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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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lebenszähere Thiere werden sogar noch lebend verschluckt. Die Arbeit
des Schlingens ist bei größeren Thieren eine ungemein mühsame; der
Rachen der Schlange erweitert sich nach und nach in ungeheuerem
Maße, die Unterkieferäste spreitzen sich auseinander, so weit es nur
irgend möglich ist, zwischen ihnen schiebt sich, da die Arbeit oft stun-
denlang dauert, der stielförmige Kehlkopf hervor, um die Athmung zu
unterhalten; die bedeutend entwickelten Speicheldrüsen ergießen ihr
Sekret, das den ganzen Bissen schlüpfrig macht, und so zieht sich nach
und nach der Kopf der Schlange über den Leichnam des Thieres
weg, bis dieser gänzlich in dem weiten Rachen und in der Speiseröhre
verschwunden ist. Die Verdauung geht äußerst langsam vor sich, ist
aber so aktiv, daß nur höchstens einige Hornreste des Thieres durch
den After entleert werden. Das was man gewöhnlich Schlangenkoth
nennt, ist der als halbweiche Masse entleerte Urin, der fast nur aus
Harnsäure besteht. Die meisten Schlangen brauchen ein bis zwei
Monate, bevor sie nach einer vollständig sättigenden Mahlzeit eine
andere einnehmen.

Eigentliche Bewegungsorgane fehlen den Schlangen ganz; von
vorderen Extremitäten, von einem Schultergürtel und einem Brust-
beine zeigt sich keine Spur; bei einigen Familien dagegen kommen
Spuren der hinteren Extremitäten vor, die indeß durchaus rudimentär
sind, aus einem oder mehreren kleinen Knöchelchen bestehen, von denen
die inneren dem Becken, die äußeren, wenn sie vorhanden sind, den
Extremitätenknochen entsprechen und die zuweilen einen klauenförmigen
Nagel tragen, der zur Seite des Afters kaum vorstehend sich zeigt.
Zum Ersatz für diesen Mangel der Extremitäten ist dagegen die Be-
weglichkeit der Wirbelsäule außerordentlich groß; -- die Wirbel sind
durch förmliche Kugelgelenke mit einander verbunden, indem stets der
Gelenkknopf des vorhergehenden Wirbels in einer runden Pfanne des
folgenden spielt; die Rippen sind ebenso durch Kugelgelenke mit den
Wirbelkörpern verbunden und bilden ebenso viele stabförmige Bewe-
gungshebel, deren jeder einen äußerst entwickelten Muskelapparat be-
sitzt, wodurch jede Rippe leicht nach allen Seiten hin bewegt werden
kann. Die Schlange läuft gewissermaßen, indem sie vorwärts gleitet,
auf den unter der Haut verborgenen Spitzen ihrer zahlreichen Rippen.
Auch tragen alle Wirbel, von dem ersten an bis zu denen des
Schwanzes, ausgebildete Rippen, die nur vorn etwas kleiner sind, so
daß in Wahrheit keine Halswirbel existiren. Ein Brustbein fehlt unter
allen Umständen, da die Enden aller Rippen vollständig frei sind.


lebenszähere Thiere werden ſogar noch lebend verſchluckt. Die Arbeit
des Schlingens iſt bei größeren Thieren eine ungemein mühſame; der
Rachen der Schlange erweitert ſich nach und nach in ungeheuerem
Maße, die Unterkieferäſte ſpreitzen ſich auseinander, ſo weit es nur
irgend möglich iſt, zwiſchen ihnen ſchiebt ſich, da die Arbeit oft ſtun-
denlang dauert, der ſtielförmige Kehlkopf hervor, um die Athmung zu
unterhalten; die bedeutend entwickelten Speicheldrüſen ergießen ihr
Sekret, das den ganzen Biſſen ſchlüpfrig macht, und ſo zieht ſich nach
und nach der Kopf der Schlange über den Leichnam des Thieres
weg, bis dieſer gänzlich in dem weiten Rachen und in der Speiſeröhre
verſchwunden iſt. Die Verdauung geht äußerſt langſam vor ſich, iſt
aber ſo aktiv, daß nur höchſtens einige Hornreſte des Thieres durch
den After entleert werden. Das was man gewöhnlich Schlangenkoth
nennt, iſt der als halbweiche Maſſe entleerte Urin, der faſt nur aus
Harnſäure beſteht. Die meiſten Schlangen brauchen ein bis zwei
Monate, bevor ſie nach einer vollſtändig ſättigenden Mahlzeit eine
andere einnehmen.

