pwa_028.001 Ist nun auf diese Weise das Schöne entweder unter friedfertigem pwa_028.002 Zusammenwirken oder unter einem Conflict der dabei thätigen Seelenkräfte pwa_028.003 angeschaut, so bedarf es, um das Werk zu vollenden, nur noch pwa_028.004 des Schrittes von innen nach aussen, von der Anschauung zur Darstellung, pwa_028.005 zu der letzten Objectivierung in hörbar gestalteten Gedanken, pwa_028.006 in Worten.
pwa_028.007 Die Darstellung, die sinnlich wahrnehmbare Gestaltung des innerlich pwa_028.008 geistig Angeschauten, gehört, wie das schon früher ist ausgeführt pwa_028.009 worden, zum Wesen jeder Kunst. Nur haben die verschiedenen pwa_028.010 Künste verschiedene Mittel der Darstellung. Die bildenden Künste, pwa_028.011 Architectur, Sculptur, Malerei, fixieren ihre Anschauung für das Auge pwa_028.012 in unbelebten Stoffen; die Tanzkunst führt sie dem Auge vor in beweglicher pwa_028.013 Gestaltung des lebenden Leibes, die Musik dem Ohr in pwa_028.014 gleichfalls bewegten Tönen; die Poesie bedient sich des geistigsten pwa_028.015 Mittels, des unmittelbarsten Abdrucks und Ausdrucks innerer Anschauungen, pwa_028.016 des eigensten Eigenthums der Menschheit, der Sprache. pwa_028.017 Denn Formen wie die bildenden Künste, wie die Tanzkunst sie darstellen, pwa_028.018 Töne, wie sich die Musik ihrer bedient, finden sich auch ohne pwa_028.019 Zuthun des Menschen schon in der niederen Natur vor: nicht aber pwa_028.020 die Sprache, sie besteht nur durch den Menschen und mit ihm.
pwa_028.021 Aber wie die Gebärden des Tanzes, wie die Töne der Musik, pwa_028.022 so ist auch diese hörbare Gestaltung der Gedanken durchaus beweglicher pwa_028.023 Natur. Die Gedanken sind in beständiger Succession und Progression, pwa_028.024 einer fliesst aus dem andern, Welle auf Welle drängen sich, pwa_028.025 Grund und Folgerung, Behauptung und Beweis, Satz und Gegensatz. pwa_028.026 Ebenso ihr hörbares Bild, die Worte: so wie das eine vernommen pwa_028.027 ist, erklingt schon das andre, und dessen Eindruck wird wiederum pwa_028.028 durch ein drittes verwischt. Diese Beschaffenheit des Darstellungsmittels pwa_028.029 hat aber die wichtigste und folgenreichste Bedeutung nicht pwa_028.030 nur für die Darstellung, sondern natürlicher und nothwendiger Weise pwa_028.031 schon für die Anschauung, welche darzustellen ist; es ergeben sich pwa_028.032 daraus, wie für das Verfahren bei der Darstellung, so schon für die pwa_028.033 Beschaffenheit der poetischen Anschauung selbst wesentliche und unausweichliche pwa_028.034 Bedingungen. Was in so bewegter Gestalt erscheinen pwa_028.035 soll, muss in sich selber schon die Beweglichkeit tragen. Den Bildhauer, pwa_028.036 den Maler nöthigt die starre Unbeweglichkeit seines Stoffes pwa_028.037 auch zu ruhiger fixierter Anschauung: die Anschauungen des Dichters pwa_028.038 dagegen müssen bewegt, strömend, fortschreitend sein, müssen einen pwa_028.039 historischen causalen Verlauf haben wie sein Darstellungsmittel, wie pwa_028.040 die menschliche Rede. Der Maler, der Bildhauer stellt uns z. B. den pwa_028.041 gewappneten Helden auf einmal überschaubar hin, mit Einem Blick
pwa_028.001 Ist nun auf diese Weise das Schöne entweder unter friedfertigem pwa_028.002 Zusammenwirken oder unter einem Conflict der dabei thätigen Seelenkräfte pwa_028.003 angeschaut, so bedarf es, um das Werk zu vollenden, nur noch pwa_028.004 des Schrittes von innen nach aussen, von der Anschauung zur Darstellung, pwa_028.005 zu der letzten Objectivierung in hörbar gestalteten Gedanken, pwa_028.006 in Worten.
