Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_349.001 pwa_349.010 pwa_349.022 pwa_349.001 pwa_349.010 pwa_349.022 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0367" n="349"/><lb n="pwa_349.001"/> so dass man mit dem minder Bedeutenden anhebt, mit dem mehr <lb n="pwa_349.002"/> Bedeutenden fortfährt und mit dem Bedeutsamsten schliesst. Die Aufmerksamkeit <lb n="pwa_349.003"/> nimmt bei einer Reihe coordinierter Begriffe oder Worte <lb n="pwa_349.004"/> von sich selber ab: schlösse man da mit dem minder Wichtigen, so <lb n="pwa_349.005"/> bliebe es vielleicht unbeachtet, und das Wichtigere geriethe vielleicht <lb n="pwa_349.006"/> auch in Vergessenheit: man beginnt also besser mit dem Unwichtigsten <lb n="pwa_349.007"/> und hält dann die Aufmerksamkeit rege durch die Steigerung <lb n="pwa_349.008"/> der Bedeutsamkeit. Beispiel: „Wir nähern uns dem Tode mit jedem <lb n="pwa_349.009"/> Schritt, mit jedem Athemzug, mit jedem Augenblick.“</p> <p><lb n="pwa_349.010"/> c) Die verschiedenen Wege, durch die Art der <hi rendition="#i">Verknüpfung</hi> hervorzuheben, <lb n="pwa_349.011"/> ergeben sich zum Theil schon aus dem, was vorher über die <lb n="pwa_349.012"/> Hervorhebung durch die Form ist bemerkt worden. Untergeordnete <lb n="pwa_349.013"/> Gedanken also, die eigentlich die Form von Nebensätzen haben und <lb n="pwa_349.014"/> auch als solche mit dem Hauptsatze sollten verknüpft werden, hebt <lb n="pwa_349.015"/> man hervor, indem man ihnen die Form von Hauptsätzen giebt und <lb n="pwa_349.016"/> sie nun auch demgemäss mit der übrigen Periode verknüpft, indem <lb n="pwa_349.017"/> man also z. B. einen causalen Satz nicht als untergeordneten Nebensatz <lb n="pwa_349.018"/> mit <hi rendition="#i">da</hi> oder <hi rendition="#i">weil,</hi> einen concessiven nicht mit <hi rendition="#i">obgleich</hi> anfängt, sondern <lb n="pwa_349.019"/> als zweiten selbständigen Hauptsatz mit <hi rendition="#i">denn,</hi> mit <hi rendition="#i">aber.</hi> Hier <lb n="pwa_349.020"/> geschieht also die Hervorhebung zu gleicher Zeit durch beide Mittel, <lb n="pwa_349.021"/> durch die Form und durch die Verknüpfung.</p> <p><lb n="pwa_349.022"/> Nun können aber auch noch verbundene Sätze, die schon an und <lb n="pwa_349.023"/> für sich jeder ein selbständiger Hauptsatz sind, durch die Art der <lb n="pwa_349.024"/> Verknüpfung hervorgehoben werden. Da gilt denn, allgemein betrachtet, <lb n="pwa_349.025"/> ein doppeltes Verfahren. Entweder die erforderlichen Bindewörter <lb n="pwa_349.026"/> werden ausgelassen oder angehäuft. Bei den sogenannten uneigentlichen <lb n="pwa_349.027"/> Bindewörtern, die einen Gegensatz oder eine Begründung einführen, <lb n="pwa_349.028"/> wie <hi rendition="#i">aber, sondern, denn</hi> u. s. f. gilt nur die Auslassung, nicht <lb n="pwa_349.029"/> die Anhäufung. Bei der Auslassung bleibt natürlich die logische Beziehung, <lb n="pwa_349.030"/> aber sie tritt nicht so hervor, und die beiden Glieder des <lb n="pwa_349.031"/> Gedankens stehn selbständiger da. Z. B. die Worte Ev. Joh. 5, 22 <lb n="pwa_349.032"/> <foreign xml:lang="grc">οὐδὲ γὰρ ὁ πατὴρ κρίνει οὐδένα, ἀλλὰ τὴν κρίσιν πᾶσαν δέδωκε τῷ</foreign> <lb n="pwa_349.033"/> <foreign xml:lang="grc">υἱῷ</foreign> übersetzt Luther: „denn der Vater richtet niemand, sondern alles <lb n="pwa_349.034"/> Gericht hat er dem Sohn gegeben.“ Aeltere Verdeutschungen aber <lb n="pwa_349.035"/> lassen das <hi rendition="#i">sondern,</hi> das <hi rendition="#i">sed</hi> der Vulgata weg, wodurch der zweite <lb n="pwa_349.036"/> Gedanke stärker hervortritt: der fater ne uberteilet niemannin: er gab <lb n="pwa_349.037"/> daʒ urteil al demo sune (Notk. Ps. 80, 5. 85, 16). Anders verhält es <lb n="pwa_349.038"/> sich mit den eigentlichen Bindewörtern <hi rendition="#i">und, oder, noch,</hi> welche den <lb n="pwa_349.039"/> Fortgang von Gedanken zu Gedanken bezeichnen. Bei den trennenden <lb n="pwa_349.040"/> und verneinenden <hi rendition="#i">oder</hi> und <hi rendition="#i">noch</hi> ist ihrer ganzen Bedeutung <lb n="pwa_349.041"/> wegen die Auslassung nicht möglich und die Häufung gar nichts Ungebräuchliches: </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [349/0367]
