pwa_168.001 wie der Umstände, einem so grossen Wechsel verschiedenartiger pwa_168.002 Auffassungen, und ausserdem bleibt noch eine solche Fülle von pwa_168.003 anderen wirklichen und möglichen Stoffen und von Auffassungsweisen pwa_168.004 derselben übrig, dass es ein vergebliches Beginnen wäre, sie alle aufzählen pwa_168.005 und theoretisch erörtern zu wollen. Was unter solchen Umständen pwa_168.006 über das Wesen der rein lyrischen Poesie kann gesagt werden, pwa_168.007 das ist sowohl zu Anfange dieser ganzen Abtheilung (S. 119 fgg.), als pwa_168.008 auch vergleichsweise mit der epischen Lyrik und der didactischen pwa_168.009 Lyrik in den beiden vorigen Abschnitten bereits gesagt worden, und pwa_168.010 wir brauchen nur noch einige wenige Bemerkungen über Geschichte pwa_168.011 und Form hinzuzufügen, die immer dienen werden, die frühere pwa_168.012 Characteristik noch zu vervollständigen.
pwa_168.013 Zu dieser reinen, eigentlich lyrischen Lyrik bringen es immer pwa_168.014 nur diejenigen Völker, deren geistige und politische Entwickelung pwa_168.015 ungehindert ihren Lauf vollenden kann, die auf der niedern Stufe der pwa_168.016 Cultur weder von selbst verharren, noch irgendwie durch äusseren pwa_168.017 Drang und Zwang festgehalten werden, deren Geist auch so glücklich pwa_168.018 organisiert ist, dass es ihn überall zur reinen abschliessenden Vollendung pwa_168.019 treibt, dass er sich nicht begnügt, auf dem halben Wege stehn zu pwa_168.020 bleiben, dass er kein Gefallen findet an blossen Mischarten und Zwischengattungen. pwa_168.021 In den Anfängen der Civilisation ist eine selbstbewusste pwa_168.022 Absonderung des Einzelnen von der Gesammtheit des Volkes, pwa_168.023 während welcher doch allein die lyrische Lyrik mit ihrem cosmopolitischen pwa_168.024 Egoismus erwachsen kann, noch unmöglich und noch nicht pwa_168.025 vorhanden. Solche Völker bringen es daher, wie die Serben und die pwa_168.026 Littauer, allenfalls bis zur epischen Lyrik, aber weiter auch nicht. pwa_168.027 Andre haben wohl die erforderlichen Fortschritte der Civilisation pwa_168.028 gemacht, und der Einzelne ist sich schon so viel werth geworden, pwa_168.029 dass er in so fern wohl für die lyrische Lyrik eingerichtet und pwa_168.030 geschickt wäre: aber da fehlt dann wieder dem Geiste des Volkes der pwa_168.031 Sinn für unvermengte Form, für scharfe Abgrenzung der einzelnen pwa_168.032 Gattungen, wie z. B. den vorderen Orientalen, den Hebräern, den pwa_168.033 Arabern. Man kann nicht sagen, dass sie keine Lyrik hätten: sie pwa_168.034 besitzen sogar eine sehr reiche; nur haben sie wenig eigentlich reine, pwa_168.035 lyrische Lyrik. Die Phantasie und das Gefühl dieser Völker hat von pwa_168.036 jeher gern dem Verstande gedient, seiner ernsten Lehrhaftigkeit bei pwa_168.037 den Hebräern, seinem Witz und seinen Spitzfindigkeiten bei den pwa_168.038 Arabern. Daher hat ihre Lyrik, wo sie nicht gradezu noch auf der pwa_168.039 Grenzscheide des Epos steht, immer eine stärkere oder schwächere pwa_168.040 didactische Beimischung. Die Psalmen Davids zeigen das erregteste pwa_168.041 Gemüth, die Dichtungen der Propheten die beweglichste Einbildung,
pwa_168.001 wie der Umstände, einem so grossen Wechsel verschiedenartiger pwa_168.002 Auffassungen, und ausserdem bleibt noch eine solche Fülle von pwa_168.003 anderen wirklichen und möglichen Stoffen und von Auffassungsweisen pwa_168.004 derselben übrig, dass es ein vergebliches Beginnen wäre, sie alle aufzählen pwa_168.005 und theoretisch erörtern zu wollen. Was unter solchen Umständen pwa_168.006 über das Wesen der rein lyrischen Poesie kann gesagt werden, pwa_168.007 das ist sowohl zu Anfange dieser ganzen Abtheilung (S. 119 fgg.), als pwa_168.008 auch vergleichsweise mit der epischen Lyrik und der didactischen pwa_168.009 Lyrik in den beiden vorigen Abschnitten bereits gesagt worden, und pwa_168.010 wir brauchen nur noch einige wenige Bemerkungen über Geschichte pwa_168.011 und Form hinzuzufügen, die immer dienen werden, die frühere pwa_168.012 Characteristik noch zu vervollständigen.
