſchen Schaffens ſich in das leben¬ dig, klangvolle Kunſtwerk zu erlöſen. Weſſen Auge war ſicherer und umfaſſender im Erkennen des Lebens, als das ſeinige? Was er erſehen, geſchildert, und beſchrieben, das wollte er nun auf jenem Inſtrumente zu Gehör bringen. O Himmel! wie entſtellt, wie unkennbar klangen ihm ſeine in dichteriſche Muſik gebrachten, Anſchauungen entgegen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/134
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/134>, abgerufen am 26.11.2024.