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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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mit der Herstellung einer Längsfurche, welche zu beiden Seiten von
zwei erhabenen Wülsten eingefaßt ist und die man die Rückenfurche
genannt hat; mit fortschreitender Bildung heben sich diese Wülste in
die Höhe, weiten sich vorn aus, so daß der von ihnen umschlossene
Raum etwa die Form einer Lanze hat, und wölben sich zugleich mehr
und mehr nach oben zusammen, bis sie ein förmliches Rohr darstel-
len, das nach vorn zu keulenförmig erweitert ist. Dieses Rohr bildet
die erste Grundlage für die Entwickelung des Centralnervensystemes.
Die Nervenmasse erzeugt sich auf dem Grunde dieses Rohres und
wölbt sich in ähnlicher Weise nach oben zusammen, das Gehirn und
Rückenmark bildend, so daß Anfangs die eigentliche Nervenmasse nur
sehr gering ist und in ihrem Inneren eine durchlaufende Höhlung
einschließt, die immer mehr und mehr durch Ansatz neuer Nervenmasse
verengert wird. Der Rückenmarkskanal, sowie die Höhlungen des
Gehirnes, deren wir oben erwähnten, sind demnach nur Ueberbleibsel
jener ursprünglich weit bedeutenderen Höhlung, welche von der wer-
denden Nervenmasse umschlossen wurde. Die Sinnesorgane sind zum
großen Theile nur Ausstülpungen der ursprünglichen kammerartigen
Abtheilungen des Gehirnes, welche wir oben schon namentlich anführ-
ten, und zwar scheint jedes Sinnesorgan eine doppelte Ausbildung
zu besitzen, indem einerseits der specifische Sinnesnerv eine hohle Röhre
oder Aussackung darstellt, welche mit der inneren Höhle seiner betref-
fenden Hirnkammer communicirt, während andererseits von außen her
eine Grube sich entgegenbildet, die sich mehr oder minder abschließt
und die äußeren Theile des Sinnesorganes bildet. So sieht man
das Vorderhirn sich unmittelbar in die hohlen Riechnerven fortsetzen,
die mit kolbigem Ende sich an eine blinde Grube anlegen, welche ihnen
von außen her entgegenwächst und sich als Nasengrube manifestirt;
so bildet der Sehnerv anfangs eine hohle Birne mit cylindrischem
Stiele, welcher von außen her eine Grube entgegenwächst, die sich
indessen bald abschließt und nach diesem Abschlusse sich als Krystall-
linse zu erkennen giebt; so erscheint auch das äußere und mittlere
Ohr anfangs als eine Hautgrube, welche erst später nach und nach
sich abschließt und mit dem inneren Ohre in Verbindung tritt. Im
Allgemeinen läßt sich bei der Bildung des Nervensystemes, wie bei
derjenigen der Sinnesorgane dasselbe Gesetz erkennen, welches auch
für die Entwickelung aller übrigen Organe gültig ist, nämlich, daß
die ursprünglichen Anlagen, sowie sie zuerst formell gesondert hervor-
treten, aus Haufen von Bildungszellen bestehen, in denen man an-
fangs zwar keine Verschiedenheit wahrnimmt, die sich aber nach und

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mit der Herſtellung einer Längsfurche, welche zu beiden Seiten von
zwei erhabenen Wülſten eingefaßt iſt und die man die Rückenfurche
genannt hat; mit fortſchreitender Bildung heben ſich dieſe Wülſte in
die Höhe, weiten ſich vorn aus, ſo daß der von ihnen umſchloſſene
Raum etwa die Form einer Lanze hat, und wölben ſich zugleich mehr
und mehr nach oben zuſammen, bis ſie ein förmliches Rohr darſtel-
len, das nach vorn zu keulenförmig erweitert iſt. Dieſes Rohr bildet
die erſte Grundlage für die Entwickelung des Centralnervenſyſtemes.
Die Nervenmaſſe erzeugt ſich auf dem Grunde dieſes Rohres und
wölbt ſich in ähnlicher Weiſe nach oben zuſammen, das Gehirn und
Rückenmark bildend, ſo daß Anfangs die eigentliche Nervenmaſſe nur
ſehr gering iſt und in ihrem Inneren eine durchlaufende Höhlung
einſchließt, die immer mehr und mehr durch Anſatz neuer Nervenmaſſe
verengert wird. Der Rückenmarkskanal, ſowie die Höhlungen des
Gehirnes, deren wir oben erwähnten, ſind demnach nur Ueberbleibſel
jener urſprünglich weit bedeutenderen Höhlung, welche von der wer-
denden Nervenmaſſe umſchloſſen wurde. Die Sinnesorgane ſind zum
großen Theile nur Ausſtülpungen der urſprünglichen kammerartigen
Abtheilungen des Gehirnes, welche wir oben ſchon namentlich anführ-
ten, und zwar ſcheint jedes Sinnesorgan eine doppelte Ausbildung
zu beſitzen, indem einerſeits der ſpecifiſche Sinnesnerv eine hohle Röhre
oder Ausſackung darſtellt, welche mit der inneren Höhle ſeiner betref-
fenden Hirnkammer communicirt, während andererſeits von außen her
eine Grube ſich entgegenbildet, die ſich mehr oder minder abſchließt
und die äußeren Theile des Sinnesorganes bildet. So ſieht man
das Vorderhirn ſich unmittelbar in die hohlen Riechnerven fortſetzen,
die mit kolbigem Ende ſich an eine blinde Grube anlegen, welche ihnen
von außen her entgegenwächſt und ſich als Naſengrube manifeſtirt;
ſo bildet der Sehnerv anfangs eine hohle Birne mit cylindriſchem
Stiele, welcher von außen her eine Grube entgegenwächſt, die ſich
indeſſen bald abſchließt und nach dieſem Abſchluſſe ſich als Kryſtall-
linſe zu erkennen giebt; ſo erſcheint auch das äußere und mittlere
Ohr anfangs als eine Hautgrube, welche erſt ſpäter nach und nach
ſich abſchließt und mit dem inneren Ohre in Verbindung tritt. Im
Allgemeinen läßt ſich bei der Bildung des Nervenſyſtemes, wie bei
derjenigen der Sinnesorgane daſſelbe Geſetz erkennen, welches auch
für die Entwickelung aller übrigen Organe gültig iſt, nämlich, daß
die urſprünglichen Anlagen, ſowie ſie zuerſt formell geſondert hervor-
treten, aus Haufen von Bildungszellen beſtehen, in denen man an-
fangs zwar keine Verſchiedenheit wahrnimmt, die ſich aber nach und

