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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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kommen in den Familien der Staphyliden und der Anisotomen Pen-
tamere, Heteromere, Tetramere und Trimere Tarsen vor; während
bei vielen Rüsselkäfern ein fünftes kleines Tarsalglied versteckt sich
findet, und ähnliche Beispiele mehr.

Berücksichtigt man die auch für die andern Abtheilungen des
Thierreiches geltenden Grundsätze, wonach freie Beweglichkeit, thierische
Nahrung, besonders Raub und Vernichtung lebender Thiere stets mit
einer höheren Organisation verknüpft sind, während Pflanzennahrung,
geringere Beweglichkeit, Entfernung von Licht und Luft eine geringere
Stufe der Organisation bedingen; bedenkt man ferner, daß eine gra-
duelle Entwicklung der Typen sowohl in unserer Lebenwelt, als in
den untergegangenen Schöpfungen sich darstellt, eine Entwicklung,
deren Reflex die Classification darstellen soll -- so wird man, bei
genauerer Anwendung dieser Punkte, auch bei den Käfern auf ver-
schiedene Reihen geführt, die von gewissen Grundtypen ausgehend sich
in ähnlicher Weise fortentwickeln, wie die Reihen, die wir bei den
Krustenthieren wahrnehmen. Wir sehen die Käfer in den geologischen
Epochen erst spät, in dem Jura auftreten und zwar mit holzbohren-
den, pflanzenfressenden Familien, deren Larven theils fußlos, theils
nur mit unscheinbaren Füßen versehen sind. Erst später gesellen sich
Blätterfresser, von Unrath oder Raub lebende Familien hinzu. Ver-
gleicht man mit diesen Urfamilien der Käfer die jetzigen Typen, so
zeigt sich bald, daß jede derselben an der Spitze einer Reihe steht, die
sich größerer Freiheit in der Bewegung als Larve wie als vollkom-
menes Thier, so wie umfassenderen Nahrungsbedürfnissen entgegen bildet,
so daß sich allmähliche Uebergänge bis zu Blätter- und Blumenfressen-
den, oder selbst bis zu Fleischfressenden Gattungen finden, wodurch
auch eine Charakterisirung dieser Reihen ziemlich schwer hält.

Erste Reihe. Viergliederige Holzbohrer.

Familie der Rüsselkäfer (Curculionida). Die Käfer dieser Fa-

[Abbildung] Fig. 844.

Wein-Rüsselkäfer (Rhynchites Bacchus).

milie haben meist einen elliptischen
Leib und einen mehr oder weniger
rüsselförmig verlängerten Kopf, an
dessen Seiten die Fühler stehen.
Die Mundöffnung befindet sich vorn
an der Spitze des Rüssels; die
Freßwerkzeuge sind nur sehr klein,
die Taster unbedeutend, kegelförmig,

kommen in den Familien der Staphyliden und der Aniſotomen Pen-
tamere, Heteromere, Tetramere und Trimere Tarſen vor; während
bei vielen Rüſſelkäfern ein fünftes kleines Tarſalglied verſteckt ſich
findet, und ähnliche Beiſpiele mehr.

Berückſichtigt man die auch für die andern Abtheilungen des
Thierreiches geltenden Grundſätze, wonach freie Beweglichkeit, thieriſche
Nahrung, beſonders Raub und Vernichtung lebender Thiere ſtets mit
einer höheren Organiſation verknüpft ſind, während Pflanzennahrung,
geringere Beweglichkeit, Entfernung von Licht und Luft eine geringere
Stufe der Organiſation bedingen; bedenkt man ferner, daß eine gra-
duelle Entwicklung der Typen ſowohl in unſerer Lebenwelt, als in
den untergegangenen Schöpfungen ſich darſtellt, eine Entwicklung,
deren Reflex die Claſſification darſtellen ſoll — ſo wird man, bei
genauerer Anwendung dieſer Punkte, auch bei den Käfern auf ver-
ſchiedene Reihen geführt, die von gewiſſen Grundtypen ausgehend ſich
in ähnlicher Weiſe fortentwickeln, wie die Reihen, die wir bei den
Kruſtenthieren wahrnehmen. Wir ſehen die Käfer in den geologiſchen
Epochen erſt ſpät, in dem Jura auftreten und zwar mit holzbohren-
den, pflanzenfreſſenden Familien, deren Larven theils fußlos, theils
nur mit unſcheinbaren Füßen verſehen ſind. Erſt ſpäter geſellen ſich
Blätterfreſſer, von Unrath oder Raub lebende Familien hinzu. Ver-
gleicht man mit dieſen Urfamilien der Käfer die jetzigen Typen, ſo
zeigt ſich bald, daß jede derſelben an der Spitze einer Reihe ſteht, die
ſich größerer Freiheit in der Bewegung als Larve wie als vollkom-
menes Thier, ſo wie umfaſſenderen Nahrungsbedürfniſſen entgegen bildet,
ſo daß ſich allmähliche Uebergänge bis zu Blätter- und Blumenfreſſen-
den, oder ſelbſt bis zu Fleiſchfreſſenden Gattungen finden, wodurch
auch eine Charakteriſirung dieſer Reihen ziemlich ſchwer hält.

