Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwölfter Gesang.
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
Die auf der Wiese sizen, von aufgehäuftem Gebeine 45
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß Niemand
Von den andern sie höre. Doch willst du selber sie hören;
Siehe dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe, 50
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen:
Daß du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.
Flehst du die Freunde nun an, und befiehlst die Seile zu lösen;
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch stärker!

Sind nun deine Gefährten bei diesen vorüber gerudert, 55
Dann bestimm' ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten
Oder zur Linken dein Schiff hinsteuren müßest; erwäg' es
Selber in deinem Geist. Ich will dir beide bezeichnen.

Hier stürmt gegen den Fuß der überhangenden Klippen V. 59.
Hochaufbrausend die Woge der bläulichen Amsitritä. 60
Irrende Klippen nennt sie die Sprache der seligen Götter.
Selbst kein fliegender Vogel, noch selbst die schüchternen Tauben
Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambrosia bringen; V. 63.
Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beständig!
Aber der Vater erschafft eine andre, die Zahl zu ergänzen. 65

V. 59. Auf der einen Seite, nämlich Odüßeus zur Rechten, sind die irren[-]
den feuerspeienden Klippen, (man meinte die liparischen Inseln;) und auf der an[-]
dern, zur Linken, V. 73. Skülla und Charübdis.
V. 63. Die Ambrosia quoll nicht weit vom Ozeanstrom in Elisium, und wurde
von Tauben nach dem Berge Olümpos gebracht.

Zwoͤlfter Geſang.
Und unmuͤndige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Geſang der Sirenen,
Die auf der Wieſe ſizen, von aufgehaͤuftem Gebeine 45
Modernder Menſchen umringt und ausgetrockneten Haͤuten.
Aber du ſteure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geſchmolzenen Wachſe der Honigſcheiben, daß Niemand
Von den andern ſie hoͤre. Doch willſt du ſelber ſie hoͤren;
Siehe dann binde man dich an Haͤnden und Fuͤßen im Schiffe, 50
Aufrecht ſtehend am Maſte, mit feſtumſchlungenen Seilen:
Daß du den holden Geſang der zwo Sirenen vernehmeſt.
Flehſt du die Freunde nun an, und befiehlſt die Seile zu loͤſen;
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch ſtaͤrker!

Sind nun deine Gefaͤhrten bei dieſen voruͤber gerudert, 55
Dann beſtimm' ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten
Oder zur Linken dein Schiff hinſteuren muͤßeſt; erwaͤg' es
Selber in deinem Geiſt. Ich will dir beide bezeichnen.

Hier ſtuͤrmt gegen den Fuß der uͤberhangenden Klippen V. 59.
Hochaufbrauſend die Woge der blaͤulichen Amſitritaͤ. 60
Irrende Klippen nennt ſie die Sprache der ſeligen Goͤtter.
Selbſt kein fliegender Vogel, noch ſelbſt die ſchuͤchternen Tauben
Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambroſia bringen; V. 63.
Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beſtaͤndig!
Aber der Vater erſchafft eine andre, die Zahl zu ergaͤnzen. 65

