orte liegen. Bei vielen Arten sind diese Wanderungen in periodischer Wiederkehr eingerichtet. Wir sind von unseren Störchen und Schwal- ben gewohnt, daß sie im Herbste südwärts ziehen und im Frühjahre uns wiederkehren; eine Abweichung von dieser Regel würde als ein außerordentliches Naturereigniß gedeutet werden. Nicht so verhält es sich mit den Wanderungen der Lemminge zum Beispiele, der Heu- schrecken und so mancher anderer Thieren, die in gewöhnlichen Zeiten ruhig innerhalb ihrer Wohnsitze bleiben, zuweilen aber plötzlich von Hungersnoth getrieben in Masse ausziehen, um an anderen Orten Futter zu suchen, ähnlich gewissermaßen hierin den Menschenschwär- men zur Zeit der Völkerwanderung. Es ist zuweilen vorgekommen, daß der Verbreitungsbezirk eines Thieres durch solche Wanderung und die davon zurückbleibenden Ansiedler in bedeutender Weise ver- größert wurde. Weniger in Anschlag zu bringen sind zufällige Ver- irrungen oder Verschlagungen, welche zuweilen vorkommen und durch Stürme, Meeresströmungen oder ähnliche Ursachen bedingt werden.
Während die Pflanzenwelt nur auf das feste Land und somit auf den kleinsten Theil der Erdoberfläche beschränkt ist, breitet sich die Thierwelt gleichmäßig im Meere und auf dem Lande aus und dürfte in beiden Elementen etwa eine gleiche Zahl von Formen be- sitzen. Wenn es sich deßhalb darum handelt, die geographische Ver- breitung der Thiere näher in das Auge zu fassen, so müssen Land und Meer gleichmäßig berücksichtigt werden, ein Umstand, wodurch, wie man leicht sieht, die Schwierigkeiten verdoppelt werden, da das Meer als das unzugängliche Element sich nur schwierig die zu solcher Be- arbeitung nöthigen Thatsachen entreißen läßt, wie denn auch anderer- seits die Bestimmung des Ortes größeren Schwierigkeiten und größe- ren Irrthümern unterworfen ist. Zu dem bietet, wie es scheint, das Meer durch seine uns zum großen Theile noch unbekannten Strö- mungen und durch die größere Gleichförmigkeit seiner Temperatur eine bedeutende Leichtigkeit zur Zerstreuung der Thiere über größere Strecken dar.
Untersucht man die Verhältnisse, unter welchen die zahlreichen Thierarten auf der Erde verbreitet sind, so zeigt sich bald, daß nur wenige dieser Arten sich fast über die ganze Erdoberfläche zerstreut finden, die meisten dagegen einen fest beschränkten Wohnort haben, nach dessen Gränzen hin sie allmälig seltener werden und sich endlich ganz verlieren. Die Seltenheit einzelner Thiere an bestimmten Orten rührt oft nur daher, daß diese Orte an der Grenze ihres Verbrei-
orte liegen. Bei vielen Arten ſind dieſe Wanderungen in periodiſcher Wiederkehr eingerichtet. Wir ſind von unſeren Störchen und Schwal- ben gewohnt, daß ſie im Herbſte ſüdwärts ziehen und im Frühjahre uns wiederkehren; eine Abweichung von dieſer Regel würde als ein außerordentliches Naturereigniß gedeutet werden. Nicht ſo verhält es ſich mit den Wanderungen der Lemminge zum Beiſpiele, der Heu- ſchrecken und ſo mancher anderer Thieren, die in gewöhnlichen Zeiten ruhig innerhalb ihrer Wohnſitze bleiben, zuweilen aber plötzlich von Hungersnoth getrieben in Maſſe ausziehen, um an anderen Orten Futter zu ſuchen, ähnlich gewiſſermaßen hierin den Menſchenſchwär- men zur Zeit der Völkerwanderung. Es iſt zuweilen vorgekommen, daß der Verbreitungsbezirk eines Thieres durch ſolche Wanderung und die davon zurückbleibenden Anſiedler in bedeutender Weiſe ver- größert wurde. Weniger in Anſchlag zu bringen ſind zufällige Ver- irrungen oder Verſchlagungen, welche zuweilen vorkommen und durch Stürme, Meeresſtrömungen oder ähnliche Urſachen bedingt werden.
