Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Odüßee. Aber ich schaute sie nirgends, obgleich die Augen mir schmerzten,Da ich nach jeder Kluft des braunen Felsen emporsah. Seufzend ruderten wir hinein in die schreckliche Enge: Denn hier drohete Skülla, und dort die wilde Charübdis, 235 Welche die salzige Flut des Meeres fürchterlich einschlang. Wenn sie die Flut ausbrach; wie ein Keßel auf flammendem Feuer, Brauste mit Ungestüm ihr siedender Strudel, und hochauf Sprizte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felsen. Wenn sie die salzige Flut des Meeres wieder hineinschlang; 240 Senkte sich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes Schwarze Kiesel hervor. Und bleiches Entsezen ergriff uns. Während wir nun, in der Angst des Todes, alle dahinsahn, Neigte sich Skülla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes 245 Mir sechs Männer, die stärksten an Mut und nervichten Armen. Als ich jezt auf das eilende Schiff und die Freunde zurücksah; Da erblickt' ich schon oben die Händ' und Füße der Lieben, Die hoch über mir schwebten; sie schrien und jammerten alle Laut, und riefen mir, ach! zum leztenmale! beim Namen. 250 Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fischer Laurend den kleinen Fischen die ködertragende Angel, An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres Wirft, und die zappelnde Beute geschwind' ans Ufer hinaufschwenkt: Also wurden sie zappelnd empor an dem Felsen gehoben. 255 Dort an der Höhle fraß sie das Ungeheuer, und schreiend Streckten jene nach mir, in der grausamsten Marter, die Händ' aus. Nichts erbärmlichers hab' ich mit meinen Augen gesehen, So viel Jammer mich auch im stürmenden Meere verfolgte! Oduͤßee. Aber ich ſchaute ſie nirgends, obgleich die Augen mir ſchmerzten,Da ich nach jeder Kluft des braunen Felſen emporſah. Seufzend ruderten wir hinein in die ſchreckliche Enge: Denn hier drohete Skuͤlla, und dort die wilde Charuͤbdis, 235 Welche die ſalzige Flut des Meeres fuͤrchterlich einſchlang. Wenn ſie die Flut ausbrach; wie ein Keßel auf flammendem Feuer, Brauſte mit Ungeſtuͤm ihr ſiedender Strudel, und hochauf Sprizte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felſen. Wenn ſie die ſalzige Flut des Meeres wieder hineinſchlang; 240 Senkte ſich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes Schwarze Kieſel hervor. Und bleiches Entſezen ergriff uns. Waͤhrend wir nun, in der Angſt des Todes, alle dahinſahn, Neigte ſich Skuͤlla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes 245 Mir ſechs Maͤnner, die ſtaͤrkſten an Mut und nervichten Armen. Als ich jezt auf das eilende Schiff und die Freunde zuruͤckſah; Da erblickt' ich ſchon oben die Haͤnd' und Fuͤße der Lieben, Die hoch uͤber mir ſchwebten; ſie ſchrien und jammerten alle Laut, und riefen mir, ach! zum leztenmale! beim Namen. 250 Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fiſcher Laurend den kleinen Fiſchen die koͤdertragende Angel, An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres Wirft, und die zappelnde Beute geſchwind' ans Ufer hinaufſchwenkt: Alſo wurden ſie zappelnd empor an dem Felſen gehoben. 255 Dort an der Hoͤhle fraß ſie das Ungeheuer, und ſchreiend Streckten jene nach mir, in der grauſamſten Marter, die Haͤnd' aus. Nichts erbaͤrmlichers hab' ich mit meinen Augen geſehen, So viel Jammer mich auch im ſtuͤrmenden Meere verfolgte! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0244" n="238"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/> Aber ich ſchaute ſie nirgends, obgleich die Augen mir ſchmerzten,<lb/> Da ich nach jeder Kluft des braunen Felſen emporſah.