Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.Schwere an den Boden gefesselt sein, sonst hätten uns die luftigen Ausgeburten unseres Gehirnes gänzlich, materiell der Erde entrückt und unseren Körper, wie ein Schifflein am Luftballon, durch den Weltenraum emporgetragen. Unsere Unvollkommenheit galt uns als ein Beweis mehr für unsere Vollkommenheit. Wir glaubten fest und innig daran. Ein Stück Kinderglaubens läßt sich nicht immer leicht loswerden. Die Alten behaupteten, der Mensch erneuere sich alle sieben Jahre. Seitdem ich einen evangelischen Pfarrer kennen gelernt habe, der nur alle sieben Jahre ein Kind bekam (er hatte nichts desto weniger deren fünfe), seitdem bin ich fest überzeugt, daß die Alten Recht hatten. Die Erneuerung erfolgt aber nicht plötzlich, denn in diesem Falle würde der Kinderglauben durch einen anderen ersetzt; sie kommt nur nach und nach. Ein Fäserchen ersetzt das andere, ein Blutkügelchen legt sich an die Stelle eines abgenutzten, aber die Tradition des Glaubens bleibt durch die Anlagerung der neuen Atome an die alten. Der Glaube ist ansteckend. Es ist die alte Geschichte von dem Schiffe des Theseus, von dem man später nicht wußte, ob es noch das alte sei, da kein Stück unersetzt geblieben, oder ob es wirklich ein neues sei geworden, durch den successiven Ersatz des Schadhaften. Hätten die Holzmoleküle gläubige Eigenschaften, wie die menschlichen Moleküle, so würde das Schiff sicher den Glauben gehabt haben, einst in Creta gewesen zu sein, wenn auch kein Atom seiner Zimmerung jemals den Sieger des Minotaurus getragen hätte. So geht es uns mit dem Kinderglauben. Wenn auch die Integralerneuerung unseres Leibes drei- und viermal vor sich gegangen wäre (die sichtbaren Zeichen dieser Erneuerung sind nicht überall so deutlich, wie bei dem erwähnten Pfarrer), und wenn Schwere an den Boden gefesselt sein, sonst hätten uns die luftigen Ausgeburten unseres Gehirnes gänzlich, materiell der Erde entrückt und unseren Körper, wie ein Schifflein am Luftballon, durch den Weltenraum emporgetragen. Unsere Unvollkommenheit galt uns als ein Beweis mehr für unsere Vollkommenheit. Wir glaubten fest und innig daran. Ein Stück Kinderglaubens läßt sich nicht immer leicht loswerden. Die Alten behaupteten, der Mensch erneuere sich alle sieben Jahre. Seitdem ich einen evangelischen Pfarrer kennen gelernt habe, der nur alle sieben Jahre ein Kind bekam (er hatte nichts desto weniger deren fünfe), seitdem bin ich fest überzeugt, daß die Alten Recht hatten. Die Erneuerung erfolgt aber nicht plötzlich, denn in diesem Falle würde der Kinderglauben durch einen anderen ersetzt; sie kommt nur nach und nach. Ein Fäserchen ersetzt das andere, ein Blutkügelchen legt sich an die Stelle eines abgenutzten, aber die Tradition des Glaubens bleibt durch die Anlagerung der neuen Atome an die alten. Der Glaube ist ansteckend. Es ist die alte Geschichte von dem Schiffe des Theseus, von dem man später nicht wußte, ob es noch das alte sei, da kein Stück unersetzt geblieben, oder ob es wirklich ein neues sei geworden, durch den successiven Ersatz des Schadhaften. Hätten die Holzmoleküle gläubige Eigenschaften, wie die menschlichen Moleküle, so würde das Schiff sicher den Glauben gehabt haben, einst in Creta gewesen zu sein, wenn auch kein Atom seiner Zimmerung jemals den Sieger des Minotaurus getragen hätte. So geht es uns mit dem Kinderglauben. 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Die Erneuerung erfolgt aber nicht plötzlich, denn in diesem Falle würde der Kinderglauben durch einen anderen ersetzt; sie kommt nur nach und nach. Ein Fäserchen ersetzt das andere, ein Blutkügelchen legt sich an die Stelle eines abgenutzten, aber die Tradition des Glaubens bleibt durch die Anlagerung der neuen Atome an die alten. Der Glaube ist ansteckend. Es ist die alte Geschichte von dem Schiffe des Theseus, von dem man später nicht wußte, ob es noch das alte sei, da kein Stück unersetzt geblieben, oder ob es wirklich ein neues sei geworden, durch den successiven Ersatz des Schadhaften. Hätten die Holzmoleküle gläubige Eigenschaften, wie die menschlichen Moleküle, so würde das Schiff sicher den Glauben gehabt haben, einst in Creta gewesen zu sein, wenn auch kein Atom seiner Zimmerung jemals den Sieger des Minotaurus getragen hätte. So geht es uns mit dem Kinderglauben. 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Schwere an den Boden gefesselt sein, sonst hätten uns die luftigen Ausgeburten unseres Gehirnes gänzlich, materiell der Erde entrückt und unseren Körper, wie ein Schifflein am Luftballon, durch den Weltenraum emporgetragen. Unsere Unvollkommenheit galt uns als ein Beweis mehr für unsere Vollkommenheit. Wir glaubten fest und innig daran.
Ein Stück Kinderglaubens läßt sich nicht immer leicht loswerden. Die Alten behaupteten, der Mensch erneuere sich alle sieben Jahre. Seitdem ich einen evangelischen Pfarrer kennen gelernt habe, der nur alle sieben Jahre ein Kind bekam (er hatte nichts desto weniger deren fünfe), seitdem bin ich fest überzeugt, daß die Alten Recht hatten. Die Erneuerung erfolgt aber nicht plötzlich, denn in diesem Falle würde der Kinderglauben durch einen anderen ersetzt; sie kommt nur nach und nach. Ein Fäserchen ersetzt das andere, ein Blutkügelchen legt sich an die Stelle eines abgenutzten, aber die Tradition des Glaubens bleibt durch die Anlagerung der neuen Atome an die alten. Der Glaube ist ansteckend. Es ist die alte Geschichte von dem Schiffe des Theseus, von dem man später nicht wußte, ob es noch das alte sei, da kein Stück unersetzt geblieben, oder ob es wirklich ein neues sei geworden, durch den successiven Ersatz des Schadhaften. Hätten die Holzmoleküle gläubige Eigenschaften, wie die menschlichen Moleküle, so würde das Schiff sicher den Glauben gehabt haben, einst in Creta gewesen zu sein, wenn auch kein Atom seiner Zimmerung jemals den Sieger des Minotaurus getragen hätte. So geht es uns mit dem Kinderglauben. Wenn auch die Integralerneuerung unseres Leibes drei- und viermal vor sich gegangen wäre (die sichtbaren Zeichen dieser Erneuerung sind nicht überall so deutlich, wie bei dem erwähnten Pfarrer), und wenn
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