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[19/0025] mit der Herſtellung einer Längsfurche, welche zu beiden Seiten von zwei erhabenen Wülſten eingefaßt iſt und die man die Rückenfurche genannt hat; mit fortſchreitender Bildung heben ſich dieſe Wülſte in die Höhe, weiten ſich vorn aus, ſo daß der von ihnen umſchloſſene Raum etwa die Form einer Lanze hat, und wölben ſich zugleich mehr und mehr nach oben zuſammen, bis ſie ein förmliches Rohr darſtel- len, das nach vorn zu keulenförmig erweitert iſt. Dieſes Rohr bildet die erſte Grundlage für die Entwickelung des Centralnervenſyſtemes. Die Nervenmaſſe erzeugt ſich auf dem Grunde dieſes Rohres und wölbt ſich in ähnlicher Weiſe nach oben zuſammen, das Gehirn und Rückenmark bildend, ſo daß Anfangs die eigentliche Nervenmaſſe nur ſehr gering iſt und in ihrem Inneren eine durchlaufende Höhlung einſchließt, die immer mehr und mehr durch Anſatz neuer Nervenmaſſe verengert wird. Der Rückenmarkskanal, ſowie die Höhlungen des Gehirnes, deren wir oben erwähnten, ſind demnach nur Ueberbleibſel jener urſprünglich weit bedeutenderen Höhlung, welche von der wer- denden Nervenmaſſe umſchloſſen wurde. Die Sinnesorgane ſind zum großen Theile nur Ausſtülpungen der urſprünglichen kammerartigen Abtheilungen des Gehirnes, welche wir oben ſchon namentlich anführ- ten, und zwar ſcheint jedes Sinnesorgan eine doppelte Ausbildung zu beſitzen, indem einerſeits der ſpecifiſche Sinnesnerv eine hohle Röhre oder Ausſackung darſtellt, welche mit der inneren Höhle ſeiner betref- fenden Hirnkammer communicirt, während andererſeits von außen her eine Grube ſich entgegenbildet, die ſich mehr oder minder abſchließt und die äußeren Theile des Sinnesorganes bildet. So ſieht man das Vorderhirn ſich unmittelbar in die hohlen Riechnerven fortſetzen, die mit kolbigem Ende ſich an eine blinde Grube anlegen, welche ihnen von außen her entgegenwächſt und ſich als Naſengrube manifeſtirt; ſo bildet der Sehnerv anfangs eine hohle Birne mit cylindriſchem Stiele, welcher von außen her eine Grube entgegenwächſt, die ſich indeſſen bald abſchließt und nach dieſem Abſchluſſe ſich als Kryſtall- linſe zu erkennen giebt; ſo erſcheint auch das äußere und mittlere Ohr anfangs als eine Hautgrube, welche erſt ſpäter nach und nach ſich abſchließt und mit dem inneren Ohre in Verbindung tritt. Im Allgemeinen läßt ſich bei der Bildung des Nervenſyſtemes, wie bei derjenigen der Sinnesorgane daſſelbe Geſetz erkennen, welches auch für die Entwickelung aller übrigen Organe gültig iſt, nämlich, daß die urſprünglichen Anlagen, ſowie ſie zuerſt formell geſondert hervor- treten, aus Haufen von Bildungszellen beſtehen, in denen man an- fangs zwar keine Verſchiedenheit wahrnimmt, die ſich aber nach und 2*

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/25>, abgerufen am 19.04.2024.