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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Beschränkung wie die Plastik. Denn durch die Perspective, durch pwa_173.002
die Breite der Ausdehnung und die Weite des Hintergrundes, die sie pwa_173.003
ihren Bildern geben kann, ist ihr die Möglichkeit eröffnet, einen historischen pwa_173.004
Verlauf anzudeuten und wenigstens errathen zu lassen, welcherlei pwa_173.005
Begebenheiten dieser momentan fixierten vorangegangen seien, pwa_173.006
und welche ihr nachfolgen werden.

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Durch diese Verschmelzung des Lyrischen mit dem Epischen, der pwa_173.008
innern Zustände mit der äusseren Wirklichkeit, der Empfindung mit pwa_173.009
den Begebenheiten werden diese letzteren erst zu dem, was man eine pwa_173.010
Handlung nennt: denn nun erst, wo sich die inneren Motive in ihrer pwa_173.011
vollsten Geltung und Einwirkung zeigen, erscheint das, was geschieht, pwa_173.012
auch als ein wirklich Gethanes; es begiebt sich nicht bloss, wie im pwa_173.013
Epos, diess und jenes mit und an den Personen, welche auftreten, pwa_173.014
sondern sie sind selber thätig, sie handeln. Daher auch die griechische pwa_173.015
Benennung drama1.

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Daraus nun, dass es im Drama nicht auf Begebenheiten, sondern pwa_173.017
auf Handlung abgesehen ist, folgt zugleich, dass es eben Personen pwa_173.018
sind, mehr als Eine, die in ihm auftreten: bei einer Begebenheit kann pwa_173.019
sehr wohl nur eine einzige Person betheiligt sein; zu einer Handlung pwa_173.020
gehören zum mindesten zwei, grade wie zu einem vollthätigen, transitiven pwa_173.021
Zeitwort wenigstens zwei Substantiva gehören, ein Subject und pwa_173.022
ein Object. Auf die Zweizahl beschränkt sich jedoch die dramatische pwa_173.023
Kunst nur in den Zeiten ihres Beginns und etwa auch in denen der pwa_173.024
Ausartung: sonst aber pflegt sie den Kreis der Handlung über eine pwa_173.025
grössere Menge von Personen auszudehnen, und ungefähr wie die pwa_173.026
Sprache neben dem Nominativ und dem Accusativ noch einen Genitiv, pwa_173.027
einen Dativ u. s. f. besitzt, so auch ausser dem Handelnden und dem pwa_173.028
Leidenden, damit die Begebenheiten immer mehr zu wahrer Handlung pwa_173.029
belebt werden, noch ursächlich wirkende und bloss betheiligte Personen pwa_173.030
u. s. f. auftreten zu lassen. Die Uebereinstimmung zwischen der pwa_173.031
Malerei und dem Drama bewährt sich auch auf diesem Puncte. Die pwa_173.032
Plastik kann, da sie immer nur einen einzelnen Moment fixiert, auch pwa_173.033
immer nur höchstens Begebenheiten und nie eine rechte Handlung pwa_173.034
darstellen; zudem ist sie schon durch die Beschaffenheit ihres Materials pwa_173.035
auf wenige oder gar Eine Gestalt eingeschränkt. Anders die Malerei. pwa_173.036
Sie kann, wie vorher bemerkt worden, die Vergangenheit und die pwa_173.037
Zukunft, die vor und hinter der augenblicklichen Gegenwart liegen, pwa_173.038
wenigstens andeuten: schon das hilft ihr die Begebenheit zur Handlung

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Die lateinische, fabula, ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich pwa_173.040
so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element.

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Beschränkung wie die Plastik. Denn durch die Perspective, durch pwa_173.002
die Breite der Ausdehnung und die Weite des Hintergrundes, die sie pwa_173.003
ihren Bildern geben kann, ist ihr die Möglichkeit eröffnet, einen historischen pwa_173.004
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Begebenheiten dieser momentan fixierten vorangegangen seien, pwa_173.006
und welche ihr nachfolgen werden.

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Durch diese Verschmelzung des Lyrischen mit dem Epischen, der pwa_173.008
innern Zustände mit der äusseren Wirklichkeit, der Empfindung mit pwa_173.009
den Begebenheiten werden diese letzteren erst zu dem, was man eine pwa_173.010
Handlung nennt: denn nun erst, wo sich die inneren Motive in ihrer pwa_173.011
vollsten Geltung und Einwirkung zeigen, erscheint das, was geschieht, pwa_173.012
auch als ein wirklich Gethanes; es begiebt sich nicht bloss, wie im pwa_173.013
Epos, diess und jenes mit und an den Personen, welche auftreten, pwa_173.014
sondern sie sind selber thätig, sie handeln. Daher auch die griechische pwa_173.015
Benennung δρᾶμα1.

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Daraus nun, dass es im Drama nicht auf Begebenheiten, sondern pwa_173.017
auf Handlung abgesehen ist, folgt zugleich, dass es eben Personen pwa_173.018
sind, mehr als Eine, die in ihm auftreten: bei einer Begebenheit kann pwa_173.019
sehr wohl nur eine einzige Person betheiligt sein; zu einer Handlung pwa_173.020
gehören zum mindesten zwei, grade wie zu einem vollthätigen, transitiven pwa_173.021
Zeitwort wenigstens zwei Substantiva gehören, ein Subject und pwa_173.022
ein Object. Auf die Zweizahl beschränkt sich jedoch die dramatische pwa_173.023
Kunst nur in den Zeiten ihres Beginns und etwa auch in denen der pwa_173.024
Ausartung: sonst aber pflegt sie den Kreis der Handlung über eine pwa_173.025
grössere Menge von Personen auszudehnen, und ungefähr wie die pwa_173.026
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belebt werden, noch ursächlich wirkende und bloss betheiligte Personen pwa_173.030
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Malerei und dem Drama bewährt sich auch auf diesem Puncte. Die pwa_173.032
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Sie kann, wie vorher bemerkt worden, die Vergangenheit und die pwa_173.037
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Die lateinische, fabula, ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich pwa_173.040
so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element.
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/191>, abgerufen am 24.11.2024.