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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Zwanzigster Gesang.
Nun wir werden uns wohl nicht wieder trennen, bevor du 180
Diese Fäuste gekostet! Es ist ganz wider die Ordnung,
Solch ein Betteln! Es giebt ja noch andere Schmäuse der Griechen!

Also sprach er; und nichts antwortete jenem Odüßeus,
Sondern schüttelte schweigend sein Haupt, und sann auf Verderben.

Auch der Männerbeherscher Filötios brachte den Freiern 185
Eine gemästete Kuh und fette Ziegen zum Schmause.
Diese kamen vom festen Land' in der Fähre der Schiffer,
Die auch andere fahren, wenn jemand solches begehret.
Und er knüpfte sein Vieh auch unter der tönenden Halle
Fest; dann trat er näher, und fragte den edlen Eumaios: 190

Hüter der Schweine, wer ist der neulich gekommene Fremdling
Hier in unserem Hause? Von welchen rühmlichen Eltern
Stammt er ab? Wo ist sein Geschlecht und väterlich Erbe?
Armer! Wahrlich er trägt der herschenden Könige Bildung!
Aber die Götter verdunkeln das Ansehn irrender Menschen, 195
Auch wenn Königen selbst ein solcher Jammer zu Theil wird.

Also sprach er, und kam und reichte dem edlen Odüßeus
Freundlich die rechte Hand, und sprach die geflügelten Worte:

Freue dich, fremder Vater! Es müße dir wenigstens künftig
Wohl ergehn! Denn jezo umringt dich mancherlei Trübsal! 200
Vater Zeus, du bist doch vor allen Unsterblichen grausam!
Du erbarmest dich nicht der Menschen, die du gezeugt hast,
Sondern verdammst sie alle zu Noth und schrecklichem Jammer!
Heißer und kalter Schweiß umströmte mich, als ich dich sahe,
Und mir thränten die Augen: ich dachte gleich an Odüßeus, 205
Der wohl auch so zerlumpt bei fremden Leuten umherirrt;
Wo er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch schauet

Zwanzigſter Geſang.
Nun wir werden uns wohl nicht wieder trennen, bevor du 180
Dieſe Faͤuſte gekoſtet! Es iſt ganz wider die Ordnung,
Solch ein Betteln! Es giebt ja noch andere Schmaͤuſe der Griechen!

Alſo ſprach er; und nichts antwortete jenem Oduͤßeus,
Sondern ſchuͤttelte ſchweigend ſein Haupt, und ſann auf Verderben.

Auch der Maͤnnerbeherſcher Filoͤtios brachte den Freiern 185
Eine gemaͤſtete Kuh und fette Ziegen zum Schmauſe.
Dieſe kamen vom feſten Land' in der Faͤhre der Schiffer,
Die auch andere fahren, wenn jemand ſolches begehret.
Und er knuͤpfte ſein Vieh auch unter der toͤnenden Halle
Feſt; dann trat er naͤher, und fragte den edlen Eumaios: 190

Huͤter der Schweine, wer iſt der neulich gekommene Fremdling
Hier in unſerem Hauſe? Von welchen ruͤhmlichen Eltern
Stammt er ab? Wo iſt ſein Geſchlecht und vaͤterlich Erbe?
Armer! Wahrlich er traͤgt der herſchenden Koͤnige Bildung!
Aber die Goͤtter verdunkeln das Anſehn irrender Menſchen, 195
Auch wenn Koͤnigen ſelbſt ein ſolcher Jammer zu Theil wird.

Alſo ſprach er, und kam und reichte dem edlen Oduͤßeus
Freundlich die rechte Hand, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Freue dich, fremder Vater! Es muͤße dir wenigſtens kuͤnftig
Wohl ergehn! Denn jezo umringt dich mancherlei Truͤbſal! 200
Vater Zeus, du biſt doch vor allen Unſterblichen grauſam!
Du erbarmeſt dich nicht der Menſchen, die du gezeugt haſt,
Sondern verdammſt ſie alle zu Noth und ſchrecklichem Jammer!
Heißer und kalter Schweiß umſtroͤmte mich, als ich dich ſahe,
Und mir thraͤnten die Augen: ich dachte gleich an Oduͤßeus, 205
Der wohl auch ſo zerlumpt bei fremden Leuten umherirrt;
Wo er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch ſchauet

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[391/0397] Zwanzigſter Geſang. Nun wir werden uns wohl nicht wieder trennen, bevor du Dieſe Faͤuſte gekoſtet! Es iſt ganz wider die Ordnung, Solch ein Betteln! Es giebt ja noch andere Schmaͤuſe der Griechen! 180 Alſo ſprach er; und nichts antwortete jenem Oduͤßeus, Sondern ſchuͤttelte ſchweigend ſein Haupt, und ſann auf Verderben. Auch der Maͤnnerbeherſcher Filoͤtios brachte den Freiern Eine gemaͤſtete Kuh und fette Ziegen zum Schmauſe. Dieſe kamen vom feſten Land' in der Faͤhre der Schiffer, Die auch andere fahren, wenn jemand ſolches begehret. Und er knuͤpfte ſein Vieh auch unter der toͤnenden Halle Feſt; dann trat er naͤher, und fragte den edlen Eumaios: 185 190 Huͤter der Schweine, wer iſt der neulich gekommene Fremdling Hier in unſerem Hauſe? Von welchen ruͤhmlichen Eltern Stammt er ab? Wo iſt ſein Geſchlecht und vaͤterlich Erbe? Armer! Wahrlich er traͤgt der herſchenden Koͤnige Bildung! Aber die Goͤtter verdunkeln das Anſehn irrender Menſchen, Auch wenn Koͤnigen ſelbſt ein ſolcher Jammer zu Theil wird. 195 Alſo ſprach er, und kam und reichte dem edlen Oduͤßeus Freundlich die rechte Hand, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Freue dich, fremder Vater! Es muͤße dir wenigſtens kuͤnftig Wohl ergehn! Denn jezo umringt dich mancherlei Truͤbſal! Vater Zeus, du biſt doch vor allen Unſterblichen grauſam! Du erbarmeſt dich nicht der Menſchen, die du gezeugt haſt, Sondern verdammſt ſie alle zu Noth und ſchrecklichem Jammer! Heißer und kalter Schweiß umſtroͤmte mich, als ich dich ſahe, Und mir thraͤnten die Augen: ich dachte gleich an Oduͤßeus, Der wohl auch ſo zerlumpt bei fremden Leuten umherirrt; Wo er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch ſchauet 200 205

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/397>, abgerufen am 25.11.2024.