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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Die dritte eigenthümliche Fortpflanzungsart der Infusorien, welche
bis jetzt nur bei der Familie der Glockenthierchen beobachtet wurde,
werden wir bei dieser näher betrachten.

Die Infusorien finden sich zuweilen in größeren Massen zusam-
men und die gallertartigen Polypenstöcke oder die Bäumchen, welche
einige Gattungen bilden, sind so groß, daß sie auch dem freien Auge
sichtbar sind. Klare Torfgräben, langsam rieselnde Bäche mit Wasser-
pflanzen und schleimigem Ueberzuge von mikroskopischen Wasserpflanzen
auf dem Grunde und an den Seiten, Wasserfäden und Meerlinsen,
die Ufer stehender Gewässer und klarer Seeen dienen ihnen vorzüglich
zum Aufenthaltsorte. Die meisten zeigen trotz des Mangels an spe-
cifischen Sinnesorganen deutliche Auffassung von Licht und Schatten,
indem sie sich meist an der Lichtseite der Gläser sammeln. Der Tast-
sinn ist sehr ausgebildet, wie man deutlich bei Berührungen sieht und
ebenso erscheinen die meisten dieser Thiere sehr wählerisch in ihrer
Nahrung, die sie ebenso aussuchen, ja selbst ihr mit einiger List nach-
stellen, indem sie auflauern und plötzlich hervorschießen. Viele Arten
leben gesellig in großen Schwärmen; andere mehr vereinzelt; die
Schmarotzer wissen sehr gut, besonders wenn sie sich an der Außen-
fläche anderer Thiere festsetzen, die Stellen zu wählen, wo diese sie
nicht abstreifen können. Viele Arten erheben sich mit den Gasbläschen,
welche die Wasserfäden unter dem Einflusse des Sonnenlichtes ent-
wickeln, von dem Grunde der Gewässer nach oben und bilden dort
eine Art Schaum, der sich am Abend wieder zu Boden senkt. Oft-
mals erscheinen grüne und rothe Infusionsthierchen in solch' ungeheu-
rer Menge plötzlich auf der Oberfläche derGewässer, daß die aben-
teuerlichsten Vorstellungen dadurch erweckt und von Abergläubischen
und Pfaffen nach ihrem Sinne ausgebeutet wurden. Viele Infusorien
haben die Eigenschaft, auch nach längerem Trockenliegen durch Be-
feuchtung wieder aufzuleben, wodurch leicht ihre Verbreitung in Auf-
güssen erklärt werden kann, indem die trockenen Körper als Sonnen-
stäubchen durch die Luft hinweggeführt in den Aufgüssen einen geeig-
neten Boden zu ihrer Entwicklung finden. Mit Ausnahme einer ein-
zigen Familie, welche Kieselpanzer besitzt und sich in der Kreide vor-
findet, hat man noch keine fossilen Infusorien gefunden, deren weiche
Körpersubstanz begreiflicher Weise die Erhaltung nicht begünstigte.

Die Eintheilung der Klasse der Infusorien erscheint aus zweierlei
Gründen besonders schwierig: einestheils sind viele dieser Thiere so
klein, daß bei manchen die Erkenntniß der äußern Körpergestalt, bei
allen diejenige der feineren Struktur ihrer Organe an der Grenze der
Vergrößerungskraft unserer besten Mikroskope steht, und dann hält

Die dritte eigenthümliche Fortpflanzungsart der Infuſorien, welche
bis jetzt nur bei der Familie der Glockenthierchen beobachtet wurde,
werden wir bei dieſer näher betrachten.

Die Infuſorien finden ſich zuweilen in größeren Maſſen zuſam-
men und die gallertartigen Polypenſtöcke oder die Bäumchen, welche
einige Gattungen bilden, ſind ſo groß, daß ſie auch dem freien Auge
ſichtbar ſind. Klare Torfgräben, langſam rieſelnde Bäche mit Waſſer-
pflanzen und ſchleimigem Ueberzuge von mikroſkopiſchen Waſſerpflanzen
auf dem Grunde und an den Seiten, Waſſerfäden und Meerlinſen,
die Ufer ſtehender Gewäſſer und klarer Seeen dienen ihnen vorzüglich
zum Aufenthaltsorte. Die meiſten zeigen trotz des Mangels an ſpe-
cifiſchen Sinnesorganen deutliche Auffaſſung von Licht und Schatten,
indem ſie ſich meiſt an der Lichtſeite der Gläſer ſammeln. Der Taſt-
ſinn iſt ſehr ausgebildet, wie man deutlich bei Berührungen ſieht und
ebenſo erſcheinen die meiſten dieſer Thiere ſehr wähleriſch in ihrer
Nahrung, die ſie ebenſo ausſuchen, ja ſelbſt ihr mit einiger Liſt nach-
ſtellen, indem ſie auflauern und plötzlich hervorſchießen. Viele Arten
leben geſellig in großen Schwärmen; andere mehr vereinzelt; die
Schmarotzer wiſſen ſehr gut, beſonders wenn ſie ſich an der Außen-
fläche anderer Thiere feſtſetzen, die Stellen zu wählen, wo dieſe ſie
nicht abſtreifen können. Viele Arten erheben ſich mit den Gasbläschen,
welche die Waſſerfäden unter dem Einfluſſe des Sonnenlichtes ent-
wickeln, von dem Grunde der Gewäſſer nach oben und bilden dort
eine Art Schaum, der ſich am Abend wieder zu Boden ſenkt. Oft-
mals erſcheinen grüne und rothe Infuſionsthierchen in ſolch’ ungeheu-
rer Menge plötzlich auf der Oberfläche derGewäſſer, daß die aben-
teuerlichſten Vorſtellungen dadurch erweckt und von Abergläubiſchen
und Pfaffen nach ihrem Sinne ausgebeutet wurden. Viele Infuſorien
haben die Eigenſchaft, auch nach längerem Trockenliegen durch Be-
feuchtung wieder aufzuleben, wodurch leicht ihre Verbreitung in Auf-
güſſen erklärt werden kann, indem die trockenen Körper als Sonnen-
ſtäubchen durch die Luft hinweggeführt in den Aufgüſſen einen geeig-
neten Boden zu ihrer Entwicklung finden. Mit Ausnahme einer ein-
zigen Familie, welche Kieſelpanzer beſitzt und ſich in der Kreide vor-
findet, hat man noch keine foſſilen Infuſorien gefunden, deren weiche
Körperſubſtanz begreiflicher Weiſe die Erhaltung nicht begünſtigte.

