pwa_431.001 nicht minder verlangt. Aber zugleich waltet hier noch ein Rhythmus, pwa_431.002 der bis ins Einzelne hinein, bis auf die Silbe, ja bis auf den Buchstaben pwa_431.003 künstlerisch ausgebildet und fort- und durchgeführt wird, und pwa_431.004 dieser kann ein ganz anderer sein als der trochäische, ja demselben pwa_431.005 grade entgegengesetzt. Nehmen wir z. B. die Verse Schillers: "Wo pwa_431.006 rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten; pwa_431.007 Wenn sich die Völker selbst befrein, So kann die Wohlfahrt nicht pwa_431.008 gedeihn:" hier ist der Rhythmus der Periodenglieder trochäisch; die pwa_431.009 einzelnen Worte und Silben sind jambisch. Wie in diesem Beispiele, stellt pwa_431.010 sich dann dieser künstlerische Rhythmus der poetischen Rede überall pwa_431.011 auf die mannigfachste Weise ebenso in Gegensatz zu dem unkünstlerischen, pwa_431.012 natürlich gegebenen Rhythmus, der schon in der Prosa waltet, pwa_431.013 wie sich auch sonst die poetische Darstellung zu der gewöhnlichen pwa_431.014 und zunächst gegebenen in Gegensatz und Widerspruch stellt. Ein pwa_431.015 solcher Gegensatz des künstlerischen Rhythmus gegen den unkünstlerischen pwa_431.016 ist es, wenn man die Versfüsse in Widerspruch bringt mit pwa_431.017 den Wortfüssen, wodurch Cäsuren (Neben- und Hauptcäsuren) entstehn, pwa_431.018 wenn also z. B. in einem Hexameter nicht auch die einzelnen pwa_431.019 Worte und Wortfüsse für sich schon Dactylen und Spondeen sind, pwa_431.020 sondern die Versfüsse zwar Dactylen, die Wortfüsse aber etwa Anapäste. pwa_431.021 In dieser Beziehung ist folgender Vers von Klopstock: "Eile pwa_431.022 dahin, wo der Tod und das Grab und die Nacht dich erwarten," künstlerisch pwa_431.023 vollendeter, ist wohlklingender als folgender des Grafen von pwa_431.024 Platen (LB. 2, 1737, 31): "Saht hier Spanier, saht hier Britten und Gallier pwa_431.025 herschen." Hier fallen Wortfüsse und Versfüsse durchaus zusammen: pwa_431.026 der Rhythmus des Verses ist kein anderer, als der in den Worten pwa_431.027 selbst schon gegeben ist. Eben ein solcher Gegensatz ist es auch, pwa_431.028 wenn die poetische Rede überhaupt demjenigen Rhythmus ausweicht pwa_431.029 und ihn zu vermeiden sucht, welcher der Sprache sonst natürlich und pwa_431.030 ihr gleichsam angeboren ist. Der natürliche Grundrhythmus der deutschen pwa_431.031 Sprache ist eben der trochäische: darum gehören bei uns auch pwa_431.032 trochäische Verse zu den seltenern, und am häufigsten ist der jambische pwa_431.033 Rhythmus, der reine Gegensatz jenes natürlichen trochäischen. pwa_431.034 Umgekehrt ist der natürliche Rhythmus der romanischen Sprachen der pwa_431.035 jambische: die spanische Poesie, die ihre Formen am kunstmässigsten pwa_431.036 ausgebildet hat, enthält sich nun auch des jambischen Rhythmus fast pwa_431.037 gänzlich und kennt fast nur seinen Gegensatz, den trochäischen.
