Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Neunter Gesang.
Alle zur Melke herein; die Widder und bärtigen Böcke
Ließ er draußen zurück, im hochummaurten Gehege.
Hochauf schwenkt' er und sezte das große Spund vor den Eingang:240
Fürchterlich groß! die Gespanne von zweiundzwanzig starken
Und vierrädrigen Wagen, sie schleppten ihn nicht von der Stelle,
Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub.
Jezo saß er, und melkte die Schaf' und meckernden Ziegen
Nach der Ordnung, und legte den Müttern die Säugling' ans Euter;245
Ließ von der weißen Milch die Hälfte gerinnen, und sezte
Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Körben;
Und die andere Hälfte verwahrt' er in weiten Gefäßen,
Daß er beim Abendschmause den Durst mit dem Tranke sich löschte.
Und nachdem er seine Geschäft' in Eile verrichtet,250
Zündet' er Feuer an, und sah uns stehen, und fragte:

Fremdlinge, sagt, wer seid ihr? Von wannen trägt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb', oder schweift ihr ohne Bestimmung
Hin und her auf der See: wie küstenumirrende Räuber,
Die ihr Leben verachten, um fremden Völkern zu schaden?255

Also sprach der Küklop. Uns brach das Herz vor Entsezen
Ueber das rauhe Gebrüll, und das scheusliche Ungeheuer.
Dennoch ermannt' ich mich, und gab ihm dieses zur Antwort:

Griechen sind wir, und kommen von Troja's fernem Gestade,
Ueber das große Meer von mancherlei Stürmen geschleudert,260
Als wir ins Vaterland hinsteuerten: andere Fahrten,
Andere Bahnen verhängt' uns Kronions waltende Vorsicht!
Siehe wir preisen uns Völker von Atreus Sohn Agamemnon,
Welchen der größte Ruhm izt unter dem Himmel verherlicht,
Weil er die mächtige Stadt und so viele Völker vertilgt hat!265

Neunter Geſang.
Alle zur Melke herein; die Widder und baͤrtigen Boͤcke
Ließ er draußen zuruͤck, im hochummaurten Gehege.
Hochauf ſchwenkt' er und ſezte das große Spund vor den Eingang:240
Fuͤrchterlich groß! die Geſpanne von zweiundzwanzig ſtarken
Und vierraͤdrigen Wagen, ſie ſchleppten ihn nicht von der Stelle,
Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub.
Jezo ſaß er, und melkte die Schaf' und meckernden Ziegen
Nach der Ordnung, und legte den Muͤttern die Saͤugling' ans Euter;245
Ließ von der weißen Milch die Haͤlfte gerinnen, und ſezte
Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Koͤrben;
Und die andere Haͤlfte verwahrt' er in weiten Gefaͤßen,
Daß er beim Abendſchmauſe den Durſt mit dem Tranke ſich loͤſchte.
Und nachdem er ſeine Geſchaͤft' in Eile verrichtet,250
Zuͤndet' er Feuer an, und ſah uns ſtehen, und fragte:

Fremdlinge, ſagt, wer ſeid ihr? Von wannen traͤgt euch die Woge?
Habt ihr wo ein Gewerb', oder ſchweift ihr ohne Beſtimmung
Hin und her auf der See: wie kuͤſtenumirrende Raͤuber,
Die ihr Leben verachten, um fremden Voͤlkern zu ſchaden?255

Alſo ſprach der Kuͤklop. Uns brach das Herz vor Entſezen
Ueber das rauhe Gebruͤll, und das ſcheusliche Ungeheuer.
Dennoch ermannt' ich mich, und gab ihm dieſes zur Antwort:

Griechen ſind wir, und kommen von Troja's fernem Geſtade,
Ueber das große Meer von mancherlei Stuͤrmen geſchleudert,260
Als wir ins Vaterland hinſteuerten: andere Fahrten,
Andere Bahnen verhaͤngt' uns Kronions waltende Vorſicht!
Siehe wir preiſen uns Voͤlker von Atreus Sohn Agamemnon,
Welchen der groͤßte Ruhm izt unter dem Himmel verherlicht,
Weil er die maͤchtige Stadt und ſo viele Voͤlker vertilgt hat!265

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neunter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Alle zur Melke herein; die Widder und ba&#x0364;rtigen Bo&#x0364;cke<lb/>
Ließ er draußen zuru&#x0364;ck, im hochummaurten Gehege.<lb/>
Hochauf &#x017F;chwenkt' er und &#x017F;ezte das große Spund vor den Eingang:<note place="right">240</note><lb/>
Fu&#x0364;rchterlich groß! die Ge&#x017F;panne von zweiundzwanzig &#x017F;tarken<lb/>
Und vierra&#x0364;drigen Wagen, &#x017F;ie &#x017F;chleppten ihn nicht von der Stelle,<lb/>
Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub.<lb/>
Jezo &#x017F;aß er, und melkte die Schaf' und meckernden Ziegen<lb/>
Nach der Ordnung, und legte den Mu&#x0364;ttern die Sa&#x0364;ugling' ans Euter;<note place="right">245</note><lb/>
Ließ von der weißen Milch die Ha&#x0364;lfte gerinnen, und &#x017F;ezte<lb/>
Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Ko&#x0364;rben;<lb/>
Und die andere Ha&#x0364;lfte verwahrt' er in weiten Gefa&#x0364;ßen,<lb/>
Daß er beim Abend&#x017F;chmau&#x017F;e den Dur&#x017F;t mit dem Tranke &#x017F;ich lo&#x0364;&#x017F;chte.<lb/>
Und nachdem er &#x017F;eine Ge&#x017F;cha&#x0364;ft' in Eile verrichtet,<note place="right">250</note><lb/>
Zu&#x0364;ndet' er Feuer an, und &#x017F;ah uns &#x017F;tehen, und fragte:</p><lb/>
        <p>Fremdlinge, &#x017F;agt, wer &#x017F;eid ihr? Von wannen tra&#x0364;gt euch die Woge?<lb/>
Habt ihr wo ein Gewerb', oder &#x017F;chweift ihr ohne Be&#x017F;timmung<lb/>
Hin und her auf der See: wie ku&#x0364;&#x017F;tenumirrende Ra&#x0364;uber,<lb/>
Die ihr Leben verachten, um fremden Vo&#x0364;lkern zu &#x017F;chaden?<note place="right">255</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach der Ku&#x0364;klop. Uns brach das Herz vor Ent&#x017F;ezen<lb/>
Ueber das rauhe Gebru&#x0364;ll, und das &#x017F;cheusliche Ungeheuer.<lb/>
Dennoch ermannt' ich mich, und gab ihm die&#x017F;es zur Antwort:</p><lb/>
        <p>Griechen &#x017F;ind wir, und kommen von Troja's fernem Ge&#x017F;tade,<lb/>
Ueber das große Meer von mancherlei Stu&#x0364;rmen ge&#x017F;chleudert,<note place="right">260</note><lb/>
Als wir ins Vaterland hin&#x017F;teuerten: andere Fahrten,<lb/>
Andere Bahnen verha&#x0364;ngt' uns Kronions waltende Vor&#x017F;icht!<lb/>
Siehe wir prei&#x017F;en uns Vo&#x0364;lker von Atreus Sohn Agamemnon,<lb/>
Welchen der gro&#x0364;ßte Ruhm izt unter dem Himmel verherlicht,<lb/>
Weil er die ma&#x0364;chtige Stadt und &#x017F;o viele Vo&#x0364;lker vertilgt hat!<note place="right">265</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0177] Neunter Geſang. Alle zur Melke herein; die Widder und baͤrtigen Boͤcke Ließ er draußen zuruͤck, im hochummaurten Gehege. Hochauf ſchwenkt' er und ſezte das große Spund vor den Eingang: Fuͤrchterlich groß! die Geſpanne von zweiundzwanzig ſtarken Und vierraͤdrigen Wagen, ſie ſchleppten ihn nicht von der Stelle, Jenen gewaltigen Fels, den das Ungeheuer emporhub. Jezo ſaß er, und melkte die Schaf' und meckernden Ziegen Nach der Ordnung, und legte den Muͤttern die Saͤugling' ans Euter; Ließ von der weißen Milch die Haͤlfte gerinnen, und ſezte Sie zum Trocknen hinweg in dichtgeflochtenen Koͤrben; Und die andere Haͤlfte verwahrt' er in weiten Gefaͤßen, Daß er beim Abendſchmauſe den Durſt mit dem Tranke ſich loͤſchte. Und nachdem er ſeine Geſchaͤft' in Eile verrichtet, Zuͤndet' er Feuer an, und ſah uns ſtehen, und fragte: 240 245 250 Fremdlinge, ſagt, wer ſeid ihr? Von wannen traͤgt euch die Woge? Habt ihr wo ein Gewerb', oder ſchweift ihr ohne Beſtimmung Hin und her auf der See: wie kuͤſtenumirrende Raͤuber, Die ihr Leben verachten, um fremden Voͤlkern zu ſchaden? 255 Alſo ſprach der Kuͤklop. Uns brach das Herz vor Entſezen Ueber das rauhe Gebruͤll, und das ſcheusliche Ungeheuer. Dennoch ermannt' ich mich, und gab ihm dieſes zur Antwort: Griechen ſind wir, und kommen von Troja's fernem Geſtade, Ueber das große Meer von mancherlei Stuͤrmen geſchleudert, Als wir ins Vaterland hinſteuerten: andere Fahrten, Andere Bahnen verhaͤngt' uns Kronions waltende Vorſicht! Siehe wir preiſen uns Voͤlker von Atreus Sohn Agamemnon, Welchen der groͤßte Ruhm izt unter dem Himmel verherlicht, Weil er die maͤchtige Stadt und ſo viele Voͤlker vertilgt hat! 260 265

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/177
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/177>, abgerufen am 21.11.2024.