V. 59. Auf der einen Seite, naͤmlich Oduͤßeus zur Rechten, ſind die irren[-]
den feuerſpeienden Klippen, (man meinte die lipariſchen Inſeln;) und auf der an[-]
dern, zur Linken, V. 73. Skuͤlla und Charuͤbdis.
V. 63. Die Ambroſia quoll nicht weit vom Ozeanſtrom in Eliſium, und wurde
von Tauben nach dem Berge Oluͤmpos gebracht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="231"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zwo&#x0364;lfter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Und unmu&#x0364;ndige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;<lb/>
Denn es bezaubert ihn der helle Ge&#x017F;ang der Sirenen,<lb/>
Die auf der Wie&#x017F;e &#x017F;izen, von aufgeha&#x0364;uftem Gebeine <note place="right">45</note><lb/>
Modernder Men&#x017F;chen umringt und ausgetrockneten Ha&#x0364;uten.<lb/>
Aber du &#x017F;teure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde<lb/>
Mit dem ge&#x017F;chmolzenen Wach&#x017F;e der Honig&#x017F;cheiben, daß Niemand<lb/>
Von den andern &#x017F;ie ho&#x0364;re. Doch will&#x017F;t du &#x017F;elber &#x017F;ie ho&#x0364;ren;<lb/>
Siehe dann binde man dich an Ha&#x0364;nden und Fu&#x0364;ßen im Schiffe, <note place="right">50</note><lb/>
Aufrecht &#x017F;tehend am Ma&#x017F;te, mit fe&#x017F;tum&#x017F;chlungenen Seilen:<lb/>
Daß du den holden Ge&#x017F;ang der zwo Sirenen vernehme&#x017F;t.<lb/>
Fleh&#x017F;t du die Freunde nun an, und befiehl&#x017F;t die Seile zu lo&#x0364;&#x017F;en;<lb/>
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch &#x017F;ta&#x0364;rker!</p><lb/>
        <p>Sind nun deine Gefa&#x0364;hrten bei die&#x017F;en voru&#x0364;ber gerudert, <note place="right">55</note><lb/>
Dann be&#x017F;timm' ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten<lb/>
Oder zur Linken dein Schiff hin&#x017F;teuren mu&#x0364;ße&#x017F;t; erwa&#x0364;g' es<lb/>
Selber in deinem Gei&#x017F;t. Ich will dir beide bezeichnen.</p><lb/>
        <p>Hier &#x017F;tu&#x0364;rmt gegen den Fuß der u&#x0364;berhangenden Klippen <note place="foot" n="V. 59.">Auf der einen Seite, na&#x0364;mlich Odu&#x0364;ßeus zur Rechten, &#x017F;ind die irren<supplied>-</supplied><lb/>
den feuer&#x017F;peienden Klippen, (man meinte die lipari&#x017F;chen In&#x017F;eln;) und auf der an<supplied>-</supplied><lb/>
dern, zur Linken, V. 73. Sku&#x0364;lla und Charu&#x0364;bdis.</note><lb/>
Hochaufbrau&#x017F;end die Woge der bla&#x0364;ulichen Am&#x017F;itrita&#x0364;. <note place="right">60</note><lb/>
Irrende Klippen nennt &#x017F;ie die Sprache der &#x017F;eligen Go&#x0364;tter.<lb/>
Selb&#x017F;t kein fliegender Vogel, noch &#x017F;elb&#x017F;t die &#x017F;chu&#x0364;chternen Tauben<lb/>
Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambro&#x017F;ia bringen; <note place="foot" n="V. 63.">Die Ambro&#x017F;ia quoll nicht weit vom Ozean&#x017F;trom in Eli&#x017F;ium, und wurde<lb/>
von Tauben nach dem Berge Olu&#x0364;mpos gebracht.</note><lb/>
Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen be&#x017F;ta&#x0364;ndig!<lb/>
Aber der Vater er&#x017F;chafft eine andre, die Zahl zu erga&#x0364;nzen. <note place="right">65</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0237] Zwoͤlfter Geſang. Und unmuͤndige Kinder mit freudigem Gruße begegnen; Denn es bezaubert ihn der helle Geſang der Sirenen, Die auf der Wieſe ſizen, von aufgehaͤuftem Gebeine Modernder Menſchen umringt und ausgetrockneten Haͤuten. Aber du ſteure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde Mit dem geſchmolzenen Wachſe der Honigſcheiben, daß Niemand Von den andern ſie hoͤre. Doch willſt du ſelber ſie hoͤren; Siehe dann binde man dich an Haͤnden und Fuͤßen im Schiffe, Aufrecht ſtehend am Maſte, mit feſtumſchlungenen Seilen: Daß du den holden Geſang der zwo Sirenen vernehmeſt. Flehſt du die Freunde nun an, und befiehlſt die Seile zu loͤſen; Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch ſtaͤrker! 45 50 Sind nun deine Gefaͤhrten bei dieſen voruͤber gerudert, Dann beſtimm' ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten Oder zur Linken dein Schiff hinſteuren muͤßeſt; erwaͤg' es Selber in deinem Geiſt. Ich will dir beide bezeichnen. 55 Hier ſtuͤrmt gegen den Fuß der uͤberhangenden Klippen V. 59. Hochaufbrauſend die Woge der blaͤulichen Amſitritaͤ. Irrende Klippen nennt ſie die Sprache der ſeligen Goͤtter. Selbſt kein fliegender Vogel, noch ſelbſt die ſchuͤchternen Tauben Eilen vorbei, die Zeus dem Vater Ambroſia bringen; V. 63. Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beſtaͤndig! Aber der Vater erſchafft eine andre, die Zahl zu ergaͤnzen. 60 65 V. 59. Auf der einen Seite, naͤmlich Oduͤßeus zur Rechten, ſind die irren- den feuerſpeienden Klippen, (man meinte die lipariſchen Inſeln;) und auf der an- dern, zur Linken, V. 73. Skuͤlla und Charuͤbdis. V. 63. Die Ambroſia quoll nicht weit vom Ozeanſtrom in Eliſium, und wurde von Tauben nach dem Berge Oluͤmpos gebracht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/237
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/237>, abgerufen am 03.05.2024.