Mit dem Schilde die Schulter bedeckt, und schlummerten ruhig. Aber ich Unbesonnener ließ den Mantel beim Weggehn 480 Meinen Gefährten zurück, denn ich achtete gar nicht der Kälte; Und ging bloß mit dem Schild' und schöngegürteten Leibrock. Doch in der dritten Wache der Nacht, da die Sterne sich neigten, Stieß ich Odüßeus, der mir zur Seiten lag, mit dem Arme, Und sprach schaudernd zu ihm; und schnell war er munter, und hörte: 485
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odüßeus, Lange bleib' ich nicht mehr bei den Lebenden; sondern mich tödtet Frost, denn ich ließ den Mantel zurück; mich verführte mein Dämon, Bloß im Rocke zu gehn: und nun ist keine Errettung!
Also sprach ich, und schnell beschloß er dieses im Herzen; 490 So wie immer der Held zum Rath und Kampfe bereit war: Eilend erwiedert' er mir mit leiseflisternder Stimme:
Schweige jezt, damit kein andrer Achaier dich höre! Sprachs, und stüzte das Haupt auf den Ellenbogen, und sagte:
Hört, ihr Lieben, ein göttlicher Traum erschien mir im Schlafe. 495 Wir sind weit von den Schiffen entfernt! O ginge doch einer, Atreus Sohn' Agamemnon, dem Hirten der Völker, zu sagen, Daß er noch mehren vom Ufer hieher zu eilen geböte!
Also sprach er; und Thoas, der Sohn Andraimons, erhub sich Eilend, und warf zur Erde den schönen purpurnen Mantel, 500 Und lief schnell zu den Schiffen; und ich umhüllte mir freudig Sein Gewand, und lag, bis die Morgenröthe heraufstieg. Wollte Gott, ich grünte noch jezt in der Fülle der Jugend! Ach! dann schenkte mir wohl ein Sauhirt hier in der Hütte Einen Mantel, aus Lieb' und Achtung gegen den Tapfern! 505 Nun verachten sie mich, weil ich so elend bedeckt bin!
Vierzehnter Geſang.
Mit dem Schilde die Schulter bedeckt, und ſchlummerten ruhig. Aber ich Unbeſonnener ließ den Mantel beim Weggehn 480 Meinen Gefaͤhrten zuruͤck, denn ich achtete gar nicht der Kaͤlte; Und ging bloß mit dem Schild' und ſchoͤngeguͤrteten Leibrock. Doch in der dritten Wache der Nacht, da die Sterne ſich neigten, Stieß ich Oduͤßeus, der mir zur Seiten lag, mit dem Arme, Und ſprach ſchaudernd zu ihm; und ſchnell war er munter, und hoͤrte: 485
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus, Lange bleib' ich nicht mehr bei den Lebenden; ſondern mich toͤdtet Froſt, denn ich ließ den Mantel zuruͤck; mich verfuͤhrte mein Daͤmon, Bloß im Rocke zu gehn: und nun iſt keine Errettung!
Alſo ſprach ich, und ſchnell beſchloß er dieſes im Herzen; 490 So wie immer der Held zum Rath und Kampfe bereit war: Eilend erwiedert' er mir mit leiſefliſternder Stimme:
Schweige jezt, damit kein andrer Achaier dich hoͤre! Sprachs, und ſtuͤzte das Haupt auf den Ellenbogen, und ſagte:
Hoͤrt, ihr Lieben, ein goͤttlicher Traum erſchien mir im Schlafe. 495 Wir ſind weit von den Schiffen entfernt! O ginge doch einer, Atreus Sohn' Agamemnon, dem Hirten der Voͤlker, zu ſagen, Daß er noch mehren vom Ufer hieher zu eilen geboͤte!
Alſo ſprach er; und Thoas, der Sohn Andraimons, erhub ſich Eilend, und warf zur Erde den ſchoͤnen purpurnen Mantel, 500 Und lief ſchnell zu den Schiffen; und ich umhuͤllte mir freudig Sein Gewand, und lag, bis die Morgenroͤthe heraufſtieg. Wollte Gott, ich gruͤnte noch jezt in der Fuͤlle der Jugend! Ach! dann ſchenkte mir wohl ein Sauhirt hier in der Huͤtte Einen Mantel, aus Lieb' und Achtung gegen den Tapfern! 505 Nun verachten ſie mich, weil ich ſo elend bedeckt bin!
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Vierzehnter Geſang.
Mit dem Schilde die Schulter bedeckt, und ſchlummerten ruhig.
Aber ich Unbeſonnener ließ den Mantel beim Weggehn
Meinen Gefaͤhrten zuruͤck, denn ich achtete gar nicht der Kaͤlte;
Und ging bloß mit dem Schild' und ſchoͤngeguͤrteten Leibrock.
Doch in der dritten Wache der Nacht, da die Sterne ſich neigten,
Stieß ich Oduͤßeus, der mir zur Seiten lag, mit dem Arme,
Und ſprach ſchaudernd zu ihm; und ſchnell war er munter, und hoͤrte:
480
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Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus,
Lange bleib' ich nicht mehr bei den Lebenden; ſondern mich toͤdtet
Froſt, denn ich ließ den Mantel zuruͤck; mich verfuͤhrte mein Daͤmon,
Bloß im Rocke zu gehn: und nun iſt keine Errettung!
Alſo ſprach ich, und ſchnell beſchloß er dieſes im Herzen;
So wie immer der Held zum Rath und Kampfe bereit war:
Eilend erwiedert' er mir mit leiſefliſternder Stimme:
490
Schweige jezt, damit kein andrer Achaier dich hoͤre!
Sprachs, und ſtuͤzte das Haupt auf den Ellenbogen, und ſagte:
Hoͤrt, ihr Lieben, ein goͤttlicher Traum erſchien mir im Schlafe.
Wir ſind weit von den Schiffen entfernt! O ginge doch einer,
Atreus Sohn' Agamemnon, dem Hirten der Voͤlker, zu ſagen,
Daß er noch mehren vom Ufer hieher zu eilen geboͤte!
495
Alſo ſprach er; und Thoas, der Sohn Andraimons, erhub ſich
Eilend, und warf zur Erde den ſchoͤnen purpurnen Mantel,
Und lief ſchnell zu den Schiffen; und ich umhuͤllte mir freudig
Sein Gewand, und lag, bis die Morgenroͤthe heraufſtieg.
Wollte Gott, ich gruͤnte noch jezt in der Fuͤlle der Jugend!
Ach! dann ſchenkte mir wohl ein Sauhirt hier in der Huͤtte
Einen Mantel, aus Lieb' und Achtung gegen den Tapfern!
Nun verachten ſie mich, weil ich ſo elend bedeckt bin!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/287>, abgerufen am 22.07.2024.
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