pwa_431.038 Es ist vorher gesagt und nachgewiesen worden, dass die rhythmische pwa_431.039 Gliederung der poetischen Rede beiden Principien zugleich pwa_431.040 diene, der Bewegung und der Beruhigung. Und das gilt überall, der pwa_431.041 Rhythmus möge sein, welcher er wolle, jambisch oder trochäisch,
pwa_431.001 nicht minder verlangt. Aber zugleich waltet hier noch ein Rhythmus, pwa_431.002 der bis ins Einzelne hinein, bis auf die Silbe, ja bis auf den Buchstaben pwa_431.003 künstlerisch ausgebildet und fort- und durchgeführt wird, und pwa_431.004 dieser kann ein ganz anderer sein als der trochäische, ja demselben pwa_431.005 grade entgegengesetzt. Nehmen wir z. B. die Verse Schillers: „Wo pwa_431.006 rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten; pwa_431.007 Wenn sich die Völker selbst befrein, So kann die Wohlfahrt nicht pwa_431.008 gedeihn:“ hier ist der Rhythmus der Periodenglieder trochäisch; die pwa_431.009 einzelnen Worte und Silben sind jambisch. Wie in diesem Beispiele, stellt pwa_431.010 sich dann dieser künstlerische Rhythmus der poetischen Rede überall pwa_431.011 auf die mannigfachste Weise ebenso in Gegensatz zu dem unkünstlerischen, pwa_431.012 natürlich gegebenen Rhythmus, der schon in der Prosa waltet, pwa_431.013 wie sich auch sonst die poetische Darstellung zu der gewöhnlichen pwa_431.014 und zunächst gegebenen in Gegensatz und Widerspruch stellt. Ein pwa_431.015 solcher Gegensatz des künstlerischen Rhythmus gegen den unkünstlerischen pwa_431.016 ist es, wenn man die Versfüsse in Widerspruch bringt mit pwa_431.017 den Wortfüssen, wodurch Cäsuren (Neben- und Hauptcäsuren) entstehn, pwa_431.018 wenn also z. B. in einem Hexameter nicht auch die einzelnen pwa_431.019 Worte und Wortfüsse für sich schon Dactylen und Spondeen sind, pwa_431.020 sondern die Versfüsse zwar Dactylen, die Wortfüsse aber etwa Anapäste. pwa_431.021 In dieser Beziehung ist folgender Vers von Klopstock: „Eile pwa_431.022 dahin, wo der Tod und das Grab und die Nacht dich erwarten,“ künstlerisch pwa_431.023 vollendeter, ist wohlklingender als folgender des Grafen von pwa_431.024 Platen (LB. 2, 1737, 31): „Saht hier Spanier, saht hier Britten und Gallier pwa_431.025 herschen.“ Hier fallen Wortfüsse und Versfüsse durchaus zusammen: pwa_431.026 der Rhythmus des Verses ist kein anderer, als der in den Worten pwa_431.027 selbst schon gegeben ist. Eben ein solcher Gegensatz ist es auch, pwa_431.028 wenn die poetische Rede überhaupt demjenigen Rhythmus ausweicht pwa_431.029 und ihn zu vermeiden sucht, welcher der Sprache sonst natürlich und pwa_431.030 ihr gleichsam angeboren ist. Der natürliche Grundrhythmus der deutschen pwa_431.031 Sprache ist eben der trochäische: darum gehören bei uns auch pwa_431.032 trochäische Verse zu den seltenern, und am häufigsten ist der jambische pwa_431.033 Rhythmus, der reine Gegensatz jenes natürlichen trochäischen. pwa_431.034 Umgekehrt ist der natürliche Rhythmus der romanischen Sprachen der pwa_431.035 jambische: die spanische Poesie, die ihre Formen am kunstmässigsten pwa_431.036 ausgebildet hat, enthält sich nun auch des jambischen Rhythmus fast pwa_431.037 gänzlich und kennt fast nur seinen Gegensatz, den trochäischen.
pwa_431.038 Es ist vorher gesagt und nachgewiesen worden, dass die rhythmische pwa_431.039 Gliederung der poetischen Rede beiden Principien zugleich pwa_431.040 diene, der Bewegung und der Beruhigung. Und das gilt überall, der pwa_431.041 Rhythmus möge sein, welcher er wolle, jambisch oder trochäisch,
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Es ist vorher gesagt und nachgewiesen worden, dass die rhythmische pwa_431.039
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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