Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.an vielen Orten verbannten Klasse Geltung haben soll, und den ihr Stifter als unverbrüchliche Ordensregel hingestellt hat, lautet: Eritis sicut baculus in manu viatoris. Ihre Magerkeit ist abschreckend; ihr Leib gleicht einem langen, runzlichen, grauen Stöcklein, von welchem hie und da einige sparrige Zweige ausgehen. Manche haben Flügel, Andere gehen ganz nackt. So schleichen diese Thiere langsam und träge am Boden und im Grase umher - die unvorsichtigen Insekten glauben nicht, daß sie Leben hätten, sondern halten sie für abgefallene dürre Zweige; sobald sich eine Gefahr nähert, strecken sie sich starr aus und bleiben wie todt. O der Schlauen, welche sich todt stellen, um ihr gefährliches Leben zu verbergen! Viele Kerfe glauben gar nicht an ihr Dasein - "Wo sie sind, diese Stabschrecken," sagen sie; "wir möchten gerne welche sehen! Aber es gibt keine mehr; die es gab, sind todt oder ausgewandert. Ihre Existenz ist ein Kindermärchen, womit man Leichtgläubige hintergeht." Und während manches unerfahrene Insekt so spricht, setzt es vielleicht seinen Fuß auf ein solches Thier, welches von ihm für einen todten Zweig gehalten wird. Die Schrecke hält sich unbeweglich und schleicht erst weiter, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist... Wo sie aber ein wehrloses Insekt findet... wehe ihm! O Vetter Hirschkäfer, hütet Euch vor diesen Heimduckern, von welchen geschrieben steht: Eritis sicut baculus! - - - - an vielen Orten verbannten Klasse Geltung haben soll, und den ihr Stifter als unverbrüchliche Ordensregel hingestellt hat, lautet: Eritis sicut baculus in manu viatoris. Ihre Magerkeit ist abschreckend; ihr Leib gleicht einem langen, runzlichen, grauen Stöcklein, von welchem hie und da einige sparrige Zweige ausgehen. Manche haben Flügel, Andere gehen ganz nackt. So schleichen diese Thiere langsam und träge am Boden und im Grase umher – die unvorsichtigen Insekten glauben nicht, daß sie Leben hätten, sondern halten sie für abgefallene dürre Zweige; sobald sich eine Gefahr nähert, strecken sie sich starr aus und bleiben wie todt. O der Schlauen, welche sich todt stellen, um ihr gefährliches Leben zu verbergen! Viele Kerfe glauben gar nicht an ihr Dasein – „Wo sie sind, diese Stabschrecken,“ sagen sie; „wir möchten gerne welche sehen! Aber es gibt keine mehr; die es gab, sind todt oder ausgewandert. Ihre Existenz ist ein Kindermärchen, womit man Leichtgläubige hintergeht.“ Und während manches unerfahrene Insekt so spricht, setzt es vielleicht seinen Fuß auf ein solches Thier, welches von ihm für einen todten Zweig gehalten wird. Die Schrecke hält sich unbeweglich und schleicht erst weiter, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist… Wo sie aber ein wehrloses Insekt findet… wehe ihm! O Vetter Hirschkäfer, hütet Euch vor diesen Heimduckern, von welchen geschrieben steht: Eritis sicut baculus! – – – – <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0174" n="146"/> an vielen Orten verbannten Klasse Geltung haben soll, und den ihr Stifter als unverbrüchliche Ordensregel hingestellt hat, lautet: <hi rendition="#aq">Eritis sicut baculus in manu viatoris</hi>. Ihre Magerkeit ist abschreckend; ihr Leib gleicht einem langen, runzlichen, grauen Stöcklein, von welchem hie und da einige sparrige Zweige ausgehen. Manche haben Flügel, Andere gehen ganz nackt. So schleichen diese Thiere langsam und träge am Boden und im Grase umher – die unvorsichtigen Insekten glauben nicht, daß sie Leben hätten, sondern halten sie für abgefallene dürre Zweige; sobald sich eine Gefahr nähert, strecken sie sich starr aus und bleiben wie todt. O der Schlauen, welche sich todt stellen, um ihr gefährliches Leben zu verbergen! Viele Kerfe glauben gar nicht an ihr Dasein – „Wo sie sind, diese Stabschrecken,“ sagen sie; „wir möchten gerne welche sehen! Aber es gibt keine mehr; die es gab, sind todt oder ausgewandert. Ihre Existenz ist ein Kindermärchen, womit man Leichtgläubige hintergeht.“ Und während manches unerfahrene Insekt so spricht, setzt es vielleicht seinen Fuß auf ein solches Thier, welches von ihm für einen todten Zweig gehalten wird. Die Schrecke hält sich unbeweglich und schleicht erst weiter, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist… Wo sie aber ein wehrloses Insekt findet… wehe ihm!</p> <p>O Vetter Hirschkäfer, hütet Euch vor diesen Heimduckern, von welchen geschrieben steht: <hi rendition="#aq">Eritis sicut baculus!</hi></p> <p rendition="#c">– – – –</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0174]
an vielen Orten verbannten Klasse Geltung haben soll, und den ihr Stifter als unverbrüchliche Ordensregel hingestellt hat, lautet: Eritis sicut baculus in manu viatoris. Ihre Magerkeit ist abschreckend; ihr Leib gleicht einem langen, runzlichen, grauen Stöcklein, von welchem hie und da einige sparrige Zweige ausgehen. Manche haben Flügel, Andere gehen ganz nackt. So schleichen diese Thiere langsam und träge am Boden und im Grase umher – die unvorsichtigen Insekten glauben nicht, daß sie Leben hätten, sondern halten sie für abgefallene dürre Zweige; sobald sich eine Gefahr nähert, strecken sie sich starr aus und bleiben wie todt. O der Schlauen, welche sich todt stellen, um ihr gefährliches Leben zu verbergen! Viele Kerfe glauben gar nicht an ihr Dasein – „Wo sie sind, diese Stabschrecken,“ sagen sie; „wir möchten gerne welche sehen! Aber es gibt keine mehr; die es gab, sind todt oder ausgewandert. Ihre Existenz ist ein Kindermärchen, womit man Leichtgläubige hintergeht.“ Und während manches unerfahrene Insekt so spricht, setzt es vielleicht seinen Fuß auf ein solches Thier, welches von ihm für einen todten Zweig gehalten wird. Die Schrecke hält sich unbeweglich und schleicht erst weiter, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist… Wo sie aber ein wehrloses Insekt findet… wehe ihm!
O Vetter Hirschkäfer, hütet Euch vor diesen Heimduckern, von welchen geschrieben steht: Eritis sicut baculus!
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