Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Und im zehnten verheerten wir Priamos thürmende Veste,
Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zerstreute die Griechen.
Ueber mich Armen verhängte der Rath Kronions ein Unglück.
Denn nur Einen Monat verweilt' ich daheim, mit dem Weibe
Meiner Jugend, den Kindern und meinem Gesinde mich freuend. 245
Und mich reizte mein Herz, mit göttergleichen Gefährten
Einige Schiffe zu rüsten, und nach dem Aigüptos zu segeln.
Und ich rüstete neun, und schnell war die Menge versammelt.
Hierauf schmausten bei mir sechs Tage die lieben Gefährten,
Und ich schlachtete viele gemästete Thiere zum Opfer 250
Für die seligen Götter, und zum erfreuenden Schmause.
Aber am siebenten Tage verließen wir Kräta, und fuhren,
Unter dem lieblichen Wehn des reinen beständigen Nordwinds,
Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe
Wurde verlezt; wir saßen, gesund und fröhliches Mutes, 255
Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind' und Steuer uns lenken.
Aber am fünften Tag' erreichten wir des Aigüptos V. 257.
Herlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker.
Dringend ermahnt' ich jezo die lieben Reisegefährten,
An dem Gestade zu bleiben, und unsere Schiffe zu hüten, 260
Und versendete Wachen umher auf die Höhen des Landes.
Aber sie wurden von Troz und Uebermute verleitet,
Daß sie ohne Vorzug der Aigüpter schöne Gefilde
Plünderten, ihre Weiber gefangen führten, die Männer
Und unmündigen Kinder ermordeten. Und ihr Geschrei kam 265
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen sich röthete, zogen

V. 257. Der Ausfluß des Aigüptos oder Nils war damals noch nahe unter
der Königsstadt Memfis.

Oduͤßee.
Und im zehnten verheerten wir Priamos thuͤrmende Veſte,
Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zerſtreute die Griechen.
Ueber mich Armen verhaͤngte der Rath Kronions ein Ungluͤck.
Denn nur Einen Monat verweilt' ich daheim, mit dem Weibe
Meiner Jugend, den Kindern und meinem Geſinde mich freuend. 245
Und mich reizte mein Herz, mit goͤttergleichen Gefaͤhrten
Einige Schiffe zu ruͤſten, und nach dem Aiguͤptos zu ſegeln.
Und ich ruͤſtete neun, und ſchnell war die Menge verſammelt.
Hierauf ſchmauſten bei mir ſechs Tage die lieben Gefaͤhrten,
Und ich ſchlachtete viele gemaͤſtete Thiere zum Opfer 250
Fuͤr die ſeligen Goͤtter, und zum erfreuenden Schmauſe.
Aber am ſiebenten Tage verließen wir Kraͤta, und fuhren,
Unter dem lieblichen Wehn des reinen beſtaͤndigen Nordwinds,
Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe
Wurde verlezt; wir ſaßen, geſund und froͤhliches Mutes, 255
Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind' und Steuer uns lenken.
Aber am fuͤnften Tag' erreichten wir des Aiguͤptos V. 257.
Herlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker.
Dringend ermahnt' ich jezo die lieben Reiſegefaͤhrten,
An dem Geſtade zu bleiben, und unſere Schiffe zu huͤten, 260
Und verſendete Wachen umher auf die Hoͤhen des Landes.
Aber ſie wurden von Troz und Uebermute verleitet,
Daß ſie ohne Vorzug der Aiguͤpter ſchoͤne Gefilde
Pluͤnderten, ihre Weiber gefangen fuͤhrten, die Maͤnner
Und unmuͤndigen Kinder ermordeten. Und ihr Geſchrei kam 265
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen ſich roͤthete, zogen

