Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_333.001 pwa_333.020 pwa_333.001 pwa_333.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0351" n="333"/><lb n="pwa_333.001"/> oft genug in den Fall kommen, von diesen Gewerben und Geräthen <lb n="pwa_333.002"/> sprechen zu müssen: die Schriftsprache gewährt ihm kein allgemein <lb n="pwa_333.003"/> gültiges Wort: da bleibt ihm denn nichts Andres übrig, als die Dinge <lb n="pwa_333.004"/> so zu benennen, wie sie da heissen, wo sie zu Hause sind, d. h. mit <lb n="pwa_333.005"/> Provincialismen. Und somit ist auch von dieser Seite her den Provincialismen <lb n="pwa_333.006"/> der Zugang in die Schriftsprache geöffnet, und in alle <lb n="pwa_333.007"/> drei Arten der Prosa, in die lehrende wie in die beschreibende und <lb n="pwa_333.008"/> erzählende, und es werden z. B. schweizerische Provincialismen dieser <lb n="pwa_333.009"/> Art kein Fehler sein in einem technologischen Werke, das vorzüglich <lb n="pwa_333.010"/> auf die Gewerbthätigkeit der Schweiz gerichtet ist, oder in einem <lb n="pwa_333.011"/> beschreibenden oder historischen, das die besondre Natur oder Geschichte <lb n="pwa_333.012"/> der Schweiz zum Gegenstande hat. Diess ist denn auch der <lb n="pwa_333.013"/> Grund, weshalb die Provincialismen namentlich nicht auszuschliessen <lb n="pwa_333.014"/> sind aus dem sogenannten Geschäftsstil, d. h. aus dem Stil jener <lb n="pwa_333.015"/> meistens didactischen, zuweilen aber auch erzählenden und beschreibenden <lb n="pwa_333.016"/> Schriften, die ihren Anlass in den Verkehrsverhältnissen des <lb n="pwa_333.017"/> bürgerlichen Lebens haben: denn hier sind gewöhnlich ganz eng örtliche <lb n="pwa_333.018"/> Beziehungen vorhanden, die jene Freiheit zur Nothwendigkeit <lb n="pwa_333.019"/> machen.</p> <p><lb n="pwa_333.020"/> 3) <hi rendition="#b">Barbarismus.</hi> Im allgemeinen weiteren Sinne und im Gegensatz <lb n="pwa_333.021"/> zum Solöcismus bezeichnet die Rhetorik mit Barbarismus jeglichen <lb n="pwa_333.022"/> Verstoss gegen die Reinheit der Sprache. Hier wollen wir darunter <lb n="pwa_333.023"/> eine besondere, mehr eingeschränkte Art solcher Fehler verstehn: <lb n="pwa_333.024"/> Verletzung der Reinheit durch Einmischung von Wörtern und Redeweisen <lb n="pwa_333.025"/> ausländischen Ursprungs, was Quintilian <hi rendition="#i">vocabula peregrina</hi> oder <hi rendition="#i">externa, <lb n="pwa_333.026"/> formas peregrinas,</hi> Aristoteles <foreign xml:lang="grc">ὀνόματα ξένα, φράσεις ξένας, γλώσσας</foreign> <lb n="pwa_333.027"/> nennt. Diese Einschränkung verträgt sich auch ganz wohl mit dem <lb n="pwa_333.028"/> Sinne, den bekanntlich die Worte <hi rendition="#i">Barbar</hi> und <hi rendition="#i">barbarisch</hi> eigentlich <lb n="pwa_333.029"/> und ursprünglich besitzen, ja sie wird davon sogar gefordert. Also <lb n="pwa_333.030"/> der Gebrauch ausländischer Worte ist auch ein Fehler; denn das Ausländische <lb n="pwa_333.031"/> ist unverständlich, läuft also dem Haupterforderniss der <lb n="pwa_333.032"/> Prosa, der Deutlichkeit, zuwider. Indessen wenn irgendwo zwischen <lb n="pwa_333.033"/> den verschiedenen Arten der Prosa zu unterscheiden ist, um das Mehr <lb n="pwa_333.034"/> oder Minder der Zulässigkeit und der Unzulässigkeit zu bestimmen, <lb n="pwa_333.035"/> so ist es hier. Hier kann der gleiche Ausdruck ein Fehler sein, wenn <lb n="pwa_333.036"/> man erzählt, und kein Fehler mehr, wenn man lehrend abhandelt. <lb n="pwa_333.037"/> Die eigentlich lehrende Prosa und mit ihr die beschreibende, insofern <lb n="pwa_333.038"/> auch sie ein didactisches Element in sich enthält, können beide des <lb n="pwa_333.039"/> Gebrauches undeutscher Kunstausdrücke unmöglich ganz entrathen. <lb n="pwa_333.040"/> Man hat solche wiederholendlich ganz zu beseitigen versucht: aber all <lb n="pwa_333.041"/> diese Versuche sind auch missglückt, und man ist immer wieder jetzt </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [333/0351]
