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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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rief sie, des sichtbaren Guido Umriß, wie er
zeugt von dem unsichtbaren, die Urkunde seines
geheimen Lebens, der Tag seiner innen walten¬
den Nacht.

Guido blickte hin. Die höchste Wahrheit
hatte die Bildnerin getroffen. O webe mir dein
Bild, flehte er wehmüthig, mit Entzücken will
ich es von hinnen tragen.

Das steht weit hinaus, erwiederte sie. Doch
will ich nun ein zweites Gewebe fertigen.

Sie ging wieder an die Arbeit, während der
Jüngling sich mit trunknen Blicken an der
hohen Gestalt weidete, und bisweilen ärgerlich
auf sein Konterfei sah. Denn es wollte ihm
nicht gefallen, ob er schon nicht wußte, warum.

Nach einer Viertelstunde hatte Ini geendet.
Sie zeigte ihm ein neues Seitenbild, das Guido
in den Zustand der höchsten Verwunderung brachte.
Er sah seine Grundzüge wieder, aber in einer
bezaubernd schönen Idealität. Höher strebte des
Schädels Mitte empor, regelmäßig wölbte sich
das Hinterhaupt, weit drang die reine Wellen¬
linie der Stirn hervor, eine unbeschreibliche
Veredlung wohnte in dem ganzen Profil, liebliche
Anmuth um den Mund, in dem klarer, tiefer,

rief ſie, des ſichtbaren Guido Umriß, wie er
zeugt von dem unſichtbaren, die Urkunde ſeines
geheimen Lebens, der Tag ſeiner innen walten¬
den Nacht.

Guido blickte hin. Die hoͤchſte Wahrheit
hatte die Bildnerin getroffen. O webe mir dein
Bild, flehte er wehmuͤthig, mit Entzuͤcken will
ich es von hinnen tragen.

Das ſteht weit hinaus, erwiederte ſie. Doch
will ich nun ein zweites Gewebe fertigen.

Sie ging wieder an die Arbeit, waͤhrend der
Juͤngling ſich mit trunknen Blicken an der
hohen Geſtalt weidete, und bisweilen aͤrgerlich
auf ſein Konterfei ſah. Denn es wollte ihm
nicht gefallen, ob er ſchon nicht wußte, warum.

Nach einer Viertelſtunde hatte Ini geendet.
Sie zeigte ihm ein neues Seitenbild, das Guido
in den Zuſtand der hoͤchſten Verwunderung brachte.
Er ſah ſeine Grundzuͤge wieder, aber in einer
bezaubernd ſchoͤnen Idealitaͤt. Hoͤher ſtrebte des
Schaͤdels Mitte empor, regelmaͤßig woͤlbte ſich
das Hinterhaupt, weit drang die reine Wellen¬
linie der Stirn hervor, eine unbeſchreibliche
Veredlung wohnte in dem ganzen Profil, liebliche
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[11/0023] rief ſie, des ſichtbaren Guido Umriß, wie er zeugt von dem unſichtbaren, die Urkunde ſeines geheimen Lebens, der Tag ſeiner innen walten¬ den Nacht. Guido blickte hin. Die hoͤchſte Wahrheit hatte die Bildnerin getroffen. O webe mir dein Bild, flehte er wehmuͤthig, mit Entzuͤcken will ich es von hinnen tragen. Das ſteht weit hinaus, erwiederte ſie. Doch will ich nun ein zweites Gewebe fertigen. Sie ging wieder an die Arbeit, waͤhrend der Juͤngling ſich mit trunknen Blicken an der hohen Geſtalt weidete, und bisweilen aͤrgerlich auf ſein Konterfei ſah. Denn es wollte ihm nicht gefallen, ob er ſchon nicht wußte, warum. Nach einer Viertelſtunde hatte Ini geendet. Sie zeigte ihm ein neues Seitenbild, das Guido in den Zuſtand der hoͤchſten Verwunderung brachte. Er ſah ſeine Grundzuͤge wieder, aber in einer bezaubernd ſchoͤnen Idealitaͤt. Hoͤher ſtrebte des Schaͤdels Mitte empor, regelmaͤßig woͤlbte ſich das Hinterhaupt, weit drang die reine Wellen¬ linie der Stirn hervor, eine unbeſchreibliche Veredlung wohnte in dem ganzen Profil, liebliche Anmuth um den Mund, in dem klarer, tiefer,

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/23>, abgerufen am 21.11.2024.