Eigentliche Bewegungsorgane fehlen den Schlangen ganz; von
vorderen Extremitäten, von einem Schultergürtel und einem Bruſt-
beine zeigt ſich keine Spur; bei einigen Familien dagegen kommen
Spuren der hinteren Extremitäten vor, die indeß durchaus rudimentär
ſind, aus einem oder mehreren kleinen Knöchelchen beſtehen, von denen
die inneren dem Becken, die äußeren, wenn ſie vorhanden ſind, den
Extremitätenknochen entſprechen und die zuweilen einen klauenförmigen
Nagel tragen, der zur Seite des Afters kaum vorſtehend ſich zeigt.
Zum Erſatz für dieſen Mangel der Extremitäten iſt dagegen die Be-
weglichkeit der Wirbelſäule außerordentlich groß; — die Wirbel ſind
durch förmliche Kugelgelenke mit einander verbunden, indem ſtets der
Gelenkknopf des vorhergehenden Wirbels in einer runden Pfanne des
folgenden ſpielt; die Rippen ſind ebenſo durch Kugelgelenke mit den
Wirbelkörpern verbunden und bilden ebenſo viele ſtabförmige Bewe-
gungshebel, deren jeder einen äußerſt entwickelten Muskelapparat be-
ſitzt, wodurch jede Rippe leicht nach allen Seiten hin bewegt werden
kann. Die Schlange läuft gewiſſermaßen, indem ſie vorwärts gleitet,
auf den unter der Haut verborgenen Spitzen ihrer zahlreichen Rippen.
Auch tragen alle Wirbel, von dem erſten an bis zu denen des
Schwanzes, ausgebildete Rippen, die nur vorn etwas kleiner ſind, ſo
daß in Wahrheit keine Halswirbel exiſtiren. Ein Bruſtbein fehlt unter
allen Umſtänden, da die Enden aller Rippen vollſtändig frei ſind.


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[255/0261] lebenszähere Thiere werden ſogar noch lebend verſchluckt. Die Arbeit des Schlingens iſt bei größeren Thieren eine ungemein mühſame; der Rachen der Schlange erweitert ſich nach und nach in ungeheuerem Maße, die Unterkieferäſte ſpreitzen ſich auseinander, ſo weit es nur irgend möglich iſt, zwiſchen ihnen ſchiebt ſich, da die Arbeit oft ſtun- denlang dauert, der ſtielförmige Kehlkopf hervor, um die Athmung zu unterhalten; die bedeutend entwickelten Speicheldrüſen ergießen ihr Sekret, das den ganzen Biſſen ſchlüpfrig macht, und ſo zieht ſich nach und nach der Kopf der Schlange über den Leichnam des Thieres weg, bis dieſer gänzlich in dem weiten Rachen und in der Speiſeröhre verſchwunden iſt. Die Verdauung geht äußerſt langſam vor ſich, iſt aber ſo aktiv, daß nur höchſtens einige Hornreſte des Thieres durch den After entleert werden. Das was man gewöhnlich Schlangenkoth nennt, iſt der als halbweiche Maſſe entleerte Urin, der faſt nur aus Harnſäure beſteht. Die meiſten Schlangen brauchen ein bis zwei Monate, bevor ſie nach einer vollſtändig ſättigenden Mahlzeit eine andere einnehmen. Eigentliche Bewegungsorgane fehlen den Schlangen ganz; von vorderen Extremitäten, von einem Schultergürtel und einem Bruſt- beine zeigt ſich keine Spur; bei einigen Familien dagegen kommen Spuren der hinteren Extremitäten vor, die indeß durchaus rudimentär ſind, aus einem oder mehreren kleinen Knöchelchen beſtehen, von denen die inneren dem Becken, die äußeren, wenn ſie vorhanden ſind, den Extremitätenknochen entſprechen und die zuweilen einen klauenförmigen Nagel tragen, der zur Seite des Afters kaum vorſtehend ſich zeigt. Zum Erſatz für dieſen Mangel der Extremitäten iſt dagegen die Be- weglichkeit der Wirbelſäule außerordentlich groß; — die Wirbel ſind durch förmliche Kugelgelenke mit einander verbunden, indem ſtets der Gelenkknopf des vorhergehenden Wirbels in einer runden Pfanne des folgenden ſpielt; die Rippen ſind ebenſo durch Kugelgelenke mit den Wirbelkörpern verbunden und bilden ebenſo viele ſtabförmige Bewe- gungshebel, deren jeder einen äußerſt entwickelten Muskelapparat be- ſitzt, wodurch jede Rippe leicht nach allen Seiten hin bewegt werden kann. Die Schlange läuft gewiſſermaßen, indem ſie vorwärts gleitet, auf den unter der Haut verborgenen Spitzen ihrer zahlreichen Rippen. Auch tragen alle Wirbel, von dem erſten an bis zu denen des Schwanzes, ausgebildete Rippen, die nur vorn etwas kleiner ſind, ſo daß in Wahrheit keine Halswirbel exiſtiren. Ein Bruſtbein fehlt unter allen Umſtänden, da die Enden aller Rippen vollſtändig frei ſind.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/261>, abgerufen am 22.11.2024.