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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Vögeln, bei welchen die Jungen unmittelbar nach dem Ausschlüpfen
sich selbst ihre Nahrung suchen können, wie bei unsern Hühnern, die
Zahl bis auf zwanzig und mehr steigt. Die Wärme des brütenden
Vogels kann mit demselben Erfolg auf künstliche Weise ersetzt werden,
nur muß man Sorge tragen, daß sie stets in gleichmäßiger Weise bis
zum Ausschlüpfen der Jungen erhalten werde.

Die Entwickelung des Vogelembryos, deren Studium wahr-
haft den Grund zu unserer heutigen Wissenschaft der Entwickelungs-
geschichte gelegt hat, gleicht so sehr in allen Stücken derjenigen der
Reptilien, daß die dort gegebene Beschreibung unbedenklich überall
auf die Vogelembryonen angewandt werden kann; wenigstens was
die erste Zeit der Bildung betrifft. Es war natürlich, daß die For-
schung, sobald sie einmal auf diesen Punkt gerichtet war, das Hühn-
chen zum Gegenstande nehmen mußte, und obgleich zwischen ihm und
den Säugethieren beträchtliche Verschiedenheiten obwalten, so wurde
doch bei der Schwierigkeit, sich junge Embryonen von Säugethieren
zu verschaffen, das Hühnchen stets als Ausgangspunkt für die Dar-
stellung der frühesten Entwickelungszeiten gewählt. Das Ei der Vö-
gel besteht unmittelbar nach dem Legen aus einer äußeren, harten,
porösen Kalkschale, deren häutige Grundlage nur gering an Masse ist.
Zahlreiche Poren gestatten einen Austausch von Gasen durch diese
Schale hindurch, welche bald weiß, bald mehr oder minder gefärbt,
zuweilen mit Flecken, Tupfen und Stricheln geziert und deren Form,
Größe und Zeichnung für jede Art charakteristisch ist. Bricht man
diese Schale auf, so findet man zuerst die Schalenhaut in Form einer
weißlichen, undurchsichtigen Membran, die überall die innere Fläche
der Schale auskleidet, mit Ausnahme des stumpfen Poles, wo sie nach innen
weicht und so einen Luftraum herstellt, der für die Athmung des Embryo's
von Wichtigkeit ist. Innerhalb der Schalenhaut liegt nun das zähe durch-
sichtige Eiweiß, welches beim Kochen zu einer weißen Masse gerinnt und
aus mehreren Schichten besteht, die gegen den Dotter hin stets dichter
werden. Die dickste Schicht des Eiweißes umgiebt unmittelbar den
Dotter und setzt sich an beiden Polen des Eies in spiralig gedrehte
Stränge, die Hagelschnüre (chalazae) fort. Die gelbe Dotterkugel wird
unmittelbar von einer dünnen, strukturlosen Haut, der Dotterhaut,
umhüllt, welche die ursprüngliche Eihaut ist, mit der das Ei den Eier-
stock verließ, indem alle bisher beschriebenen Gebilde, Eiweiß, Eischalen-
haut und Schale, der Dotterkugel erst auf ihrer Wanderung durch den
Eileiter umgebildet wurden. Die Dotterhaut verschwindet gänzlich im

Vögeln, bei welchen die Jungen unmittelbar nach dem Ausſchlüpfen
ſich ſelbſt ihre Nahrung ſuchen können, wie bei unſern Hühnern, die
Zahl bis auf zwanzig und mehr ſteigt. Die Wärme des brütenden
Vogels kann mit demſelben Erfolg auf künſtliche Weiſe erſetzt werden,
nur muß man Sorge tragen, daß ſie ſtets in gleichmäßiger Weiſe bis
zum Ausſchlüpfen der Jungen erhalten werde.