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so dass man mit dem minder Bedeutenden anhebt, mit dem mehr pwa_349.002
Bedeutenden fortfährt und mit dem Bedeutsamsten schliesst. Die Aufmerksamkeit pwa_349.003
nimmt bei einer Reihe coordinierter Begriffe oder Worte pwa_349.004
von sich selber ab: schlösse man da mit dem minder Wichtigen, so pwa_349.005
bliebe es vielleicht unbeachtet, und das Wichtigere geriethe vielleicht pwa_349.006
auch in Vergessenheit: man beginnt also besser mit dem Unwichtigsten pwa_349.007
und hält dann die Aufmerksamkeit rege durch die Steigerung pwa_349.008
der Bedeutsamkeit. Beispiel: „Wir nähern uns dem Tode mit jedem pwa_349.009
Schritt, mit jedem Athemzug, mit jedem Augenblick.“
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c) Die verschiedenen Wege, durch die Art der Verknüpfung hervorzuheben, pwa_349.011
ergeben sich zum Theil schon aus dem, was vorher über die pwa_349.012
Hervorhebung durch die Form ist bemerkt worden. Untergeordnete pwa_349.013
Gedanken also, die eigentlich die Form von Nebensätzen haben und pwa_349.014
auch als solche mit dem Hauptsatze sollten verknüpft werden, hebt pwa_349.015
man hervor, indem man ihnen die Form von Hauptsätzen giebt und pwa_349.016
sie nun auch demgemäss mit der übrigen Periode verknüpft, indem pwa_349.017
man also z. B. einen causalen Satz nicht als untergeordneten Nebensatz pwa_349.018
mit da oder weil, einen concessiven nicht mit obgleich anfängt, sondern pwa_349.019
als zweiten selbständigen Hauptsatz mit denn, mit aber. Hier pwa_349.020
geschieht also die Hervorhebung zu gleicher Zeit durch beide Mittel, pwa_349.021
durch die Form und durch die Verknüpfung.
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Nun können aber auch noch verbundene Sätze, die schon an und pwa_349.023
für sich jeder ein selbständiger Hauptsatz sind, durch die Art der pwa_349.024
Verknüpfung hervorgehoben werden. Da gilt denn, allgemein betrachtet, pwa_349.025
ein doppeltes Verfahren. Entweder die erforderlichen Bindewörter pwa_349.026
werden ausgelassen oder angehäuft. Bei den sogenannten uneigentlichen pwa_349.027
Bindewörtern, die einen Gegensatz oder eine Begründung einführen, pwa_349.028
wie aber, sondern, denn u. s. f. gilt nur die Auslassung, nicht pwa_349.029
die Anhäufung. Bei der Auslassung bleibt natürlich die logische Beziehung, pwa_349.030
aber sie tritt nicht so hervor, und die beiden Glieder des pwa_349.031
Gedankens stehn selbständiger da. Z. B. die Worte Ev. Joh. 5, 22 pwa_349.032
οὐδὲ γὰρ ὁ πατὴρ κρίνει οὐδένα, ἀλλὰ τὴν κρίσιν πᾶσαν δέδωκε τῷ pwa_349.033
υἱῷ übersetzt Luther: „denn der Vater richtet niemand, sondern alles pwa_349.034
Gericht hat er dem Sohn gegeben.“ Aeltere Verdeutschungen aber pwa_349.035
lassen das sondern, das sed der Vulgata weg, wodurch der zweite pwa_349.036
Gedanke stärker hervortritt: der fater ne uberteilet niemannin: er gab pwa_349.037
daʒ urteil al demo sune (Notk. Ps. 80, 5. 85, 16). Anders verhält es pwa_349.038
sich mit den eigentlichen Bindewörtern und, oder, noch, welche den pwa_349.039
Fortgang von Gedanken zu Gedanken bezeichnen. Bei den trennenden pwa_349.040
und verneinenden oder und noch ist ihrer ganzen Bedeutung pwa_349.041
wegen die Auslassung nicht möglich und die Häufung gar nichts Ungebräuchliches:
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