Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_359.001 pwa_359.013 pwa_359.022 pwa_359.024 pwa_359.036 pwa_359.001 pwa_359.013 pwa_359.022 pwa_359.024 pwa_359.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0377" n="359"/><lb n="pwa_359.001"/> sind, dürfen nicht neben einander gestellt, sondern diese <lb n="pwa_359.002"/> müssen durch den Satz, der ihnen übergeordnet ist, oder durch ein <lb n="pwa_359.003"/> Stück desselben getrennt werden. Mit Recht sagt also Wieland: <lb n="pwa_359.004"/> „Immer wird viel Behutsamkeit von Nöthen sein, damit wir den Menschen, <lb n="pwa_359.005"/> indem wir ihnen Gutes zu thun glauben, nicht Schaden zufügen, <lb n="pwa_359.006"/> wenn unsere Arznei noch schlimmere Wirkungen thut, als das <lb n="pwa_359.007"/> Uebel ist, dem wir abhelfen wollen.“ Falsch ist es dagegen zu sagen: <lb n="pwa_359.008"/> „Wird der Geist sichs nicht mit der frohesten Zuversicht sagen, dass <lb n="pwa_359.009"/> er sich unversehrt und frei in die höhern Verbindungen hinüber retten <lb n="pwa_359.010"/> wird, deren Mitglied er schon ist, sobald ihn der Tod von der Erde <lb n="pwa_359.011"/> vertreibt?“ Hier sollte der Adjectivsatz (deren Mitglied er schon ist) <lb n="pwa_359.012"/> unmittelbar dem Worte angereiht werden, zu dem er gehört.</p> <p><lb n="pwa_359.013"/> c) Das rechte Ebenmass in der <hi rendition="#i">Verknüpfung</hi> der Periodenglieder <lb n="pwa_359.014"/> wird dadurch erreicht, dass man ein Hauptgesetz beobachtet, nämlich <lb n="pwa_359.015"/> diess, die Verknüpfung nicht bloss nach dem Inhalt, sondern auch <lb n="pwa_359.016"/> nach der Form der bezüglichen Sätze und Satztheile zu gestalten: <lb n="pwa_359.017"/> richtet man sich bloss nach dem Inhalt, so wird man leicht und oft <lb n="pwa_359.018"/> gegen die Grammatik, gegen die Regel der Richtigkeit verstossen; <lb n="pwa_359.019"/> richtet man sich nach der Form, so ist damit, weil ja die Form den <lb n="pwa_359.020"/> Inhalt in sich schliesst, meistens zugleich auf den Inhalt Rücksicht <lb n="pwa_359.021"/> genommen, und man kann nicht wohl fehlen.</p> <p><lb n="pwa_359.022"/> Wir wollen hier wiederum die Beziehung von Satz auf Satz mit <lb n="pwa_359.023"/> der von Wort auf Wort zusammenstellen.</p> <p><lb n="pwa_359.024"/> Was zuerst diese betrifft, so gilt es jenem allgemeinen Gesetze <lb n="pwa_359.025"/> gemäss für einen Fehler, wenigstens jetzt und in der ausgebildeten <lb n="pwa_359.026"/> Schriftsprache für einen Fehler, auf ein Wort hinzudeuten, das selber <lb n="pwa_359.027"/> gar nicht vorkommt, sondern nur implicite in einem andern enthalten <lb n="pwa_359.028"/> ist, einem andern davon abgeleiteten oder damit zusammengesetzten. <lb n="pwa_359.029"/> Dergleichen Fehler finden wir jedoch bei den besten Schriftstellern <lb n="pwa_359.030"/> der ältern wie der neuern Zeit. So sagt z. B. Schiller: „Tilly erschien <lb n="pwa_359.031"/> in der Mitte des Winters an der Spitze von 20000 Mann vor Frankfurt <lb n="pwa_359.032"/> a/O., wo er sich mit dem Ueberrest der Schaumburgischen Truppen <lb n="pwa_359.033"/> vereinigte. Er übergab diesem Feldherrn die Vertheidigung Frankfurts <lb n="pwa_359.034"/> mit einer hinlänglich starken Besatzung.“ „Niowiht ne ist hârlôs <lb n="pwa_359.035"/> noh zanelôs âne daʒ siu haben solta unde aber ne hât“, Aristot. Org. 336.</p> <p><lb n="pwa_359.036"/> So darf man denn auch keinem zusammengesetzten Substantiv <lb n="pwa_359.037"/> eine Bekleidung beigeben, die nur auf den ersten Theil dieser Zusammensetzung <lb n="pwa_359.038"/> geht. Dagegen fehlt namentlich die Sprache des gewöhnlichen <lb n="pwa_359.039"/> Lebens; aber auch die ältere Zeit bietet Beispiele: „dirre geladen <lb n="pwa_359.040"/> wagenman“, Glosse zum Sachsenspiegel 2, 59; „schone wiphurre“ LB. <lb n="pwa_359.041"/> 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 215, 26. Unrichtige Bekleidungen eines zusammengesetzten Substantivs </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0377]
