Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Achzehnter Gesang.
Oder sendete Zeus uns heute noch Krieg, und ging' ich 375
Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde gerüstet,
Und die Schläfe geschirmt mit einem ehernen Helme;
Sehen solltest du traun! mich unter den vordersten Streitern,
Und mich nicht so höhnend an meinen Magen erinnern!
Aber du bist sehr stolz und menschenfeindliches Herzens! 380
Und du dünkst dir vielleicht ein großer und starker Achaier,
Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapfersten, umgehst!
Aber käm' Odüßeus in seiner Väter Gefilde;
O bald würde die Thüre, so weit sie der Zimmerer baute,
Dennoch zu enge dir sein, wann du zum Hause hinausflöhst! 385

Also sprach er; da ward Eurümachos Herz noch erboßter,
Zürnend schaut' er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:

Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter so vielen
Edlen Männern so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
Plauderst! Traun dich bethört der Weinrausch, oder du bist auch 390
Immer ein solcher Geck, und schwazest solche Geschwäze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?

Also sprach er, und griff nach dem Schemel. Aber Odüßeus
Warf zu Amsinomos Knien, des Dulichiers, eilend sich nieder,
Fürchtend Eurümachos Wurf; und der Schemel flog an des Schenken 395
Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm tönend entstürzte,
Und er selbst mit Geheul auf den Boden rücklings dahinsank.

Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale;
Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:

Wäre der irrende Fremdling doch ferne gestorben, bevor er 400
Ithaka sah; dann brächt' er uns nicht dies laute Getümmel!
Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und schmecken

Achzehnter Geſang.
Oder ſendete Zeus uns heute noch Krieg, und ging' ich 375
Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde geruͤſtet,
Und die Schlaͤfe geſchirmt mit einem ehernen Helme;
Sehen ſollteſt du traun! mich unter den vorderſten Streitern,
Und mich nicht ſo hoͤhnend an meinen Magen erinnern!
Aber du biſt ſehr ſtolz und menſchenfeindliches Herzens! 380
Und du duͤnkſt dir vielleicht ein großer und ſtarker Achaier,
Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapferſten, umgehſt!
Aber kaͤm' Oduͤßeus in ſeiner Vaͤter Gefilde;
O bald wuͤrde die Thuͤre, ſo weit ſie der Zimmerer baute,
Dennoch zu enge dir ſein, wann du zum Hauſe hinausfloͤhſt! 385

Alſo ſprach er; da ward Euruͤmachos Herz noch erboßter,
Zuͤrnend ſchaut' er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter ſo vielen
Edlen Maͤnnern ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten,
Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch 390
Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze!
Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt?

Alſo ſprach er, und griff nach dem Schemel. Aber Oduͤßeus
Warf zu Amſinomos Knien, des Dulichiers, eilend ſich nieder,
Fuͤrchtend Euruͤmachos Wurf; und der Schemel flog an des Schenken 395
Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm toͤnend entſtuͤrzte,
Und er ſelbſt mit Geheul auf den Boden ruͤcklings dahinſank.

Aber nun laͤrmten die Freier umher in dem ſchattichten Saale;
Einer wendete ſich zu ſeinem Nachbar, und ſagte:

Waͤre der irrende Fremdling doch ferne geſtorben, bevor er 400
Ithaka ſah; dann braͤcht' er uns nicht dies laute Getuͤmmel!
Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und ſchmecken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0365" n="359"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Achzehnter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Oder &#x017F;endete Zeus uns heute noch Krieg, und ging' ich <note place="right">375</note><lb/>
Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde geru&#x0364;&#x017F;tet,<lb/>
Und die Schla&#x0364;fe ge&#x017F;chirmt mit einem ehernen Helme;<lb/>
Sehen &#x017F;ollte&#x017F;t du traun! mich unter den vorder&#x017F;ten Streitern,<lb/>
Und mich nicht &#x017F;o ho&#x0364;hnend an meinen Magen erinnern!<lb/>
Aber du bi&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;tolz und men&#x017F;chenfeindliches Herzens! <note place="right">380</note><lb/>
Und du du&#x0364;nk&#x017F;t dir vielleicht ein großer und &#x017F;tarker Achaier,<lb/>
Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapfer&#x017F;ten, umgeh&#x017F;t!<lb/>
Aber ka&#x0364;m' Odu&#x0364;ßeus in &#x017F;einer Va&#x0364;ter Gefilde;<lb/>
O bald wu&#x0364;rde die Thu&#x0364;re, &#x017F;o weit &#x017F;ie der Zimmerer baute,<lb/>
Dennoch zu enge dir &#x017F;ein, wann du zum Hau&#x017F;e hinausflo&#x0364;h&#x017F;t! <note place="right">385</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er; da ward Euru&#x0364;machos Herz noch erboßter,<lb/>
Zu&#x0364;rnend &#x017F;chaut' er ihn an, und &#x017F;prach die geflu&#x0364;gelten Worte:</p><lb/>
        <p>Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter &#x017F;o vielen<lb/>
Edlen Ma&#x0364;nnern &#x017F;o drei&#x017F;t, und ohne jemand zu fu&#x0364;rchten,<lb/>
Plauder&#x017F;t! Traun dich betho&#x0364;rt der Weinrau&#x017F;ch, oder du bi&#x017F;t auch <note place="right">390</note><lb/>
Immer ein &#x017F;olcher Geck, und &#x017F;chwaze&#x017F;t &#x017F;olche Ge&#x017F;chwa&#x0364;ze!<lb/>
Oder &#x017F;chwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, be&#x017F;iegt ha&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und griff nach dem Schemel. Aber Odu&#x0364;ßeus<lb/>
Warf zu Am&#x017F;inomos Knien, des Dulichiers, eilend &#x017F;ich nieder,<lb/>
Fu&#x0364;rchtend Euru&#x0364;machos Wurf; und der Schemel flog an des Schenken <note place="right">395</note><lb/>
Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm to&#x0364;nend ent&#x017F;tu&#x0364;rzte,<lb/>
Und er &#x017F;elb&#x017F;t mit Geheul auf den Boden ru&#x0364;cklings dahin&#x017F;ank.</p><lb/>
        <p>Aber nun la&#x0364;rmten die Freier umher in dem &#x017F;chattichten Saale;<lb/>
Einer wendete &#x017F;ich zu &#x017F;einem Nachbar, und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>Wa&#x0364;re der irrende Fremdling doch ferne ge&#x017F;torben, bevor er <note place="right">400</note><lb/>
Ithaka &#x017F;ah; dann bra&#x0364;cht' er uns nicht dies laute Getu&#x0364;mmel!<lb/>
Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und &#x017F;chmecken<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0365] Achzehnter Geſang. Oder ſendete Zeus uns heute noch Krieg, und ging' ich Mit zwo blinkenden Lanzen und einem Schilde geruͤſtet, Und die Schlaͤfe geſchirmt mit einem ehernen Helme; Sehen ſollteſt du traun! mich unter den vorderſten Streitern, Und mich nicht ſo hoͤhnend an meinen Magen erinnern! Aber du biſt ſehr ſtolz und menſchenfeindliches Herzens! Und du duͤnkſt dir vielleicht ein großer und ſtarker Achaier, Weil du mit wenigen Leuten, und nicht den tapferſten, umgehſt! Aber kaͤm' Oduͤßeus in ſeiner Vaͤter Gefilde; O bald wuͤrde die Thuͤre, ſo weit ſie der Zimmerer baute, Dennoch zu enge dir ſein, wann du zum Hauſe hinausfloͤhſt! 375 380 385 Alſo ſprach er; da ward Euruͤmachos Herz noch erboßter, Zuͤrnend ſchaut' er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Elender, gleich empfange den Lohn, daß du unter ſo vielen Edlen Maͤnnern ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten, Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze! Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt? 390 Alſo ſprach er, und griff nach dem Schemel. Aber Oduͤßeus Warf zu Amſinomos Knien, des Dulichiers, eilend ſich nieder, Fuͤrchtend Euruͤmachos Wurf; und der Schemel flog an des Schenken Rechte Hand, daß die Kanne voll Weins ihm toͤnend entſtuͤrzte, Und er ſelbſt mit Geheul auf den Boden ruͤcklings dahinſank. 395 Aber nun laͤrmten die Freier umher in dem ſchattichten Saale; Einer wendete ſich zu ſeinem Nachbar, und ſagte: Waͤre der irrende Fremdling doch ferne geſtorben, bevor er Ithaka ſah; dann braͤcht' er uns nicht dies laute Getuͤmmel! Aber wir zanken uns hier um den leidigen Bettler, und ſchmecken 400

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/365
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/365>, abgerufen am 25.11.2024.