Voß, Johann Heinrich: Luise. Ein ländliches Gedicht in 3 Idyllen. Königsberg, 1795.ERSTE IDYLLE Mendelssohn! Der hätte den Göttlichennimmer gekreuzigt! Ihm antwortete drauf der edle beschei- dene Walter: 340 Traurig nur, wenn ein Kind, das der bil- denden Rede des Vaters Kundiger schon aufmerkt, mit Verständ- nis, oder mit Ahndung, Sich das erwähltere dünkt, das einzige! wenn es die Brüder, Die um Sokrates einst der Menschlichkeit Höhen erstrebet, Neidisch entehrt in der Gruft; und die jüngeren, welche noch lallen, 345 Oder des Vaters Worte sich selbst aus- deuten, voll Hochmut Schilt und martert und würgt! Man er- zählte mir neulich ein Mährlein. ERSTE IDYLLE Mendelsſohn! Der hätte den Göttlichennimmer gekreuzigt! Ihm antwortete drauf der edle beſchei- dene Walter: 340 Traurig nur, wenn ein Kind, das der bil- denden Rede des Vaters Kundiger ſchon aufmerkt, mit Verſtänd- nis, oder mit Ahndung, Sich das erwähltere dünkt, das einzige! wenn es die Brüder, Die um Sokrates einſt der Menſchlichkeit Höhen erſtrebet, Neidiſch entehrt in der Gruft; und die jüngeren, welche noch lallen, 345 Oder des Vaters Worte ſich ſelbſt aus- deuten, voll Hochmut Schilt und martert und würgt! Man er- zählte mir neulich ein Mährlein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0055" n="45"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">ERSTE IDYLLE</hi></fw><lb/> Mendelsſohn! Der hätte den Göttlichen<lb/> nimmer gekreuzigt!<lb/> Ihm antwortete drauf der edle beſchei-<lb/> dene Walter: <lb n="340"/> Traurig nur, wenn ein Kind, das der bil-<lb/> denden Rede des Vaters<lb/> Kundiger ſchon aufmerkt, mit Verſtänd-<lb/> nis, oder mit Ahndung,<lb/> Sich das erwähltere dünkt, das einzige!<lb/> wenn es die Brüder,<lb/> Die um Sokrates einſt der Menſchlichkeit<lb/> Höhen erſtrebet,<lb/> Neidiſch entehrt in der Gruft; und die<lb/> jüngeren, welche noch lallen, <lb n="345"/> Oder des Vaters Worte ſich ſelbſt aus-<lb/> deuten, voll Hochmut<lb/> Schilt und martert und würgt! Man er-<lb/> zählte mir neulich ein Mährlein.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0055]
ERSTE IDYLLE
Mendelsſohn! Der hätte den Göttlichen
nimmer gekreuzigt!
Ihm antwortete drauf der edle beſchei-
dene Walter: 340
Traurig nur, wenn ein Kind, das der bil-
denden Rede des Vaters
Kundiger ſchon aufmerkt, mit Verſtänd-
nis, oder mit Ahndung,
Sich das erwähltere dünkt, das einzige!
wenn es die Brüder,
Die um Sokrates einſt der Menſchlichkeit
Höhen erſtrebet,
Neidiſch entehrt in der Gruft; und die
jüngeren, welche noch lallen, 345
Oder des Vaters Worte ſich ſelbſt aus-
deuten, voll Hochmut
Schilt und martert und würgt! Man er-
zählte mir neulich ein Mährlein.
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