pwa_028.007 Die Darstellung, die sinnlich wahrnehmbare Gestaltung des innerlich pwa_028.008 geistig Angeschauten, gehört, wie das schon früher ist ausgeführt pwa_028.009 worden, zum Wesen jeder Kunst. Nur haben die verschiedenen pwa_028.010 Künste verschiedene Mittel der Darstellung. Die bildenden Künste, pwa_028.011 Architectur, Sculptur, Malerei, fixieren ihre Anschauung für das Auge pwa_028.012 in unbelebten Stoffen; die Tanzkunst führt sie dem Auge vor in beweglicher pwa_028.013 Gestaltung des lebenden Leibes, die Musik dem Ohr in pwa_028.014 gleichfalls bewegten Tönen; die Poesie bedient sich des geistigsten pwa_028.015 Mittels, des unmittelbarsten Abdrucks und Ausdrucks innerer Anschauungen, pwa_028.016 des eigensten Eigenthums der Menschheit, der Sprache. pwa_028.017 Denn Formen wie die bildenden Künste, wie die Tanzkunst sie darstellen, pwa_028.018 Töne, wie sich die Musik ihrer bedient, finden sich auch ohne pwa_028.019 Zuthun des Menschen schon in der niederen Natur vor: nicht aber pwa_028.020 die Sprache, sie besteht nur durch den Menschen und mit ihm.
pwa_028.021 Aber wie die Gebärden des Tanzes, wie die Töne der Musik, pwa_028.022 so ist auch diese hörbare Gestaltung der Gedanken durchaus beweglicher pwa_028.023 Natur. Die Gedanken sind in beständiger Succession und Progression, pwa_028.024 einer fliesst aus dem andern, Welle auf Welle drängen sich, pwa_028.025 Grund und Folgerung, Behauptung und Beweis, Satz und Gegensatz. pwa_028.026 Ebenso ihr hörbares Bild, die Worte: so wie das eine vernommen pwa_028.027 ist, erklingt schon das andre, und dessen Eindruck wird wiederum pwa_028.028 durch ein drittes verwischt. Diese Beschaffenheit des Darstellungsmittels pwa_028.029 hat aber die wichtigste und folgenreichste Bedeutung nicht pwa_028.030 nur für die Darstellung, sondern natürlicher und nothwendiger Weise pwa_028.031 schon für die Anschauung, welche darzustellen ist; es ergeben sich pwa_028.032 daraus, wie für das Verfahren bei der Darstellung, so schon für die pwa_028.033 Beschaffenheit der poetischen Anschauung selbst wesentliche und unausweichliche pwa_028.034 Bedingungen. Was in so bewegter Gestalt erscheinen pwa_028.035 soll, muss in sich selber schon die Beweglichkeit tragen. Den Bildhauer, pwa_028.036 den Maler nöthigt die starre Unbeweglichkeit seines Stoffes pwa_028.037 auch zu ruhiger fixierter Anschauung: die Anschauungen des Dichters pwa_028.038 dagegen müssen bewegt, strömend, fortschreitend sein, müssen einen pwa_028.039 historischen causalen Verlauf haben wie sein Darstellungsmittel, wie pwa_028.040 die menschliche Rede. Der Maler, der Bildhauer stellt uns z. B. den pwa_028.041 gewappneten Helden auf einmal überschaubar hin, mit Einem Blick
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Die Darstellung, die sinnlich wahrnehmbare Gestaltung des innerlich pwa_028.008
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Architectur, Sculptur, Malerei, fixieren ihre Anschauung für das Auge pwa_028.012
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die Sprache, sie besteht nur durch den Menschen und mit ihm.
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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