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oft genug in den Fall kommen, von diesen Gewerben und Geräthen pwa_333.002
sprechen zu müssen: die Schriftsprache gewährt ihm kein allgemein pwa_333.003
gültiges Wort: da bleibt ihm denn nichts Andres übrig, als die Dinge pwa_333.004
so zu benennen, wie sie da heissen, wo sie zu Hause sind, d. h. mit pwa_333.005
Provincialismen. Und somit ist auch von dieser Seite her den Provincialismen pwa_333.006
der Zugang in die Schriftsprache geöffnet, und in alle pwa_333.007
drei Arten der Prosa, in die lehrende wie in die beschreibende und pwa_333.008
erzählende, und es werden z. B. schweizerische Provincialismen dieser pwa_333.009
Art kein Fehler sein in einem technologischen Werke, das vorzüglich pwa_333.010
auf die Gewerbthätigkeit der Schweiz gerichtet ist, oder in einem pwa_333.011
beschreibenden oder historischen, das die besondre Natur oder Geschichte pwa_333.012
der Schweiz zum Gegenstande hat. Diess ist denn auch der pwa_333.013
Grund, weshalb die Provincialismen namentlich nicht auszuschliessen pwa_333.014
sind aus dem sogenannten Geschäftsstil, d. h. aus dem Stil jener pwa_333.015
meistens didactischen, zuweilen aber auch erzählenden und beschreibenden pwa_333.016
Schriften, die ihren Anlass in den Verkehrsverhältnissen des pwa_333.017
bürgerlichen Lebens haben: denn hier sind gewöhnlich ganz eng örtliche pwa_333.018
Beziehungen vorhanden, die jene Freiheit zur Nothwendigkeit pwa_333.019
machen.
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3) Barbarismus. Im allgemeinen weiteren Sinne und im Gegensatz pwa_333.021
zum Solöcismus bezeichnet die Rhetorik mit Barbarismus jeglichen pwa_333.022
Verstoss gegen die Reinheit der Sprache. Hier wollen wir darunter pwa_333.023
eine besondere, mehr eingeschränkte Art solcher Fehler verstehn: pwa_333.024
Verletzung der Reinheit durch Einmischung von Wörtern und Redeweisen pwa_333.025
ausländischen Ursprungs, was Quintilian vocabula peregrina oder externa, pwa_333.026
formas peregrinas, Aristoteles ὀνόματα ξένα, φράσεις ξένας, γλώσσας pwa_333.027
nennt. Diese Einschränkung verträgt sich auch ganz wohl mit dem pwa_333.028
Sinne, den bekanntlich die Worte Barbar und barbarisch eigentlich pwa_333.029
und ursprünglich besitzen, ja sie wird davon sogar gefordert. Also pwa_333.030
der Gebrauch ausländischer Worte ist auch ein Fehler; denn das Ausländische pwa_333.031
ist unverständlich, läuft also dem Haupterforderniss der pwa_333.032
Prosa, der Deutlichkeit, zuwider. Indessen wenn irgendwo zwischen pwa_333.033
den verschiedenen Arten der Prosa zu unterscheiden ist, um das Mehr pwa_333.034
oder Minder der Zulässigkeit und der Unzulässigkeit zu bestimmen, pwa_333.035
so ist es hier. Hier kann der gleiche Ausdruck ein Fehler sein, wenn pwa_333.036
man erzählt, und kein Fehler mehr, wenn man lehrend abhandelt. pwa_333.037
Die eigentlich lehrende Prosa und mit ihr die beschreibende, insofern pwa_333.038
auch sie ein didactisches Element in sich enthält, können beide des pwa_333.039
Gebrauches undeutscher Kunstausdrücke unmöglich ganz entrathen. pwa_333.040
Man hat solche wiederholendlich ganz zu beseitigen versucht: aber all pwa_333.041
diese Versuche sind auch missglückt, und man ist immer wieder jetzt
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