pwa_168.013 Zu dieser reinen, eigentlich lyrischen Lyrik bringen es immer pwa_168.014 nur diejenigen Völker, deren geistige und politische Entwickelung pwa_168.015 ungehindert ihren Lauf vollenden kann, die auf der niedern Stufe der pwa_168.016 Cultur weder von selbst verharren, noch irgendwie durch äusseren pwa_168.017 Drang und Zwang festgehalten werden, deren Geist auch so glücklich pwa_168.018 organisiert ist, dass es ihn überall zur reinen abschliessenden Vollendung pwa_168.019 treibt, dass er sich nicht begnügt, auf dem halben Wege stehn zu pwa_168.020 bleiben, dass er kein Gefallen findet an blossen Mischarten und Zwischengattungen. pwa_168.021 In den Anfängen der Civilisation ist eine selbstbewusste pwa_168.022 Absonderung des Einzelnen von der Gesammtheit des Volkes, pwa_168.023 während welcher doch allein die lyrische Lyrik mit ihrem cosmopolitischen pwa_168.024 Egoismus erwachsen kann, noch unmöglich und noch nicht pwa_168.025 vorhanden. Solche Völker bringen es daher, wie die Serben und die pwa_168.026 Littauer, allenfalls bis zur epischen Lyrik, aber weiter auch nicht. pwa_168.027 Andre haben wohl die erforderlichen Fortschritte der Civilisation pwa_168.028 gemacht, und der Einzelne ist sich schon so viel werth geworden, pwa_168.029 dass er in so fern wohl für die lyrische Lyrik eingerichtet und pwa_168.030 geschickt wäre: aber da fehlt dann wieder dem Geiste des Volkes der pwa_168.031 Sinn für unvermengte Form, für scharfe Abgrenzung der einzelnen pwa_168.032 Gattungen, wie z. B. den vorderen Orientalen, den Hebräern, den pwa_168.033 Arabern. Man kann nicht sagen, dass sie keine Lyrik hätten: sie pwa_168.034 besitzen sogar eine sehr reiche; nur haben sie wenig eigentlich reine, pwa_168.035 lyrische Lyrik. Die Phantasie und das Gefühl dieser Völker hat von pwa_168.036 jeher gern dem Verstande gedient, seiner ernsten Lehrhaftigkeit bei pwa_168.037 den Hebräern, seinem Witz und seinen Spitzfindigkeiten bei den pwa_168.038 Arabern. Daher hat ihre Lyrik, wo sie nicht gradezu noch auf der pwa_168.039 Grenzscheide des Epos steht, immer eine stärkere oder schwächere pwa_168.040 didactische Beimischung. Die Psalmen Davids zeigen das erregteste pwa_168.041 Gemüth, die Dichtungen der Propheten die beweglichste Einbildung,
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/186>, abgerufen am 25.11.2024.
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