Die Entwickelung des Vogelembryos, deren Studium wahr-
haft den Grund zu unſerer heutigen Wiſſenſchaft der Entwickelungs-
geſchichte gelegt hat, gleicht ſo ſehr in allen Stücken derjenigen der
Reptilien, daß die dort gegebene Beſchreibung unbedenklich überall
auf die Vogelembryonen angewandt werden kann; wenigſtens was
die erſte Zeit der Bildung betrifft. Es war natürlich, daß die For-
ſchung, ſobald ſie einmal auf dieſen Punkt gerichtet war, das Hühn-
chen zum Gegenſtande nehmen mußte, und obgleich zwiſchen ihm und
den Säugethieren beträchtliche Verſchiedenheiten obwalten, ſo wurde
doch bei der Schwierigkeit, ſich junge Embryonen von Säugethieren
zu verſchaffen, das Hühnchen ſtets als Ausgangspunkt für die Dar-
ſtellung der früheſten Entwickelungszeiten gewählt. Das Ei der Vö-
gel beſteht unmittelbar nach dem Legen aus einer äußeren, harten,
poröſen Kalkſchale, deren häutige Grundlage nur gering an Maſſe iſt.
Zahlreiche Poren geſtatten einen Austauſch von Gaſen durch dieſe
Schale hindurch, welche bald weiß, bald mehr oder minder gefärbt,
zuweilen mit Flecken, Tupfen und Stricheln geziert und deren Form,
Größe und Zeichnung für jede Art charakteriſtiſch iſt. Bricht man
dieſe Schale auf, ſo findet man zuerſt die Schalenhaut in Form einer
weißlichen, undurchſichtigen Membran, die überall die innere Fläche
der Schale auskleidet, mit Ausnahme des ſtumpfen Poles, wo ſie nach innen
weicht und ſo einen Luftraum herſtellt, der für die Athmung des Embryo’s
von Wichtigkeit iſt. Innerhalb der Schalenhaut liegt nun das zähe durch-
ſichtige Eiweiß, welches beim Kochen zu einer weißen Maſſe gerinnt und
aus mehreren Schichten beſteht, die gegen den Dotter hin ſtets dichter
werden. Die dickſte Schicht des Eiweißes umgiebt unmittelbar den
Dotter und ſetzt ſich an beiden Polen des Eies in ſpiralig gedrehte
Stränge, die Hagelſchnüre (chalazae) fort. Die gelbe Dotterkugel wird
unmittelbar von einer dünnen, ſtrukturloſen Haut, der Dotterhaut,
umhüllt, welche die urſprüngliche Eihaut iſt, mit der das Ei den Eier-
ſtock verließ, indem alle bisher beſchriebenen Gebilde, Eiweiß, Eiſchalen-
haut und Schale, der Dotterkugel erſt auf ihrer Wanderung durch den
Eileiter umgebildet wurden. Die Dotterhaut verſchwindet gänzlich im

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[322/0328] Vögeln, bei welchen die Jungen unmittelbar nach dem Ausſchlüpfen ſich ſelbſt ihre Nahrung ſuchen können, wie bei unſern Hühnern, die Zahl bis auf zwanzig und mehr ſteigt. Die Wärme des brütenden Vogels kann mit demſelben Erfolg auf künſtliche Weiſe erſetzt werden, nur muß man Sorge tragen, daß ſie ſtets in gleichmäßiger Weiſe bis zum Ausſchlüpfen der Jungen erhalten werde. Die Entwickelung des Vogelembryos, deren Studium wahr- haft den Grund zu unſerer heutigen Wiſſenſchaft der Entwickelungs- geſchichte gelegt hat, gleicht ſo ſehr in allen Stücken derjenigen der Reptilien, daß die dort gegebene Beſchreibung unbedenklich überall auf die Vogelembryonen angewandt werden kann; wenigſtens was die erſte Zeit der Bildung betrifft. Es war natürlich, daß die For- ſchung, ſobald ſie einmal auf dieſen Punkt gerichtet war, das Hühn- chen zum Gegenſtande nehmen mußte, und obgleich zwiſchen ihm und den Säugethieren beträchtliche Verſchiedenheiten obwalten, ſo wurde doch bei der Schwierigkeit, ſich junge Embryonen von Säugethieren zu verſchaffen, das Hühnchen ſtets als Ausgangspunkt für die Dar- ſtellung der früheſten Entwickelungszeiten gewählt. Das Ei der Vö- gel beſteht unmittelbar nach dem Legen aus einer äußeren, harten, poröſen Kalkſchale, deren häutige Grundlage nur gering an Maſſe iſt. Zahlreiche Poren geſtatten einen Austauſch von Gaſen durch dieſe Schale hindurch, welche bald weiß, bald mehr oder minder gefärbt, zuweilen mit Flecken, Tupfen und Stricheln geziert und deren Form, Größe und Zeichnung für jede Art charakteriſtiſch iſt. Bricht man dieſe Schale auf, ſo findet man zuerſt die Schalenhaut in Form einer weißlichen, undurchſichtigen Membran, die überall die innere Fläche der Schale auskleidet, mit Ausnahme des ſtumpfen Poles, wo ſie nach innen weicht und ſo einen Luftraum herſtellt, der für die Athmung des Embryo’s von Wichtigkeit iſt. Innerhalb der Schalenhaut liegt nun das zähe durch- ſichtige Eiweiß, welches beim Kochen zu einer weißen Maſſe gerinnt und aus mehreren Schichten beſteht, die gegen den Dotter hin ſtets dichter werden. Die dickſte Schicht des Eiweißes umgiebt unmittelbar den Dotter und ſetzt ſich an beiden Polen des Eies in ſpiralig gedrehte Stränge, die Hagelſchnüre (chalazae) fort. Die gelbe Dotterkugel wird unmittelbar von einer dünnen, ſtrukturloſen Haut, der Dotterhaut, umhüllt, welche die urſprüngliche Eihaut iſt, mit der das Ei den Eier- ſtock verließ, indem alle bisher beſchriebenen Gebilde, Eiweiß, Eiſchalen- haut und Schale, der Dotterkugel erſt auf ihrer Wanderung durch den Eileiter umgebildet wurden. Die Dotterhaut verſchwindet gänzlich im

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/328>, abgerufen am 22.11.2024.