Die Eintheilung der Klaſſe der Infuſorien erſcheint aus zweierlei
Gründen beſonders ſchwierig: einestheils ſind viele dieſer Thiere ſo
klein, daß bei manchen die Erkenntniß der äußern Körpergeſtalt, bei
allen diejenige der feineren Struktur ihrer Organe an der Grenze der
Vergrößerungskraft unſerer beſten Mikroſkope ſteht, und dann hält

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[92/0098] Die dritte eigenthümliche Fortpflanzungsart der Infuſorien, welche bis jetzt nur bei der Familie der Glockenthierchen beobachtet wurde, werden wir bei dieſer näher betrachten. Die Infuſorien finden ſich zuweilen in größeren Maſſen zuſam- men und die gallertartigen Polypenſtöcke oder die Bäumchen, welche einige Gattungen bilden, ſind ſo groß, daß ſie auch dem freien Auge ſichtbar ſind. Klare Torfgräben, langſam rieſelnde Bäche mit Waſſer- pflanzen und ſchleimigem Ueberzuge von mikroſkopiſchen Waſſerpflanzen auf dem Grunde und an den Seiten, Waſſerfäden und Meerlinſen, die Ufer ſtehender Gewäſſer und klarer Seeen dienen ihnen vorzüglich zum Aufenthaltsorte. Die meiſten zeigen trotz des Mangels an ſpe- cifiſchen Sinnesorganen deutliche Auffaſſung von Licht und Schatten, indem ſie ſich meiſt an der Lichtſeite der Gläſer ſammeln. Der Taſt- ſinn iſt ſehr ausgebildet, wie man deutlich bei Berührungen ſieht und ebenſo erſcheinen die meiſten dieſer Thiere ſehr wähleriſch in ihrer Nahrung, die ſie ebenſo ausſuchen, ja ſelbſt ihr mit einiger Liſt nach- ſtellen, indem ſie auflauern und plötzlich hervorſchießen. Viele Arten leben geſellig in großen Schwärmen; andere mehr vereinzelt; die Schmarotzer wiſſen ſehr gut, beſonders wenn ſie ſich an der Außen- fläche anderer Thiere feſtſetzen, die Stellen zu wählen, wo dieſe ſie nicht abſtreifen können. Viele Arten erheben ſich mit den Gasbläschen, welche die Waſſerfäden unter dem Einfluſſe des Sonnenlichtes ent- wickeln, von dem Grunde der Gewäſſer nach oben und bilden dort eine Art Schaum, der ſich am Abend wieder zu Boden ſenkt. Oft- mals erſcheinen grüne und rothe Infuſionsthierchen in ſolch’ ungeheu- rer Menge plötzlich auf der Oberfläche derGewäſſer, daß die aben- teuerlichſten Vorſtellungen dadurch erweckt und von Abergläubiſchen und Pfaffen nach ihrem Sinne ausgebeutet wurden. Viele Infuſorien haben die Eigenſchaft, auch nach längerem Trockenliegen durch Be- feuchtung wieder aufzuleben, wodurch leicht ihre Verbreitung in Auf- güſſen erklärt werden kann, indem die trockenen Körper als Sonnen- ſtäubchen durch die Luft hinweggeführt in den Aufgüſſen einen geeig- neten Boden zu ihrer Entwicklung finden. Mit Ausnahme einer ein- zigen Familie, welche Kieſelpanzer beſitzt und ſich in der Kreide vor- findet, hat man noch keine foſſilen Infuſorien gefunden, deren weiche Körperſubſtanz begreiflicher Weiſe die Erhaltung nicht begünſtigte. Die Eintheilung der Klaſſe der Infuſorien erſcheint aus zweierlei Gründen beſonders ſchwierig: einestheils ſind viele dieſer Thiere ſo klein, daß bei manchen die Erkenntniß der äußern Körpergeſtalt, bei allen diejenige der feineren Struktur ihrer Organe an der Grenze der Vergrößerungskraft unſerer beſten Mikroſkope ſteht, und dann hält

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/98>, abgerufen am 30.04.2024.