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Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

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Die Ordnung, die heilige Ordnung, muß wieder hergestellt werden!" So erschreckten sie die Weiber und Kinder, und diejenigen Männer, welche an Bleichsucht der Leber litten, stifteten Vereine und Treubünde, in denen sie heulten und plärrten und predigten täglich und stündlich über den bevorstehenden Untergang der Insektenwelt und die furchtbare Rache, welche der zürnende Gott an den anarchischen Missethätern nehmen werde, die weder glauben, noch gehorchen, sondern sich selbst Gesetze geben und sich selbst regieren wollten. Die freien Kerfe kümmerten sich wenig um dieß Gerede - "laßt jene glauben was sie wollen," sagten sie, "wenn wir nur glauben dürfen, was wir wollen. Sie haben denselben Anspruch auf Freiheit, wie wir!" In Sorglosigkeit wiegten sich die ungeknechteten Insekten ein. "Wer kann es wagen wollen, unsere Freiheit anzutasten," riefen sie. "Sie ist uns zugeschworen - heilige Naturgesetze verbürgen sie uns; das Recht, was mit uns geboren wurde, kann uns keine Macht der Erde mehr entziehen!"

Die Unvorsichtigen! Bald nahten jene unglücksschwangern Wolken, deren wir eine passirt haben. Es waren die Heere der Gewalt, gesendet von der Purpurschrecke. Glaube nicht, Vetter, daß diese Schwärme von Schnarrschrecken und Wanderschrecken, wie du sie da siehst, in Unordnung hin- und herfliegen. Sie haben einen von der Purpurschrecke eingesetzten Anführer, dem sie blindlings gehorchen. So groß ist dieser Gehorsam, daß die gemeinen Wanderheuschrecken unweigerlich alle Befehle ihres Anführers ausführen, ohne nach ihrem Zweck, ihrem Grunde zu fragen. Das arme Volk muß diese Gewaltscene, diese Heuschreckenschwärme ernähren, die unbedingt in die Hand der Purpurschrecke gegeben sind. Diese setzt ihnen den Anführer, diese

Die Ordnung, die heilige Ordnung, muß wieder hergestellt werden!“ So erschreckten sie die Weiber und Kinder, und diejenigen Männer, welche an Bleichsucht der Leber litten, stifteten Vereine und Treubünde, in denen sie heulten und plärrten und predigten täglich und stündlich über den bevorstehenden Untergang der Insektenwelt und die furchtbare Rache, welche der zürnende Gott an den anarchischen Missethätern nehmen werde, die weder glauben, noch gehorchen, sondern sich selbst Gesetze geben und sich selbst regieren wollten. Die freien Kerfe kümmerten sich wenig um dieß Gerede – „laßt jene glauben was sie wollen,“ sagten sie, „wenn wir nur glauben dürfen, was wir wollen. Sie haben denselben Anspruch auf Freiheit, wie wir!“ In Sorglosigkeit wiegten sich die ungeknechteten Insekten ein. „Wer kann es wagen wollen, unsere Freiheit anzutasten,“ riefen sie. „Sie ist uns zugeschworen – heilige Naturgesetze verbürgen sie uns; das Recht, was mit uns geboren wurde, kann uns keine Macht der Erde mehr entziehen!“

Die Unvorsichtigen! Bald nahten jene unglücksschwangern Wolken, deren wir eine passirt haben. Es waren die Heere der Gewalt, gesendet von der Purpurschrecke. Glaube nicht, Vetter, daß diese Schwärme von Schnarrschrecken und Wanderschrecken, wie du sie da siehst, in Unordnung hin- und herfliegen. Sie haben einen von der Purpurschrecke eingesetzten Anführer, dem sie blindlings gehorchen. So groß ist dieser Gehorsam, daß die gemeinen Wanderheuschrecken unweigerlich alle Befehle ihres Anführers ausführen, ohne nach ihrem Zweck, ihrem Grunde zu fragen. Das arme Volk muß diese Gewaltscene, diese Heuschreckenschwärme ernähren, die unbedingt in die Hand der Purpurschrecke gegeben sind. Diese setzt ihnen den Anführer, diese

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[156/0184] Die Ordnung, die heilige Ordnung, muß wieder hergestellt werden!“ So erschreckten sie die Weiber und Kinder, und diejenigen Männer, welche an Bleichsucht der Leber litten, stifteten Vereine und Treubünde, in denen sie heulten und plärrten und predigten täglich und stündlich über den bevorstehenden Untergang der Insektenwelt und die furchtbare Rache, welche der zürnende Gott an den anarchischen Missethätern nehmen werde, die weder glauben, noch gehorchen, sondern sich selbst Gesetze geben und sich selbst regieren wollten. Die freien Kerfe kümmerten sich wenig um dieß Gerede – „laßt jene glauben was sie wollen,“ sagten sie, „wenn wir nur glauben dürfen, was wir wollen. Sie haben denselben Anspruch auf Freiheit, wie wir!“ In Sorglosigkeit wiegten sich die ungeknechteten Insekten ein. „Wer kann es wagen wollen, unsere Freiheit anzutasten,“ riefen sie. „Sie ist uns zugeschworen – heilige Naturgesetze verbürgen sie uns; das Recht, was mit uns geboren wurde, kann uns keine Macht der Erde mehr entziehen!“ Die Unvorsichtigen! Bald nahten jene unglücksschwangern Wolken, deren wir eine passirt haben. Es waren die Heere der Gewalt, gesendet von der Purpurschrecke. Glaube nicht, Vetter, daß diese Schwärme von Schnarrschrecken und Wanderschrecken, wie du sie da siehst, in Unordnung hin- und herfliegen. Sie haben einen von der Purpurschrecke eingesetzten Anführer, dem sie blindlings gehorchen. So groß ist dieser Gehorsam, daß die gemeinen Wanderheuschrecken unweigerlich alle Befehle ihres Anführers ausführen, ohne nach ihrem Zweck, ihrem Grunde zu fragen. Das arme Volk muß diese Gewaltscene, diese Heuschreckenschwärme ernähren, die unbedingt in die Hand der Purpurschrecke gegeben sind. Diese setzt ihnen den Anführer, diese

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/184>, abgerufen am 24.11.2024.