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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Aber mit herzlichen Thränen erwartet sie deine Zurückkunft.
Allen verheißt sie Gunst, und sendet jedem besonders
Schmeichelnde Botschaft; allein im Herzen denket sie anders.

Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: 380
Weh mir! ich wäre gewiß, wie Atreus Sohn Agamemnon,
Nun des schmählichsten Todes in meinem Hause gestorben,
Hättest du, Göttin, mir nicht umständlich das alles verkündigt!
Aber nun gieb mir Rath, wie ich die Freier bestrafe.
Stehe du selber mir bei, und hauche mir Mut und Entschluß ein, 385
Wie vordem, da wir Troja die prächtiggethürmte zerstörten!
Stündest du nun so eifrig mir bei, blauäugichte Göttin,
Siehe so ging ich getrost dreihundert Feinden entgegen,
Heilige Göttin, mit dir, wenn du mir Hülfe gewährtest!

Drauf antwortete Zeus blauäugichte Tochter Athänä: 390
Gerne steh ich dir bei; du sollst mein nimmer entbehren,
Wann wir die Arbeit einst beginnen. Auch hoff' ich, es werde
Mancher mit Blut und Gehirn den weiten Boden besudeln,
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Aber damit dich keiner der sterblichen Menschen erkenne; 395
Muß einschrumpfen das schöne Fleisch der biegsamen Glieder,
Und das bräunliche Haar vom Haupte verschwinden; ein Kittel
Dich umhüllen, den jeglicher Mensch mit Ekel betrachte;
Triefend und blöde sein die anmutstralenden Augen:
Daß du so ungestalt vor allen Freiern erscheinest, 400
Deinem Weib', und dem Sohne, den du im Hause verließest.
Hierauf gehe zuerst dorthin, wo der trefliche Sauhirt
Deiner Schweine hütet, der stets mit Eifer dir anhängt,
Und Tälemachos liebt und die züchtige Pänelopeia.

Oduͤßee.
Aber mit herzlichen Thraͤnen erwartet ſie deine Zuruͤckkunft.
Allen verheißt ſie Gunſt, und ſendet jedem beſonders
Schmeichelnde Botſchaft; allein im Herzen denket ſie anders.

Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: 380
Weh mir! ich waͤre gewiß, wie Atreus Sohn Agamemnon,
Nun des ſchmaͤhlichſten Todes in meinem Hauſe geſtorben,
Haͤtteſt du, Goͤttin, mir nicht umſtaͤndlich das alles verkuͤndigt!
Aber nun gieb mir Rath, wie ich die Freier beſtrafe.
Stehe du ſelber mir bei, und hauche mir Mut und Entſchluß ein, 385
Wie vordem, da wir Troja die praͤchtiggethuͤrmte zerſtoͤrten!
Stuͤndeſt du nun ſo eifrig mir bei, blauaͤugichte Goͤttin,
Siehe ſo ging ich getroſt dreihundert Feinden entgegen,
Heilige Goͤttin, mit dir, wenn du mir Huͤlfe gewaͤhrteſt!

Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: 390
Gerne ſteh ich dir bei; du ſollſt mein nimmer entbehren,
Wann wir die Arbeit einſt beginnen. Auch hoff' ich, es werde
Mancher mit Blut und Gehirn den weiten Boden beſudeln,
Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren.
Aber damit dich keiner der ſterblichen Menſchen erkenne; 395
Muß einſchrumpfen das ſchoͤne Fleiſch der biegſamen Glieder,
Und das braͤunliche Haar vom Haupte verſchwinden; ein Kittel
Dich umhuͤllen, den jeglicher Menſch mit Ekel betrachte;
Triefend und bloͤde ſein die anmutſtralenden Augen:
Daß du ſo ungeſtalt vor allen Freiern erſcheineſt, 400
Deinem Weib', und dem Sohne, den du im Hauſe verließeſt.
Hierauf gehe zuerſt dorthin, wo der trefliche Sauhirt
Deiner Schweine huͤtet, der ſtets mit Eifer dir anhaͤngt,
Und Taͤlemachos liebt und die zuͤchtige Paͤnelopeia.

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[260/0266] Oduͤßee. Aber mit herzlichen Thraͤnen erwartet ſie deine Zuruͤckkunft. Allen verheißt ſie Gunſt, und ſendet jedem beſonders Schmeichelnde Botſchaft; allein im Herzen denket ſie anders. Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Weh mir! ich waͤre gewiß, wie Atreus Sohn Agamemnon, Nun des ſchmaͤhlichſten Todes in meinem Hauſe geſtorben, Haͤtteſt du, Goͤttin, mir nicht umſtaͤndlich das alles verkuͤndigt! Aber nun gieb mir Rath, wie ich die Freier beſtrafe. Stehe du ſelber mir bei, und hauche mir Mut und Entſchluß ein, Wie vordem, da wir Troja die praͤchtiggethuͤrmte zerſtoͤrten! Stuͤndeſt du nun ſo eifrig mir bei, blauaͤugichte Goͤttin, Siehe ſo ging ich getroſt dreihundert Feinden entgegen, Heilige Goͤttin, mit dir, wenn du mir Huͤlfe gewaͤhrteſt! 380 385 Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Gerne ſteh ich dir bei; du ſollſt mein nimmer entbehren, Wann wir die Arbeit einſt beginnen. Auch hoff' ich, es werde Mancher mit Blut und Gehirn den weiten Boden beſudeln, Von der Rotte der Freier, die deine Habe verzehren. Aber damit dich keiner der ſterblichen Menſchen erkenne; Muß einſchrumpfen das ſchoͤne Fleiſch der biegſamen Glieder, Und das braͤunliche Haar vom Haupte verſchwinden; ein Kittel Dich umhuͤllen, den jeglicher Menſch mit Ekel betrachte; Triefend und bloͤde ſein die anmutſtralenden Augen: Daß du ſo ungeſtalt vor allen Freiern erſcheineſt, Deinem Weib', und dem Sohne, den du im Hauſe verließeſt. Hierauf gehe zuerſt dorthin, wo der trefliche Sauhirt Deiner Schweine huͤtet, der ſtets mit Eifer dir anhaͤngt, Und Taͤlemachos liebt und die zuͤchtige Paͤnelopeia. 390 395 400

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/266>, abgerufen am 22.11.2024.