V. 257. Der Ausfluß des Aiguͤptos oder Nils war damals noch nahe unter
der Koͤnigsſtadt Memfis.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Und im zehnten verheerten wir Priamos thu&#x0364;rmende Ve&#x017F;te,<lb/>
Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zer&#x017F;treute die Griechen.<lb/>
Ueber mich Armen verha&#x0364;ngte der Rath Kronions ein Unglu&#x0364;ck.<lb/>
Denn nur Einen Monat verweilt' ich daheim, mit dem Weibe<lb/>
Meiner Jugend, den Kindern und meinem Ge&#x017F;inde mich freuend. <note place="right">245</note><lb/>
Und mich reizte mein Herz, mit go&#x0364;ttergleichen Gefa&#x0364;hrten<lb/>
Einige Schiffe zu ru&#x0364;&#x017F;ten, und nach dem Aigu&#x0364;ptos zu &#x017F;egeln.<lb/>
Und ich ru&#x0364;&#x017F;tete neun, und &#x017F;chnell war die Menge ver&#x017F;ammelt.<lb/>
Hierauf &#x017F;chmau&#x017F;ten bei mir &#x017F;echs Tage die lieben Gefa&#x0364;hrten,<lb/>
Und ich &#x017F;chlachtete viele gema&#x0364;&#x017F;tete Thiere zum Opfer <note place="right">250</note><lb/>
Fu&#x0364;r die &#x017F;eligen Go&#x0364;tter, und zum erfreuenden Schmau&#x017F;e.<lb/>
Aber am &#x017F;iebenten Tage verließen wir Kra&#x0364;ta, und fuhren,<lb/>
Unter dem lieblichen Wehn des reinen be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Nordwinds,<lb/>
Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe<lb/>
Wurde verlezt; wir &#x017F;aßen, ge&#x017F;und und fro&#x0364;hliches Mutes, <note place="right">255</note><lb/>
Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind' und Steuer uns lenken.<lb/>
Aber am fu&#x0364;nften Tag' erreichten wir des Aigu&#x0364;ptos <note place="foot" n="V. 257.">Der Ausfluß des Aigu&#x0364;ptos oder Nils war damals noch nahe unter<lb/>
der Ko&#x0364;nigs&#x017F;tadt Memfis.</note><lb/>
Herlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker.<lb/>
Dringend ermahnt' ich jezo die lieben Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten,<lb/>
An dem Ge&#x017F;tade zu bleiben, und un&#x017F;ere Schiffe zu hu&#x0364;ten, <note place="right">260</note><lb/>
Und ver&#x017F;endete Wachen umher auf die Ho&#x0364;hen des Landes.<lb/>
Aber &#x017F;ie wurden von Troz und Uebermute verleitet,<lb/>
Daß &#x017F;ie ohne Vorzug der Aigu&#x0364;pter &#x017F;cho&#x0364;ne Gefilde<lb/>
Plu&#x0364;nderten, ihre Weiber gefangen fu&#x0364;hrten, die Ma&#x0364;nner<lb/>
Und unmu&#x0364;ndigen Kinder ermordeten. Und ihr Ge&#x017F;chrei kam <note place="right">265</note><lb/>
Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen &#x017F;ich ro&#x0364;thete, zogen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0278] Oduͤßee. Und im zehnten verheerten wir Priamos thuͤrmende Veſte, Steurten dann heim mit den Schiffen; und Gott zerſtreute die Griechen. Ueber mich Armen verhaͤngte der Rath Kronions ein Ungluͤck. Denn nur Einen Monat verweilt' ich daheim, mit dem Weibe Meiner Jugend, den Kindern und meinem Geſinde mich freuend. Und mich reizte mein Herz, mit goͤttergleichen Gefaͤhrten Einige Schiffe zu ruͤſten, und nach dem Aiguͤptos zu ſegeln. Und ich ruͤſtete neun, und ſchnell war die Menge verſammelt. Hierauf ſchmauſten bei mir ſechs Tage die lieben Gefaͤhrten, Und ich ſchlachtete viele gemaͤſtete Thiere zum Opfer Fuͤr die ſeligen Goͤtter, und zum erfreuenden Schmauſe. Aber am ſiebenten Tage verließen wir Kraͤta, und fuhren, Unter dem lieblichen Wehn des reinen beſtaͤndigen Nordwinds, Sanft, wie mit dem Strome, dahin; und keines der Schiffe Wurde verlezt; wir ſaßen, geſund und froͤhliches Mutes, Auf dem Verdeck, und ließen vom Wind' und Steuer uns lenken. Aber am fuͤnften Tag' erreichten wir des Aiguͤptos V. 257. Herlichen Strom, und ich legte die gleichen Schiffe vor Anker. Dringend ermahnt' ich jezo die lieben Reiſegefaͤhrten, An dem Geſtade zu bleiben, und unſere Schiffe zu huͤten, Und verſendete Wachen umher auf die Hoͤhen des Landes. Aber ſie wurden von Troz und Uebermute verleitet, Daß ſie ohne Vorzug der Aiguͤpter ſchoͤne Gefilde Pluͤnderten, ihre Weiber gefangen fuͤhrten, die Maͤnner Und unmuͤndigen Kinder ermordeten. Und ihr Geſchrei kam Schnell in die Stadt. Sobald der Morgen ſich roͤthete, zogen 245 250 255 260 265 V. 257. Der Ausfluß des Aiguͤptos oder Nils war damals noch nahe unter der Koͤnigsſtadt Memfis.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/278
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/278>, abgerufen am 18.05.2024.