Erſte Reihe. Viergliederige Holzbohrer.

Familie der Rüſſelkäfer (Curculionida). Die Käfer dieſer Fa-

[Abbildung] Fig. 844.

Wein-Rüſſelkäfer (Rhynchites Bacchus).

milie haben meiſt einen elliptiſchen
Leib und einen mehr oder weniger
rüſſelförmig verlängerten Kopf, an
deſſen Seiten die Fühler ſtehen.
Die Mundöffnung befindet ſich vorn
an der Spitze des Rüſſels; die
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[651/0657] kommen in den Familien der Staphyliden und der Aniſotomen Pen- tamere, Heteromere, Tetramere und Trimere Tarſen vor; während bei vielen Rüſſelkäfern ein fünftes kleines Tarſalglied verſteckt ſich findet, und ähnliche Beiſpiele mehr. Berückſichtigt man die auch für die andern Abtheilungen des Thierreiches geltenden Grundſätze, wonach freie Beweglichkeit, thieriſche Nahrung, beſonders Raub und Vernichtung lebender Thiere ſtets mit einer höheren Organiſation verknüpft ſind, während Pflanzennahrung, geringere Beweglichkeit, Entfernung von Licht und Luft eine geringere Stufe der Organiſation bedingen; bedenkt man ferner, daß eine gra- duelle Entwicklung der Typen ſowohl in unſerer Lebenwelt, als in den untergegangenen Schöpfungen ſich darſtellt, eine Entwicklung, deren Reflex die Claſſification darſtellen ſoll — ſo wird man, bei genauerer Anwendung dieſer Punkte, auch bei den Käfern auf ver- ſchiedene Reihen geführt, die von gewiſſen Grundtypen ausgehend ſich in ähnlicher Weiſe fortentwickeln, wie die Reihen, die wir bei den Kruſtenthieren wahrnehmen. Wir ſehen die Käfer in den geologiſchen Epochen erſt ſpät, in dem Jura auftreten und zwar mit holzbohren- den, pflanzenfreſſenden Familien, deren Larven theils fußlos, theils nur mit unſcheinbaren Füßen verſehen ſind. Erſt ſpäter geſellen ſich Blätterfreſſer, von Unrath oder Raub lebende Familien hinzu. Ver- gleicht man mit dieſen Urfamilien der Käfer die jetzigen Typen, ſo zeigt ſich bald, daß jede derſelben an der Spitze einer Reihe ſteht, die ſich größerer Freiheit in der Bewegung als Larve wie als vollkom- menes Thier, ſo wie umfaſſenderen Nahrungsbedürfniſſen entgegen bildet, ſo daß ſich allmähliche Uebergänge bis zu Blätter- und Blumenfreſſen- den, oder ſelbſt bis zu Fleiſchfreſſenden Gattungen finden, wodurch auch eine Charakteriſirung dieſer Reihen ziemlich ſchwer hält. Erſte Reihe. Viergliederige Holzbohrer. Familie der Rüſſelkäfer (Curculionida). Die Käfer dieſer Fa- [Abbildung Fig. 844. Wein-Rüſſelkäfer (Rhynchites Bacchus).] milie haben meiſt einen elliptiſchen Leib und einen mehr oder weniger rüſſelförmig verlängerten Kopf, an deſſen Seiten die Fühler ſtehen. Die Mundöffnung befindet ſich vorn an der Spitze des Rüſſels; die Freßwerkzeuge ſind nur ſehr klein, die Taſter unbedeutend, kegelförmig,

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/657>, abgerufen am 21.11.2024.