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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Mund in zwei rosenhaft prangenden, sanft ge¬
spannten Lippen, darstellten, begannen seinen Puls
zu erhöhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine
etwas längere Gestalt sah er hier. Er konnte
nicht umhin, der freundlichen Erscheinung im
Gedränge zu folgen, den trunkenen Blick ihr
nachzusenden, endlich bebend die Maske zum
Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfüllt,
selig flog er mit der Schönheit durch die Rei¬
hen. Ihre Berührung traf ihn wie elektrische
Funken. Gefühle wie aus anderen Welten
durchströmten ihn. Die Musik, nur Melodien
der Liebe und Wollust athmend, nahm das noch
Uebrige seiner Besonnenheit hin.

Wien, schon im Alterthum seiner Tonkünstler
wegen gerühmt, hatte auch zeither hierin den
Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Musik,
Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬
gangen. Wo sonst die Töne wild und dunkel
schwärmten, fand jetzt alles klare Bedeutung.
Die Musik hatte, was ihr immer fehlte, ihre
Grammatik empfangen, auf diese gründete sich
die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So
konnten die bestimmten Zusammenklänge, Figu¬
ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poesien, Re¬

Mund in zwei roſenhaft prangenden, ſanft ge¬
ſpannten Lippen, darſtellten, begannen ſeinen Puls
zu erhoͤhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine
etwas laͤngere Geſtalt ſah er hier. Er konnte
nicht umhin, der freundlichen Erſcheinung im
Gedraͤnge zu folgen, den trunkenen Blick ihr
nachzuſenden, endlich bebend die Maske zum
Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfuͤllt,
ſelig flog er mit der Schoͤnheit durch die Rei¬
hen. Ihre Beruͤhrung traf ihn wie elektriſche
Funken. Gefuͤhle wie aus anderen Welten
durchſtroͤmten ihn. Die Muſik, nur Melodien
der Liebe und Wolluſt athmend, nahm das noch
Uebrige ſeiner Beſonnenheit hin.

Wien, ſchon im Alterthum ſeiner Tonkuͤnſtler
wegen geruͤhmt, hatte auch zeither hierin den
Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Muſik,
Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬
gangen. Wo ſonſt die Toͤne wild und dunkel
ſchwaͤrmten, fand jetzt alles klare Bedeutung.
Die Muſik hatte, was ihr immer fehlte, ihre
Grammatik empfangen, auf dieſe gruͤndete ſich
die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So
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ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poeſien, Re¬

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[222/0234] Mund in zwei roſenhaft prangenden, ſanft ge¬ ſpannten Lippen, darſtellten, begannen ſeinen Puls zu erhoͤhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine etwas laͤngere Geſtalt ſah er hier. Er konnte nicht umhin, der freundlichen Erſcheinung im Gedraͤnge zu folgen, den trunkenen Blick ihr nachzuſenden, endlich bebend die Maske zum Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfuͤllt, ſelig flog er mit der Schoͤnheit durch die Rei¬ hen. Ihre Beruͤhrung traf ihn wie elektriſche Funken. Gefuͤhle wie aus anderen Welten durchſtroͤmten ihn. Die Muſik, nur Melodien der Liebe und Wolluſt athmend, nahm das noch Uebrige ſeiner Beſonnenheit hin. Wien, ſchon im Alterthum ſeiner Tonkuͤnſtler wegen geruͤhmt, hatte auch zeither hierin den Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Muſik, Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬ gangen. Wo ſonſt die Toͤne wild und dunkel ſchwaͤrmten, fand jetzt alles klare Bedeutung. Die Muſik hatte, was ihr immer fehlte, ihre Grammatik empfangen, auf dieſe gruͤndete ſich die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So konnten die beſtimmten Zuſammenklaͤnge, Figu¬ ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poeſien, Re¬

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/234>, abgerufen am 21.11.2024.