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sind, dürfen nicht neben einander gestellt, sondern diese pwa_359.002
müssen durch den Satz, der ihnen übergeordnet ist, oder durch ein pwa_359.003
Stück desselben getrennt werden. Mit Recht sagt also Wieland: pwa_359.004
„Immer wird viel Behutsamkeit von Nöthen sein, damit wir den Menschen, pwa_359.005
indem wir ihnen Gutes zu thun glauben, nicht Schaden zufügen, pwa_359.006
wenn unsere Arznei noch schlimmere Wirkungen thut, als das pwa_359.007
Uebel ist, dem wir abhelfen wollen.“ Falsch ist es dagegen zu sagen: pwa_359.008
„Wird der Geist sichs nicht mit der frohesten Zuversicht sagen, dass pwa_359.009
er sich unversehrt und frei in die höhern Verbindungen hinüber retten pwa_359.010
wird, deren Mitglied er schon ist, sobald ihn der Tod von der Erde pwa_359.011
vertreibt?“ Hier sollte der Adjectivsatz (deren Mitglied er schon ist) pwa_359.012
unmittelbar dem Worte angereiht werden, zu dem er gehört.
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c) Das rechte Ebenmass in der Verknüpfung der Periodenglieder pwa_359.014
wird dadurch erreicht, dass man ein Hauptgesetz beobachtet, nämlich pwa_359.015
diess, die Verknüpfung nicht bloss nach dem Inhalt, sondern auch pwa_359.016
nach der Form der bezüglichen Sätze und Satztheile zu gestalten: pwa_359.017
richtet man sich bloss nach dem Inhalt, so wird man leicht und oft pwa_359.018
gegen die Grammatik, gegen die Regel der Richtigkeit verstossen; pwa_359.019
richtet man sich nach der Form, so ist damit, weil ja die Form den pwa_359.020
Inhalt in sich schliesst, meistens zugleich auf den Inhalt Rücksicht pwa_359.021
genommen, und man kann nicht wohl fehlen.
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Wir wollen hier wiederum die Beziehung von Satz auf Satz mit pwa_359.023
der von Wort auf Wort zusammenstellen.
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Was zuerst diese betrifft, so gilt es jenem allgemeinen Gesetze pwa_359.025
gemäss für einen Fehler, wenigstens jetzt und in der ausgebildeten pwa_359.026
Schriftsprache für einen Fehler, auf ein Wort hinzudeuten, das selber pwa_359.027
gar nicht vorkommt, sondern nur implicite in einem andern enthalten pwa_359.028
ist, einem andern davon abgeleiteten oder damit zusammengesetzten. pwa_359.029
Dergleichen Fehler finden wir jedoch bei den besten Schriftstellern pwa_359.030
der ältern wie der neuern Zeit. So sagt z. B. Schiller: „Tilly erschien pwa_359.031
in der Mitte des Winters an der Spitze von 20000 Mann vor Frankfurt pwa_359.032
a/O., wo er sich mit dem Ueberrest der Schaumburgischen Truppen pwa_359.033
vereinigte. Er übergab diesem Feldherrn die Vertheidigung Frankfurts pwa_359.034
mit einer hinlänglich starken Besatzung.“ „Niowiht ne ist hârlôs pwa_359.035
noh zanelôs âne daʒ siu haben solta unde aber ne hât“, Aristot. Org. 336.
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So darf man denn auch keinem zusammengesetzten Substantiv pwa_359.037
eine Bekleidung beigeben, die nur auf den ersten Theil dieser Zusammensetzung pwa_359.038
geht. Dagegen fehlt namentlich die Sprache des gewöhnlichen pwa_359.039
Lebens; aber auch die ältere Zeit bietet Beispiele: „dirre geladen pwa_359.040
wagenman“, Glosse zum Sachsenspiegel 2, 59; „schone wiphurre“ LB. pwa_359.041
14, 215, 26. Unrichtige Bekleidungen eines zusammengesetzten Substantivs
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