<lb/> Seufzend ruderten wir hinein in die ſchreckliche Enge:<lb/> Denn hier drohete Skuͤlla, und dort die wilde Charuͤbdis, <note place="right">235</note><lb/> Welche die ſalzige Flut des Meeres fuͤrchterlich einſchlang.<lb/> Wenn ſie die Flut ausbrach; wie ein Keßel auf flammendem Feuer,<lb/> Brauſte mit Ungeſtuͤm ihr ſiedender Strudel, und hochauf<lb/> Sprizte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felſen.<lb/> Wenn ſie die ſalzige Flut des Meeres wieder hineinſchlang; <note place="right">240</note><lb/> Senkte ſich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum<lb/> Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes<lb/> Schwarze Kieſel hervor. Und bleiches Entſezen ergriff uns.<lb/> Waͤhrend wir nun, in der Angſt des Todes, alle dahinſahn,<lb/> Neigte ſich Skuͤlla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes <note place="right">245</note><lb/> Mir ſechs Maͤnner, die ſtaͤrkſten an Mut und nervichten Armen.<lb/> Als ich jezt auf das eilende Schiff und die Freunde zuruͤckſah;<lb/> Da erblickt' ich ſchon oben die Haͤnd' und Fuͤße der Lieben,<lb/> Die hoch uͤber mir ſchwebten; ſie ſchrien und jammerten alle<lb/> Laut, und riefen mir, ach! zum leztenmale! beim Namen. <note place="right">250</note><lb/> Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fiſcher<lb/> Laurend den kleinen Fiſchen die koͤdertragende Angel,<lb/> An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres<lb/> Wirft, und die zappelnde Beute geſchwind' ans Ufer hinaufſchwenkt:<lb/> Alſo wurden ſie zappelnd empor an dem Felſen gehoben. <note place="right">255</note><lb/> Dort an der Hoͤhle fraß ſie das Ungeheuer, und ſchreiend<lb/> Streckten jene nach mir, in der grauſamſten Marter, die Haͤnd' aus.<lb/> Nichts erbaͤrmlichers hab' ich mit meinen Augen geſehen,<lb/> So viel Jammer mich <choice><sic>anch</sic><corr>auch</corr></choice> im ſtuͤrmenden Meere verfolgte!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [238/0244]
Oduͤßee.
Aber ich ſchaute ſie nirgends, obgleich die Augen mir ſchmerzten,
Da ich nach jeder Kluft des braunen Felſen emporſah.
Seufzend ruderten wir hinein in die ſchreckliche Enge:
Denn hier drohete Skuͤlla, und dort die wilde Charuͤbdis,
Welche die ſalzige Flut des Meeres fuͤrchterlich einſchlang.
Wenn ſie die Flut ausbrach; wie ein Keßel auf flammendem Feuer,
Brauſte mit Ungeſtuͤm ihr ſiedender Strudel, und hochauf
Sprizte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der Felſen.
Wenn ſie die ſalzige Flut des Meeres wieder hineinſchlang;
Senkte ſich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum
Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes
Schwarze Kieſel hervor. Und bleiches Entſezen ergriff uns.
Waͤhrend wir nun, in der Angſt des Todes, alle dahinſahn,
Neigte ſich Skuͤlla herab, und nahm aus dem Raume des Schiffes
Mir ſechs Maͤnner, die ſtaͤrkſten an Mut und nervichten Armen.
Als ich jezt auf das eilende Schiff und die Freunde zuruͤckſah;
Da erblickt' ich ſchon oben die Haͤnd' und Fuͤße der Lieben,
Die hoch uͤber mir ſchwebten; ſie ſchrien und jammerten alle
Laut, und riefen mir, ach! zum leztenmale! beim Namen.
Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fiſcher
Laurend den kleinen Fiſchen die koͤdertragende Angel,
An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres
Wirft, und die zappelnde Beute geſchwind' ans Ufer hinaufſchwenkt:
Alſo wurden ſie zappelnd empor an dem Felſen gehoben.
Dort an der Hoͤhle fraß ſie das Ungeheuer, und ſchreiend
Streckten jene nach mir, in der grauſamſten Marter, die Haͤnd' aus.
Nichts erbaͤrmlichers hab' ich mit meinen Augen geſehen,
So viel Jammer mich auch im ſtuͤrmenden Meere verfolgte!
235
240
245
250
255
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |