Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflastert;
Wo man alle Geräthe der schwarzen Schiffe bereitet,
Segeltücher und Seile und schöngeglättete Ruder.
Denn die Faiaken kümmern sich nicht um Köcher und Bogen; 270
Aber Masten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,
Diese sind ihre Freude, womit sie die Meere durchfliegen.)
Siehe, da mied' ich gerne die bösen Geschwäze, daß Niemand
Uns nachhöhnte; man ist sehr übermütig im Volke!
Denn es sagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet: 275
Seht doch, was folgt Nausikaen dort vor ein schöner und großer
Fremdling? Wo fand sie den? Der soll gewiß ihr Gemahl sein!
Holte sie diesen vielleicht aus seinem Schiffe, das fernher
Sturm und Woge verschlug? Denn nahe wohnet uns Niemand.
Oder kam gar ein Gott auf ihr inbrünstiges Flehen 280
Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?
Beßer wars, daß sie selber hinausging, sich aus der Fremde
Einen Gemahl zu suchen; denn unsre faiakischen Freier
Sind ihr wahrlich zu schlecht, die vielen Söhne der Edeln!
Also sagten die Leut', und es wär' auch wider den Wohlstand. 285
Denn ich tadelte selber an andern solches Verfahren,
Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorsam belohnend,
Sich zu Männern gesellte vor öffentlicher Vermählung.
Aber vernim, o Fremdling, was ich dir rathe; wofern du
Wünschest, daß bald mein Vater in deine Heimat dich sende. 290
Nah am Weg' ist ein Pappelgehölz, Athänen geheiligt.
Ihm entsprudelt ein Quell, und tränkt die grünende Wiese,
Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gärten gebaut hat,
Nur so weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden schallet.

Oduͤßee.
Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflaſtert;
Wo man alle Geraͤthe der ſchwarzen Schiffe bereitet,
Segeltuͤcher und Seile und ſchoͤngeglaͤttete Ruder.
Denn die Faiaken kuͤmmern ſich nicht um Koͤcher und Bogen; 270
Aber Maſten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,
Dieſe ſind ihre Freude, womit ſie die Meere durchfliegen.)
Siehe, da mied' ich gerne die boͤſen Geſchwaͤze, daß Niemand
Uns nachhoͤhnte; man iſt ſehr uͤbermuͤtig im Volke!
Denn es ſagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet: 275
Seht doch, was folgt Nauſikaen dort vor ein ſchoͤner und großer
Fremdling? Wo fand ſie den? Der ſoll gewiß ihr Gemahl ſein!
Holte ſie dieſen vielleicht aus ſeinem Schiffe, das fernher
Sturm und Woge verſchlug? Denn nahe wohnet uns Niemand.
Oder kam gar ein Gott auf ihr inbruͤnſtiges Flehen 280
Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?
Beßer wars, daß ſie ſelber hinausging, ſich aus der Fremde
Einen Gemahl zu ſuchen; denn unſre faiakiſchen Freier
Sind ihr wahrlich zu ſchlecht, die vielen Soͤhne der Edeln!
Alſo ſagten die Leut', und es waͤr' auch wider den Wohlſtand. 285
Denn ich tadelte ſelber an andern ſolches Verfahren,
Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorſam belohnend,
Sich zu Maͤnnern geſellte vor oͤffentlicher Vermaͤhlung.
Aber vernim, o Fremdling, was ich dir rathe; wofern du
Wuͤnſcheſt, daß bald mein Vater in deine Heimat dich ſende. 290
Nah am Weg' iſt ein Pappelgehoͤlz, Athaͤnen geheiligt.
Ihm entſprudelt ein Quell, und traͤnkt die gruͤnende Wieſe,
Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gaͤrten gebaut hat,
Nur ſo weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden ſchallet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="124"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepfla&#x017F;tert;<lb/>
Wo man alle Gera&#x0364;the der &#x017F;chwarzen Schiffe bereitet,<lb/>
Segeltu&#x0364;cher und Seile und &#x017F;cho&#x0364;ngegla&#x0364;ttete Ruder.<lb/>
Denn die Faiaken ku&#x0364;mmern &#x017F;ich nicht um Ko&#x0364;cher und Bogen; <note place="right">270</note><lb/>
Aber Ma&#x017F;ten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe,<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ind ihre Freude, womit &#x017F;ie die Meere durchfliegen.)<lb/>
Siehe, da mied' ich gerne die bo&#x0364;&#x017F;en Ge&#x017F;chwa&#x0364;ze, daß Niemand<lb/>
Uns nachho&#x0364;hnte; man i&#x017F;t &#x017F;ehr u&#x0364;bermu&#x0364;tig im Volke!<lb/>
Denn es &#x017F;agte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet: <note place="right">275</note><lb/>
Seht doch, was folgt Nau&#x017F;ikaen dort vor ein &#x017F;cho&#x0364;ner und großer<lb/>
Fremdling? Wo fand &#x017F;ie den? Der &#x017F;oll gewiß ihr Gemahl &#x017F;ein!<lb/>
Holte &#x017F;ie die&#x017F;en vielleicht aus &#x017F;einem Schiffe, das fernher<lb/>
Sturm und Woge ver&#x017F;chlug? Denn nahe wohnet uns Niemand.<lb/>
Oder kam gar ein Gott auf ihr inbru&#x0364;n&#x017F;tiges Flehen <note place="right">280</note><lb/>
Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben?<lb/>
Beßer wars, daß &#x017F;ie &#x017F;elber hinausging, &#x017F;ich aus der Fremde<lb/>
Einen Gemahl zu &#x017F;uchen; denn un&#x017F;re faiaki&#x017F;chen Freier<lb/>
Sind ihr wahrlich zu &#x017F;chlecht, die vielen So&#x0364;hne der Edeln!<lb/>
Al&#x017F;o &#x017F;agten die Leut', und es wa&#x0364;r' auch wider den Wohl&#x017F;tand. <note place="right">285</note><lb/>
Denn ich tadelte &#x017F;elber an andern &#x017F;olches Verfahren,<lb/>
Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehor&#x017F;am belohnend,<lb/>
Sich zu Ma&#x0364;nnern ge&#x017F;ellte vor o&#x0364;ffentlicher Verma&#x0364;hlung.<lb/>
Aber vernim, o Fremdling, was ich dir rathe; wofern du<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che&#x017F;t, daß bald mein Vater in deine Heimat dich &#x017F;ende. <note place="right">290</note><lb/>
Nah am Weg' i&#x017F;t ein Pappelgeho&#x0364;lz, Atha&#x0364;nen geheiligt.<lb/>
Ihm ent&#x017F;prudelt ein Quell, und tra&#x0364;nkt die gru&#x0364;nende Wie&#x017F;e,<lb/>
Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Ga&#x0364;rten gebaut hat,<lb/>
Nur &#x017F;o weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden &#x017F;challet.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0130] Oduͤßee. Ringsumher mit großen gehauenen Steinen gepflaſtert; Wo man alle Geraͤthe der ſchwarzen Schiffe bereitet, Segeltuͤcher und Seile und ſchoͤngeglaͤttete Ruder. Denn die Faiaken kuͤmmern ſich nicht um Koͤcher und Bogen; Aber Maſten und Ruder und gleichgezimmerte Schiffe, Dieſe ſind ihre Freude, womit ſie die Meere durchfliegen.) Siehe, da mied' ich gerne die boͤſen Geſchwaͤze, daß Niemand Uns nachhoͤhnte; man iſt ſehr uͤbermuͤtig im Volke! Denn es ſagte vielleicht ein Niedriger, der uns begegnet: Seht doch, was folgt Nauſikaen dort vor ein ſchoͤner und großer Fremdling? Wo fand ſie den? Der ſoll gewiß ihr Gemahl ſein! Holte ſie dieſen vielleicht aus ſeinem Schiffe, das fernher Sturm und Woge verſchlug? Denn nahe wohnet uns Niemand. Oder kam gar ein Gott auf ihr inbruͤnſtiges Flehen Hoch vom Himmel herab, bei ihr zeitlebens zu bleiben? Beßer wars, daß ſie ſelber hinausging, ſich aus der Fremde Einen Gemahl zu ſuchen; denn unſre faiakiſchen Freier Sind ihr wahrlich zu ſchlecht, die vielen Soͤhne der Edeln! Alſo ſagten die Leut', und es waͤr' auch wider den Wohlſtand. Denn ich tadelte ſelber an andern ſolches Verfahren, Wenn man, der Eltern Liebe mit Ungehorſam belohnend, Sich zu Maͤnnern geſellte vor oͤffentlicher Vermaͤhlung. Aber vernim, o Fremdling, was ich dir rathe; wofern du Wuͤnſcheſt, daß bald mein Vater in deine Heimat dich ſende. Nah am Weg' iſt ein Pappelgehoͤlz, Athaͤnen geheiligt. Ihm entſprudelt ein Quell, und traͤnkt die gruͤnende Wieſe, Wo mein Vater ein Haus mit fruchtbaren Gaͤrten gebaut hat, Nur ſo weit von der Stadt, wie die Stimme des Rufenden ſchallet. 270 275 280 285 290

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/130
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/130>, abgerufen am 05.05.2024.