dem Auge mit; die Dichterweise ward zur Schreibart -- zum Schreibestyl der Geisteshauch des Dichters.
Da saß sie nun, die einsame grämliche Schwester, hinter der qualmenden Lampe im düstren Zimmer, -- ein weiblicher Faust, der über Staub und Mottenfraß hinweg aus dem unbefriedigenden Weben und Kreuzen der Gedanken, aus der ewigen Marter der Vorstellung und Einbildung, in das wirkliche Leben hinaus sich sehnte, um mit Fleisch und Bein, niet- und nagelfest, unter wirklichen Menschen als wirklicher Mensch zu gehen und zu stehen. Ach! ihr Fleisch und Bein hatte die arme Schwester in übergedankenvoller Gedankenlosigkeit von sich fahren lassen: was ihr nun fehlte, der körperlosen Seele, konnte sie jetzt immer nur beschreiben, wie sie es von ihrem trüben Zimmer aus, durch das Fenster des Denkens, in der lieben weiten Sinnenwelt leben und sich bewegen sah; von dem Geliebten ihrer Jugend konnte sie ewig nur schildern: "so sah er aus, so gebahrten seine Glieder, so blitzte sein Auge, so tönte seiner Stimme Klang!" Aber all dieß Schildern und Beschreiben, so wohlgefällig sie es auch selbst zur Kunst erheben wollte, so erfindungsreich sie sich auch bemühte, es in Sprach- und Schriftformen zu er¬ setzendem künstlerischem Troste sich zu gestalten, -- es war doch immer nur ein eitel überflüssiges Bemühen, die Stillung eines Bedürfnisses, das nur aus einem, willkür¬
dem Auge mit; die Dichterweiſe ward zur Schreibart — zum Schreibeſtyl der Geiſteshauch des Dichters.
Da ſaß ſie nun, die einſame grämliche Schweſter, hinter der qualmenden Lampe im düſtren Zimmer, — ein weiblicher Fauſt, der über Staub und Mottenfraß hinweg aus dem unbefriedigenden Weben und Kreuzen der Gedanken, aus der ewigen Marter der Vorſtellung und Einbildung, in das wirkliche Leben hinaus ſich ſehnte, um mit Fleiſch und Bein, niet- und nagelfeſt, unter wirklichen Menſchen als wirklicher Menſch zu gehen und zu ſtehen. Ach! ihr Fleiſch und Bein hatte die arme Schweſter in übergedankenvoller Gedankenloſigkeit von ſich fahren laſſen: was ihr nun fehlte, der körperloſen Seele, konnte ſie jetzt immer nur beſchreiben, wie ſie es von ihrem trüben Zimmer aus, durch das Fenſter des Denkens, in der lieben weiten Sinnenwelt leben und ſich bewegen ſah; von dem Geliebten ihrer Jugend konnte ſie ewig nur ſchildern: „ſo ſah er aus, ſo gebahrten ſeine Glieder, ſo blitzte ſein Auge, ſo tönte ſeiner Stimme Klang!“ Aber all dieß Schildern und Beſchreiben, ſo wohlgefällig ſie es auch ſelbſt zur Kunſt erheben wollte, ſo erfindungsreich ſie ſich auch bemühte, es in Sprach- und Schriftformen zu er¬ ſetzendem künſtleriſchem Troſte ſich zu geſtalten, — es war doch immer nur ein eitel überflüſſiges Bemühen, die Stillung eines Bedürfniſſes, das nur aus einem, willkür¬
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dem Auge mit; die Dichterweiſe ward zur Schreibart
— zum Schreibeſtyl der Geiſteshauch des Dichters.
Da ſaß ſie nun, die einſame grämliche Schweſter,
hinter der qualmenden Lampe im düſtren Zimmer, —
ein weiblicher Fauſt, der über Staub und Mottenfraß
hinweg aus dem unbefriedigenden Weben und Kreuzen der
Gedanken, aus der ewigen Marter der Vorſtellung und
Einbildung, in das wirkliche Leben hinaus ſich ſehnte, um
mit Fleiſch und Bein, niet- und nagelfeſt, unter wirklichen
Menſchen als wirklicher Menſch zu gehen und zu ſtehen.
Ach! ihr Fleiſch und Bein hatte die arme Schweſter in
übergedankenvoller Gedankenloſigkeit von ſich fahren laſſen:
was ihr nun fehlte, der körperloſen Seele, konnte ſie jetzt
immer nur beſchreiben, wie ſie es von ihrem trüben
Zimmer aus, durch das Fenſter des Denkens, in der lieben
weiten Sinnenwelt leben und ſich bewegen ſah; von dem
Geliebten ihrer Jugend konnte ſie ewig nur ſchildern:
„ſo ſah er aus, ſo gebahrten ſeine Glieder, ſo blitzte ſein
Auge, ſo tönte ſeiner Stimme Klang!“ Aber all dieß
Schildern und Beſchreiben, ſo wohlgefällig ſie es auch
ſelbſt zur Kunſt erheben wollte, ſo erfindungsreich ſie ſich
auch bemühte, es in Sprach- und Schriftformen zu er¬
ſetzendem künſtleriſchem Troſte ſich zu geſtalten, — es war
doch immer nur ein eitel überflüſſiges Bemühen, die
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/126>, abgerufen am 22.07.2024.
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