pwa_245.001 der angeschauten Idee in Einklang bringen kann, daraus ergiebt sich pwa_245.002 noch ein anderer Nachtheil, der in künstlerischer Beziehung den meisten pwa_245.003 geschichtlichen Werken anhängt, ein Nachtheil, der ihnen aber pwa_245.004 auch noch aus anderweitigen Gründen unausweichlich zufällt: der pwa_245.005 Mangel nämlich an Einheit. Der Epiker hat es immer mit einem in pwa_245.006 sich abgeschlossenen, concentrierten Ganzen zu thun, Einer Sage oder pwa_245.007 Einem Cyclus von Sagen, die sich alle um Einen Hauptpunct und Eine pwa_245.008 Hauptbegebenheit herumlegen; es wird ihm aber deshalb Alles so abgeschlossen pwa_245.009 und concentriert, weil die belebende Seele der Sage, die pwa_245.010 Idee, das Fremdartige von sich stösst. Wie nun der Historiker? Wo pwa_245.011 das Gebiet seiner Forschung eng und eingeschränkt ist, da wird es pwa_245.012 ihm wohl noch möglich, eine Einheit zu behaupten, wie der epische pwa_245.013 Dichter sie hat, ohne dass er darum sich die Freiheiten des Epikers pwa_245.014 gestattete; der historische Verlauf, den er berichtet, wird, wenn auch pwa_245.015 nicht einfach, doch einheitlich sein können.
pwa_245.016 Solche Historiker, die damit dem Epiker am nächsten stehn, sind pwa_245.017 die Biographen, die Geschichtsschreiber einzelner Personen; die Einheit pwa_245.018 der Person haben sie schon vorweg; damit pflegen dann aber pwa_245.019 auch noch andere, mehr oder minder wesentliche Einheiten verbunden pwa_245.020 zu sein. Je weiter sich nun jedoch das Gebiet des Historikers ausdehnt, pwa_245.021 desto mehr und mehr schwindet selbst die Möglichkeit der pwa_245.022 Einheit. Es kommen nun die verschiedenen Arten der sogenannten pwa_245.023 Specialgeschichte, die Geschichte einzelner ganzer Völker, ganzer aus pwa_245.024 vielen Jahrhunderten bestehender Zeiträume, die Geschichte der Religionen, pwa_245.025 der Künste, der Wissenschaften. Es schreibt also nun der pwa_245.026 Historiker etwa die ganze römische Geschichte. Freilich liegt sie fertig pwa_245.027 und abgeschlossen vor ihm da, er kann erkennen, er kann wenigstens pwa_245.028 ahnen, was Gott mit den Römern gewollt habe, er kann zur Anschauung pwa_245.029 der Idee gelangen, die sich in der römischen Geschichte offenbart: pwa_245.030 gleichwohl wird es ihm schwerlich glücken, dieser Einheit der Idee pwa_245.031 gemäss auch eine Einheit des thatsächlichen Inhaltes herzustellen: denn pwa_245.032 er hat mehr als Eine Hauptperson, mehr als Eine Hauptbegebenheit, pwa_245.033 und er darf die Thatsachen, in denen er jene Idee nicht wieder pwa_245.034 erkennt, darum doch nicht beseitigen. Noch schlimmer ist derjenige pwa_245.035 Historiker daran, dessen Gebiet noch nicht einmal abgegrenzt und pwa_245.036 abgeschlossen ist, der eine Geschichte schreibt, die unvollendet noch pwa_245.037 bis in die Gegenwart hereinreicht, wie z. B. die Geschichte eines jetzt pwa_245.038 lebenden Volkes in politischer oder in litterarischer Hinsicht. Selbst pwa_245.039 wenn da der Historiker die Idee richtig auffasste, so könnte er sie pwa_245.040 doch immer nicht zur rechten Anschauung bringen, da sie sich jedesfalls pwa_245.041 noch nicht ganz in der äusseren Wirklichkeit vollendet hat. Eben
pwa_245.001 der angeschauten Idee in Einklang bringen kann, daraus ergiebt sich pwa_245.002 noch ein anderer Nachtheil, der in künstlerischer Beziehung den meisten pwa_245.003 geschichtlichen Werken anhängt, ein Nachtheil, der ihnen aber pwa_245.004 auch noch aus anderweitigen Gründen unausweichlich zufällt: der pwa_245.005 Mangel nämlich an Einheit. Der Epiker hat es immer mit einem in pwa_245.006 sich abgeschlossenen, concentrierten Ganzen zu thun, Einer Sage oder pwa_245.007 Einem Cyclus von Sagen, die sich alle um Einen Hauptpunct und Eine pwa_245.008 Hauptbegebenheit herumlegen; es wird ihm aber deshalb Alles so abgeschlossen pwa_245.009 und concentriert, weil die belebende Seele der Sage, die pwa_245.010 Idee, das Fremdartige von sich stösst. Wie nun der Historiker? Wo pwa_245.011 das Gebiet seiner Forschung eng und eingeschränkt ist, da wird es pwa_245.012 ihm wohl noch möglich, eine Einheit zu behaupten, wie der epische pwa_245.013 Dichter sie hat, ohne dass er darum sich die Freiheiten des Epikers pwa_245.014 gestattete; der historische Verlauf, den er berichtet, wird, wenn auch pwa_245.015 nicht einfach, doch einheitlich sein können.
