daß die intellektuelle Entwicklung der Affen im mannbaren Alter zu- rücksinkt und daß in der Jugend die Schädelkapsel ein weit günstige- res Verhältniß den Gesichtsknochen gegenüber hat, als im mannbaren Alter, wodurch die Menschenähnlichkeit der jungen Affen bedeutend erhöht wird. Der menschliche Schädel zeichnet sich auch von dem der menschenähnlichsten Affen im erwachsenen Zustande durch eine un- endlich bedeutendere Entwicklung des Hirnantheiles und durch das Zurücksinken der Kiefertheile aus. Das Gesicht bildet nur den unbe- deutenderen Anhang des Schädeltheiles, während bei den meisten Thie- ren gerade das umgekehrte Verhältniß stattfindet. Der Hirntheil ist höher gewölbt, die Stirne steiler, die Kiefer weniger schnauzenförmig vorgezogen, als bei irgend einem anderen Thiere und während der Gesichtswinkel bei dem Menschen zwischen 70 und 80 Grad schwankt, beträgt er bei dem erwachsenen Orang nur 30 und bei dem Schim- panse höchstens 35 Grad, während er freilich bei jungen Thieren bis zu 60 Grad hinaufgeht. Mit dieser größeren Ausbildung des Hirn- antheiles und der geringeren Entwicklung der Kiefer hängen auch die übrigen Verschiedenheiten in der Schädelform im Allgemeinen zusam- men. Der Schädel der menschenähnlichsten Affen erscheint bei der Betrachtung von oben als ein sehr verlängertes Oval, das aus zwei etwa gleichen Hälften besteht, dem Schädel und dem Gesichte, während auch bei dem verlängertsten Negerschädel eine durch den Mittelpunkt der Schädelbasis gezogene Querlinie weit in den Hirnantheil hinein- fällt. Gleiche Unterschiede zeigen sich bei der Betrachtung der Grund- fläche des Schädels, wobei besonders die Lagerung des Hinterhaupts- loches und der Jochbogen in die Augen fällt. Bei allen menschlichen Schädeln liegt der Jochbogen stets ganz in der vorderen Hälfte des mittleren Längendurchmessers, während er bei den menschenähnlichsten Affen etwa der Mitte des Längendurchmessers entspricht und halb in der vorderen, halb in der hinteren Hälfte liegt. Das große Hinter- hauptsloch, durch welches das verlängerte Mark in die Schädelhöhle aufsteigt, liegt etwa in der Mitte der menschlichen Schädelbasis, so daß sein vorderer Rand gerade auf die Hälfte des Längendurchmessers des Schädels trifft, der auf den beiden zur Seite des Hinterhaupt- loches gelegenen Gelenkhöckern vollkommen balancirt werden kann. Bei den Affen liegt dagegen das Hinterhauptsloch vollständig in dem hinteren Drittheile des Schädels, der nicht auf den beiden Gelenk- höckern sich im Gleichgewichte erhalten kann, sondern nach vorn über- wiegt. Zu diesen wesentlichen Charakteren kommt noch die Abplat- tung der Schädelbasis bei den Affen und ihre Abrundung und Wöl-
daß die intellektuelle Entwicklung der Affen im mannbaren Alter zu- rückſinkt und daß in der Jugend die Schädelkapſel ein weit günſtige- res Verhältniß den Geſichtsknochen gegenüber hat, als im mannbaren Alter, wodurch die Menſchenähnlichkeit der jungen Affen bedeutend erhöht wird. Der menſchliche Schädel zeichnet ſich auch von dem der menſchenähnlichſten Affen im erwachſenen Zuſtande durch eine un- endlich bedeutendere Entwicklung des Hirnantheiles und durch das Zurückſinken der Kiefertheile aus. Das Geſicht bildet nur den unbe- deutenderen Anhang des Schädeltheiles, während bei den meiſten Thie- ren gerade das umgekehrte Verhältniß ſtattfindet. Der Hirntheil iſt höher gewölbt, die Stirne ſteiler, die Kiefer weniger ſchnauzenförmig vorgezogen, als bei irgend einem anderen Thiere und während der Geſichtswinkel bei dem Menſchen zwiſchen 70 und 80 Grad ſchwankt, beträgt er bei dem erwachſenen Orang nur 30 und bei dem Schim- panſe höchſtens 35 Grad, während er freilich bei jungen Thieren bis zu 60 Grad hinaufgeht. Mit dieſer größeren Ausbildung des Hirn- antheiles und der geringeren Entwicklung der Kiefer hängen auch die übrigen Verſchiedenheiten in der Schädelform im Allgemeinen zuſam- men. Der Schädel der menſchenähnlichſten Affen erſcheint bei der Betrachtung von oben als ein ſehr verlängertes Oval, das aus zwei etwa gleichen Hälften beſteht, dem Schädel und dem Geſichte, während auch bei dem verlängertſten Negerſchädel