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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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gingen durch die Manier in die Mode über, und trotz
dem kein Instrumentalcomponist selbst in diesen Formen
nur noch die mindeste Erfindungsfähigkeit kundzugeben
vermochte, verlor doch keiner den Muth, fort und fort
Symphonieen und ähnliche Stücke zu schreiben, ohne im
Mindesten auf den Gedanken zu gerathen, daß die letzte
Symphonie bereits geschrieben sei. *)So haben wir
denn auch erleben müssen daß die große Weltentdeckungs¬

*) Wer eigends die Geschichte der Instrumentalmusik seit
Beethoven zu schreiben sich vorgenommen hat, wird ohne Zweifel von
einzelnen Erscheinungen in dieser Periode zu berichten haben, die eine
besondere und fesselnde Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ganz gewiß
im Stande sind. Wer die Geschichte der Künste von einem so weit¬
sichtigen Standpunkte aus betrachtet, als es hier nothwendig ist,
hat einzig an die entscheidenden Hauptmomente in ihr sich zu
halten; er muß unbeachtet lassen, was von diesen Momenten ab¬
liegt oder von ihnen sich nur ableitet. Je unverkennbarer aber in
solchen einzelnen Erscheinungen große Fähigkeit sich kund giebt,
desto schlagender beweisen, bei der Unfruchtbarkeit ihres ganzen
Kunsttreibens überhaupt, gerade sie, daß in ihrer besonderen
Kunstart, wohl in Bezug auf technisches Verfahren, nicht aber auf
den lebendigen Geist etwas zu entdecken übrig geblieben ist, wenn
einmal das in ihr ausgesprochen wurde, was Beethoven in der
Musik aussprach. In dem großen allgemeinsamen Kunstwerke der
Zukunft wird ewig neu zu erfinden sein, nicht aber in der einzelnen
Kunstart, sobald diese -- wie die Musik durch Beethoven -- be¬
reits zur Allgemeinsamkeit hingeleitet ist, und dennoch in ihrem
einsamen Fortbilden verharrt.

gingen durch die Manier in die Mode über, und trotz
dem kein Inſtrumentalcomponiſt ſelbſt in dieſen Formen
nur noch die mindeſte Erfindungsfähigkeit kundzugeben
vermochte, verlor doch keiner den Muth, fort und fort
Symphonieen und ähnliche Stücke zu ſchreiben, ohne im
Mindeſten auf den Gedanken zu gerathen, daß die letzte
Symphonie bereits geſchrieben ſei. *)So haben wir
denn auch erleben müſſen daß die große Weltentdeckungs¬

*) Wer eigends die Geſchichte der Inſtrumentalmuſik ſeit
Beethoven zu ſchreiben ſich vorgenommen hat, wird ohne Zweifel von
einzelnen Erſcheinungen in dieſer Periode zu berichten haben, die eine
beſondere und feſſelnde Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen ganz gewiß
im Stande ſind. Wer die Geſchichte der Künſte von einem ſo weit¬
ſichtigen Standpunkte aus betrachtet, als es hier nothwendig iſt,
hat einzig an die entſcheidenden Hauptmomente in ihr ſich zu
halten; er muß unbeachtet laſſen, was von dieſen Momenten ab¬
liegt oder von ihnen ſich nur ableitet. Je unverkennbarer aber in
ſolchen einzelnen Erſcheinungen große Fähigkeit ſich kund giebt,
deſto ſchlagender beweiſen, bei der Unfruchtbarkeit ihres ganzen
Kunſttreibens überhaupt, gerade ſie, daß in ihrer beſonderen
Kunſtart, wohl in Bezug auf techniſches Verfahren, nicht aber auf
den lebendigen Geiſt etwas zu entdecken übrig geblieben iſt, wenn
einmal das in ihr ausgeſprochen wurde, was Beethoven in der
Muſik ausſprach. In dem großen allgemeinſamen Kunſtwerke der
Zukunft wird ewig neu zu erfinden ſein, nicht aber in der einzelnen
Kunſtart, ſobald dieſe — wie die Muſik durch Beethoven — be¬
reits zur Allgemeinſamkeit hingeleitet iſt, und dennoch in ihrem
einſamen Fortbilden verharrt.
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[96/0112] gingen durch die Manier in die Mode über, und trotz dem kein Inſtrumentalcomponiſt ſelbſt in dieſen Formen nur noch die mindeſte Erfindungsfähigkeit kundzugeben vermochte, verlor doch keiner den Muth, fort und fort Symphonieen und ähnliche Stücke zu ſchreiben, ohne im Mindeſten auf den Gedanken zu gerathen, daß die letzte Symphonie bereits geſchrieben ſei. *)So haben wir denn auch erleben müſſen daß die große Weltentdeckungs¬ *) Wer eigends die Geſchichte der Inſtrumentalmuſik ſeit Beethoven zu ſchreiben ſich vorgenommen hat, wird ohne Zweifel von einzelnen Erſcheinungen in dieſer Periode zu berichten haben, die eine beſondere und feſſelnde Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen ganz gewiß im Stande ſind. Wer die Geſchichte der Künſte von einem ſo weit¬ ſichtigen Standpunkte aus betrachtet, als es hier nothwendig iſt, hat einzig an die entſcheidenden Hauptmomente in ihr ſich zu halten; er muß unbeachtet laſſen, was von dieſen Momenten ab¬ liegt oder von ihnen ſich nur ableitet. Je unverkennbarer aber in ſolchen einzelnen Erſcheinungen große Fähigkeit ſich kund giebt, deſto ſchlagender beweiſen, bei der Unfruchtbarkeit ihres ganzen Kunſttreibens überhaupt, gerade ſie, daß in ihrer beſonderen Kunſtart, wohl in Bezug auf techniſches Verfahren, nicht aber auf den lebendigen Geiſt etwas zu entdecken übrig geblieben iſt, wenn einmal das in ihr ausgeſprochen wurde, was Beethoven in der Muſik ausſprach. In dem großen allgemeinſamen Kunſtwerke der Zukunft wird ewig neu zu erfinden ſein, nicht aber in der einzelnen Kunſtart, ſobald dieſe — wie die Muſik durch Beethoven — be¬ reits zur Allgemeinſamkeit hingeleitet iſt, und dennoch in ihrem einſamen Fortbilden verharrt.

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/112>, abgerufen am 25.11.2024.