pwa_245.016 Solche Historiker, die damit dem Epiker am nächsten stehn, sind pwa_245.017 die Biographen, die Geschichtsschreiber einzelner Personen; die Einheit pwa_245.018 der Person haben sie schon vorweg; damit pflegen dann aber pwa_245.019 auch noch andere, mehr oder minder wesentliche Einheiten verbunden pwa_245.020 zu sein. Je weiter sich nun jedoch das Gebiet des Historikers ausdehnt, pwa_245.021 desto mehr und mehr schwindet selbst die Möglichkeit der pwa_245.022 Einheit. Es kommen nun die verschiedenen Arten der sogenannten pwa_245.023 Specialgeschichte, die Geschichte einzelner ganzer Völker, ganzer aus pwa_245.024 vielen Jahrhunderten bestehender Zeiträume, die Geschichte der Religionen, pwa_245.025 der Künste, der Wissenschaften. Es schreibt also nun der pwa_245.026 Historiker etwa die ganze römische Geschichte. Freilich liegt sie fertig pwa_245.027 und abgeschlossen vor ihm da, er kann erkennen, er kann wenigstens pwa_245.028 ahnen, was Gott mit den Römern gewollt habe, er kann zur Anschauung pwa_245.029 der Idee gelangen, die sich in der römischen Geschichte offenbart: pwa_245.030 gleichwohl wird es ihm schwerlich glücken, dieser Einheit der Idee pwa_245.031 gemäss auch eine Einheit des thatsächlichen Inhaltes herzustellen: denn pwa_245.032 er hat mehr als Eine Hauptperson, mehr als Eine Hauptbegebenheit, pwa_245.033 und er darf die Thatsachen, in denen er jene Idee nicht wieder pwa_245.034 erkennt, darum doch nicht beseitigen. Noch schlimmer ist derjenige pwa_245.035 Historiker daran, dessen Gebiet noch nicht einmal abgegrenzt und pwa_245.036 abgeschlossen ist, der eine Geschichte schreibt, die unvollendet noch pwa_245.037 bis in die Gegenwart hereinreicht, wie z. B. die Geschichte eines jetzt pwa_245.038 lebenden Volkes in politischer oder in litterarischer Hinsicht. Selbst pwa_245.039 wenn da der Historiker die Idee richtig auffasste, so könnte er sie pwa_245.040 doch immer nicht zur rechten Anschauung bringen, da sie sich jedesfalls pwa_245.041 noch nicht ganz in der äusseren Wirklichkeit vollendet hat. Eben
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noch ein anderer Nachtheil, der in künstlerischer Beziehung den meisten pwa_245.003
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auch noch aus anderweitigen Gründen unausweichlich zufällt: der pwa_245.005
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Einem Cyclus von Sagen, die sich alle um Einen Hauptpunct und Eine pwa_245.008
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Solche Historiker, die damit dem Epiker am nächsten stehn, sind pwa_245.017
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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