eine durch den Mittelpunkt der Schädelbaſis gezogene Querlinie weit in den Hirnantheil hinein- fällt. Gleiche Unterſchiede zeigen ſich bei der Betrachtung der Grund- fläche des Schädels, wobei beſonders die Lagerung des Hinterhaupts- loches und der Jochbogen in die Augen fällt. Bei allen menſchlichen Schädeln liegt der Jochbogen ſtets ganz in der vorderen Hälfte des mittleren Längendurchmeſſers, während er bei den menſchenähnlichſten Affen etwa der Mitte des Längendurchmeſſers entſpricht und halb in der vorderen, halb in der hinteren Hälfte liegt. Das große Hinter- hauptsloch, durch welches das verlängerte Mark in die Schädelhöhle aufſteigt, liegt etwa in der Mitte der menſchlichen Schädelbaſis, ſo daß ſein vorderer Rand gerade auf die Hälfte des Längendurchmeſſers des Schädels trifft, der auf den beiden zur Seite des Hinterhaupt- loches gelegenen Gelenkhöckern vollkommen balancirt werden kann. Bei den Affen liegt dagegen das Hinterhauptsloch vollſtändig in dem hinteren Drittheile des Schädels, der nicht auf den beiden Gelenk- höckern ſich im Gleichgewichte erhalten kann, ſondern nach vorn über- wiegt. Zu dieſen weſentlichen Charakteren kommt noch die Abplat- tung der Schädelbaſis bei den Affen und ihre Abrundung und Wöl-
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daß die intellektuelle Entwicklung der Affen im mannbaren Alter zu-
rückſinkt und daß in der Jugend die Schädelkapſel ein weit günſtige-
res Verhältniß den Geſichtsknochen gegenüber hat, als im mannbaren
Alter, wodurch die Menſchenähnlichkeit der jungen Affen bedeutend
erhöht wird. Der menſchliche Schädel zeichnet ſich auch von dem
der menſchenähnlichſten Affen im erwachſenen Zuſtande durch eine un-
endlich bedeutendere Entwicklung des Hirnantheiles und durch das
Zurückſinken der Kiefertheile aus. Das Geſicht bildet nur den unbe-
deutenderen Anhang des Schädeltheiles, während bei den meiſten Thie-
ren gerade das umgekehrte Verhältniß ſtattfindet. Der Hirntheil iſt
höher gewölbt, die Stirne ſteiler, die Kiefer weniger ſchnauzenförmig
vorgezogen, als bei irgend einem anderen Thiere und während der
Geſichtswinkel bei dem Menſchen zwiſchen 70 und 80 Grad ſchwankt,
beträgt er bei dem erwachſenen Orang nur 30 und bei dem Schim-
panſe höchſtens 35 Grad, während er freilich bei jungen Thieren bis
zu 60 Grad hinaufgeht. Mit dieſer größeren Ausbildung des Hirn-
antheiles und der geringeren Entwicklung der Kiefer hängen auch die
übrigen Verſchiedenheiten in der Schädelform im Allgemeinen zuſam-
men. Der Schädel der menſchenähnlichſten Affen erſcheint bei der
Betrachtung von oben als ein ſehr verlängertes Oval, das aus zwei
etwa gleichen Hälften beſteht, dem Schädel und dem Geſichte, während
auch bei dem verlängertſten Negerſchädel eine durch den Mittelpunkt
der Schädelbaſis gezogene Querlinie weit in den Hirnantheil hinein-
fällt. Gleiche Unterſchiede zeigen ſich bei der Betrachtung der Grund-
fläche des Schädels, wobei beſonders die Lagerung des Hinterhaupts-
loches und der Jochbogen in die Augen fällt. Bei allen menſchlichen
Schädeln liegt der Jochbogen ſtets ganz in der vorderen Hälfte des
mittleren Längendurchmeſſers, während er bei den menſchenähnlichſten
Affen etwa der Mitte des Längendurchmeſſers entſpricht und halb in
der vorderen, halb in der hinteren Hälfte liegt. Das große Hinter-
hauptsloch, durch welches das verlängerte Mark in die Schädelhöhle
aufſteigt, liegt etwa in der Mitte der menſchlichen Schädelbaſis, ſo
daß ſein vorderer Rand gerade auf die Hälfte des Längendurchmeſſers
des Schädels trifft, der auf den beiden zur Seite des Hinterhaupt-
loches gelegenen Gelenkhöckern vollkommen balancirt werden kann.
Bei den Affen liegt dagegen das Hinterhauptsloch vollſtändig in dem
hinteren Drittheile des Schädels, der nicht auf den beiden Gelenk-
höckern ſich im Gleichgewichte erhalten kann, ſondern nach vorn über-
wiegt. Zu dieſen weſentlichen Charakteren kommt noch die Abplat-
tung der Schädelbaſis bei den Affen und ihre Abrundung und Wöl-
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/545>, abgerufen am 23.11.2024.
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