Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt vorüber. Ini, noch von höherer Schön¬
heit umstrahlt, als neulich in dem Zaubergarten,
trat aus einer Rosenwolke zu ihm, nahm seine
Hand und lispelte mit himmelvollem Laut:
"Den Starken prüfe schweres Leid. Weise for¬
sche er in der reichen Kraft, sie birgt Hülfe.
Wir sehn uns wieder!" Hier trat sie in die
Wolke zurück, die sie dicht umhüllte und nach
dem fernen Horizont zog, sich weit als eine
lichte Morgenröthe verbreitend. Ueber diese Mor¬
genröthe ging dann die Sonne auf, die Schnee¬
gefilde wichen ihr plötzlich, und ein lieblicher
Frühling blühte. Von dem duftendsten Baume
sang eine Nachtigall in dem Idiom der Melo¬
die: "Wir sehn uns wieder," und Guido er¬
wachte.

Ihm war, als ob er die Berührung der lei¬
sen Geisterhand noch fühle, als ob sie neues
Leben durch alle seine Adern gegossen hätte. Er
sprang auf, eilte hinaus. "Wir sehn uns wie¬
der," umtönte es noch den getäuschten Sinn über¬
all, von den leuchtenden Felsgipfeln schien ein
Echo es zu wiederholen. Ja! rief er fröhlich,
ich will mich kämpfend ermannen gegen mein
Elend, du, heilige Göttin! giebst mir Stärke.

X 2

Welt voruͤber. Ini, noch von hoͤherer Schoͤn¬
heit umſtrahlt, als neulich in dem Zaubergarten,
trat aus einer Roſenwolke zu ihm, nahm ſeine
Hand und lispelte mit himmelvollem Laut:
„Den Starken pruͤfe ſchweres Leid. Weiſe for¬
ſche er in der reichen Kraft, ſie birgt Huͤlfe.
Wir ſehn uns wieder!“ Hier trat ſie in die
Wolke zuruͤck, die ſie dicht umhuͤllte und nach
dem fernen Horizont zog, ſich weit als eine
lichte Morgenroͤthe verbreitend. Ueber dieſe Mor¬
genroͤthe ging dann die Sonne auf, die Schnee¬
gefilde wichen ihr ploͤtzlich, und ein lieblicher
Fruͤhling bluͤhte. Von dem duftendſten Baume
ſang eine Nachtigall in dem Idiom der Melo¬
die: „Wir ſehn uns wieder,“ und Guido er¬
wachte.

Ihm war, als ob er die Beruͤhrung der lei¬
ſen Geiſterhand noch fuͤhle, als ob ſie neues
Leben durch alle ſeine Adern gegoſſen haͤtte. Er
ſprang auf, eilte hinaus. „Wir ſehn uns wie¬
der,“ umtoͤnte es noch den getaͤuſchten Sinn uͤber¬
all, von den leuchtenden Felsgipfeln ſchien ein
Echo es zu wiederholen. Ja! rief er froͤhlich,
ich will mich kaͤmpfend ermannen gegen mein
Elend, du, heilige Goͤttin! giebſt mir Staͤrke.

X 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0335" n="323"/>
Welt voru&#x0364;ber. Ini, noch von ho&#x0364;herer Scho&#x0364;<lb/>
heit um&#x017F;trahlt, als neulich in dem Zaubergarten,<lb/>
trat aus einer Ro&#x017F;enwolke zu ihm, nahm &#x017F;eine<lb/>
Hand und lispelte mit himmelvollem Laut:<lb/>
&#x201E;Den Starken pru&#x0364;fe &#x017F;chweres Leid. Wei&#x017F;e for¬<lb/>
&#x017F;che er in der reichen Kraft, &#x017F;ie birgt Hu&#x0364;lfe.<lb/>
Wir &#x017F;ehn uns wieder!&#x201C; Hier trat &#x017F;ie in die<lb/>
Wolke zuru&#x0364;ck, die &#x017F;ie dicht umhu&#x0364;llte und nach<lb/>
dem fernen Horizont zog, &#x017F;ich weit als eine<lb/>
lichte Morgenro&#x0364;the verbreitend. Ueber die&#x017F;e Mor¬<lb/>
genro&#x0364;the ging dann die Sonne auf, die Schnee¬<lb/>
gefilde wichen ihr plo&#x0364;tzlich, und ein lieblicher<lb/>
Fru&#x0364;hling blu&#x0364;hte. Von dem duftend&#x017F;ten Baume<lb/>
&#x017F;ang eine Nachtigall in dem Idiom der Melo¬<lb/>
die: &#x201E;Wir &#x017F;ehn uns wieder,&#x201C; und Guido er¬<lb/>
wachte.</p><lb/>
          <p>Ihm war, als ob er die Beru&#x0364;hrung der lei¬<lb/>
&#x017F;en Gei&#x017F;terhand noch fu&#x0364;hle, als ob &#x017F;ie neues<lb/>
Leben durch alle &#x017F;eine Adern gego&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte. Er<lb/>
&#x017F;prang auf, eilte hinaus. &#x201E;Wir &#x017F;ehn uns wie¬<lb/>
der,&#x201C; umto&#x0364;nte es noch den geta&#x0364;u&#x017F;chten Sinn u&#x0364;ber¬<lb/>
all, von den leuchtenden Felsgipfeln &#x017F;chien ein<lb/>
Echo es zu wiederholen. Ja! rief er fro&#x0364;hlich,<lb/>
ich will mich ka&#x0364;mpfend ermannen gegen mein<lb/>
Elend, du, heilige Go&#x0364;ttin! gieb&#x017F;t mir Sta&#x0364;rke.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">X 2<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] Welt voruͤber. Ini, noch von hoͤherer Schoͤn¬ heit umſtrahlt, als neulich in dem Zaubergarten, trat aus einer Roſenwolke zu ihm, nahm ſeine Hand und lispelte mit himmelvollem Laut: „Den Starken pruͤfe ſchweres Leid. Weiſe for¬ ſche er in der reichen Kraft, ſie birgt Huͤlfe. Wir ſehn uns wieder!“ Hier trat ſie in die Wolke zuruͤck, die ſie dicht umhuͤllte und nach dem fernen Horizont zog, ſich weit als eine lichte Morgenroͤthe verbreitend. Ueber dieſe Mor¬ genroͤthe ging dann die Sonne auf, die Schnee¬ gefilde wichen ihr ploͤtzlich, und ein lieblicher Fruͤhling bluͤhte. Von dem duftendſten Baume ſang eine Nachtigall in dem Idiom der Melo¬ die: „Wir ſehn uns wieder,“ und Guido er¬ wachte. Ihm war, als ob er die Beruͤhrung der lei¬ ſen Geiſterhand noch fuͤhle, als ob ſie neues Leben durch alle ſeine Adern gegoſſen haͤtte. Er ſprang auf, eilte hinaus. „Wir ſehn uns wie¬ der,“ umtoͤnte es noch den getaͤuſchten Sinn uͤber¬ all, von den leuchtenden Felsgipfeln ſchien ein Echo es zu wiederholen. Ja! rief er froͤhlich, ich will mich kaͤmpfend ermannen gegen mein Elend, du, heilige Goͤttin! giebſt mir Staͤrke. X 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/335
Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/335>, abgerufen am 25.11.2024.