Während die Pflanzenwelt nur auf das feſte Land und ſomit auf den kleinſten Theil der Erdoberfläche beſchränkt iſt, breitet ſich die Thierwelt gleichmäßig im Meere und auf dem Lande aus und dürfte in beiden Elementen etwa eine gleiche Zahl von Formen be- ſitzen. Wenn es ſich deßhalb darum handelt, die geographiſche Ver- breitung der Thiere näher in das Auge zu faſſen, ſo müſſen Land und Meer gleichmäßig berückſichtigt werden, ein Umſtand, wodurch, wie man leicht ſieht, die Schwierigkeiten verdoppelt werden, da das Meer als das unzugängliche Element ſich nur ſchwierig die zu ſolcher Be- arbeitung nöthigen Thatſachen entreißen läßt, wie denn auch anderer- ſeits die Beſtimmung des Ortes größeren Schwierigkeiten und größe- ren Irrthümern unterworfen iſt. Zu dem bietet, wie es ſcheint, das Meer durch ſeine uns zum großen Theile noch unbekannten Strö- mungen und durch die größere Gleichförmigkeit ſeiner Temperatur eine bedeutende Leichtigkeit zur Zerſtreuung der Thiere über größere Strecken dar.
Unterſucht man die Verhältniſſe, unter welchen die zahlreichen Thierarten auf der Erde verbreitet ſind, ſo zeigt ſich bald, daß nur wenige dieſer Arten ſich faſt über die ganze Erdoberfläche zerſtreut finden, die meiſten dagegen einen feſt beſchränkten Wohnort haben, nach deſſen Gränzen hin ſie allmälig ſeltener werden und ſich endlich ganz verlieren. Die Seltenheit einzelner Thiere an beſtimmten Orten rührt oft nur daher, daß dieſe Orte an der Grenze ihres Verbrei-
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orte liegen. Bei vielen Arten ſind dieſe Wanderungen in periodiſcher
Wiederkehr eingerichtet. Wir ſind von unſeren Störchen und Schwal-
ben gewohnt, daß ſie im Herbſte ſüdwärts ziehen und im Frühjahre
uns wiederkehren; eine Abweichung von dieſer Regel würde als ein
außerordentliches Naturereigniß gedeutet werden. Nicht ſo verhält
es ſich mit den Wanderungen der Lemminge zum Beiſpiele, der Heu-
ſchrecken und ſo mancher anderer Thieren, die in gewöhnlichen Zeiten
ruhig innerhalb ihrer Wohnſitze bleiben, zuweilen aber plötzlich von
Hungersnoth getrieben in Maſſe ausziehen, um an anderen Orten
Futter zu ſuchen, ähnlich gewiſſermaßen hierin den Menſchenſchwär-
men zur Zeit der Völkerwanderung. Es iſt zuweilen vorgekommen,
daß der Verbreitungsbezirk eines Thieres durch ſolche Wanderung
und die davon zurückbleibenden Anſiedler in bedeutender Weiſe ver-
größert wurde. Weniger in Anſchlag zu bringen ſind zufällige Ver-
irrungen oder Verſchlagungen, welche zuweilen vorkommen und durch
Stürme, Meeresſtrömungen oder ähnliche Urſachen bedingt werden.
Während die Pflanzenwelt nur auf das feſte Land und ſomit
auf den kleinſten Theil der Erdoberfläche beſchränkt iſt, breitet ſich
die Thierwelt gleichmäßig im Meere und auf dem Lande aus und
dürfte in beiden Elementen etwa eine gleiche Zahl von Formen be-
ſitzen. Wenn es ſich deßhalb darum handelt, die geographiſche Ver-
breitung der Thiere näher in das Auge zu faſſen, ſo müſſen Land und
Meer gleichmäßig berückſichtigt werden, ein Umſtand, wodurch, wie
man leicht ſieht, die Schwierigkeiten verdoppelt werden, da das Meer
als das unzugängliche Element ſich nur ſchwierig die zu ſolcher Be-
arbeitung nöthigen Thatſachen entreißen läßt, wie denn auch anderer-
ſeits die Beſtimmung des Ortes größeren Schwierigkeiten und größe-
ren Irrthümern unterworfen iſt. Zu dem bietet, wie es ſcheint, das
Meer durch ſeine uns zum großen Theile noch unbekannten Strö-
mungen und durch die größere Gleichförmigkeit ſeiner Temperatur
eine bedeutende Leichtigkeit zur Zerſtreuung der Thiere über größere
Strecken dar.
Unterſucht man die Verhältniſſe, unter welchen die zahlreichen
Thierarten auf der Erde verbreitet ſind, ſo zeigt ſich bald, daß nur
wenige dieſer Arten ſich faſt über die ganze Erdoberfläche zerſtreut
finden, die meiſten dagegen einen feſt beſchränkten Wohnort haben,
nach deſſen Gränzen hin ſie allmälig ſeltener werden und ſich endlich
ganz verlieren. Die Seltenheit einzelner Thiere an beſtimmten Orten
rührt oft nur daher, daß dieſe Orte an der Grenze ihres Verbrei-
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/580>, abgerufen am 22.11.2024.
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