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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Lange Zeit kannte man nur die ausgebildeten Männchen, kleine

[Abbildung] Fig. 805

Männchen von
Stylops Melittae.

kaum eine Linie lange, geflügelte Thierchen, die
man selten auf dem Hinterleibe von Wespen
flatternd antrifft. Der Kopf ist breit, kurz,
die Augen sehr groß, kugelförmig vorgequollen,
gehäuft. Die Fühler sind kurz, gespalten, so
daß scheinbar vier Fühler vorhanden sind oder
auch bei einer Gattung mit wenigen langen
Kammblättern versehen. Die Mundwerkzeuge bestehen aus zwei säbel-
förmig gekrümmten, dünnen Kiefern, blattartigen Kinnladen mit drei-
gliedrigen Tastern -- die indeß von dem Thierchen gewiß nie gebraucht
werden, da sie nur wenige Stunden leben und während dieser Zeit
mit der Begattung beschäftigt sind. Die Füße sind kurz, die Tarsen
viergliederig; die Flügel höchst eigenthümlich. Die Mittelbrust trägt zwei
kurze häutige, sonderbar verdrehte, kolbige Anhänge, welche einiger-
maßen den Schwingkolben der Zweiflügler gleichen, aber auch als
rudimentäre Flügeldecken betrachtet werden können; an der Hinterbrust
stehen zwei häutige große, dreieckige Flügel die nur wenige fächerartige
Falten haben. Es genügen diese Flügel aber trotz ihrer Größe nicht
zum freien Fluge der Thierchen -- sie flattern nur tanzend auf dem
Leibe der Wespen und vielleicht auch in den Nestern derselben umher,
bis sie ein Weibchen gefunden haben, mit dem sie sich begatten. Zu
diesem Ende tragen sie an dem zugespitzten Hinterleibe einen hornigen
Hakenpenis, der nach der Seite zu eingeschlagen ist und deutlich mit
den Samenleitern in Verbindung steht.

Die Weibchen dieser Thierchen, die durch ihre Organisation
den Käfern am nächsten stehen, bleiben das ganze Leben hindurch in
einem larvenähnlichen Zustande schmarotzend im Hinterleibe der Wes-
pen und wurden bis in die neuere Zeit stets für die Larven der Strep-
sipteren angesehen. Man nennt die Wespen, welche solche Gäste be-
herbergen, kurzweg stylopisirt. Bei den fortpflanzungsfähigen
Weibchen ist der Leib weich, geringelt, wurmartig, weiß; Kopf und
Brust dagegen sind in ein plattes, linsenförmiges Schild zusammenver-
schmolzen, das eine braune Farbe und hornige Beschaffenheit hat.
Unter dem Vorderrande dieses Schildes sieht man die kleine, halb-
mondförmige Mundöffnung, die in einen weiten, geraden, blind geen-
deten Darm führt, und neben welcher zwei fast unbewegliche hornige
Stummeln die Reste der verkümmerten Kauwerkzeuge darstellen. Mit

Lange Zeit kannte man nur die ausgebildeten Männchen, kleine

[Abbildung] Fig. 805

Männchen von
Stylops Melittae.

kaum eine Linie lange, geflügelte Thierchen, die
man ſelten auf dem Hinterleibe von Wespen
flatternd antrifft. Der Kopf iſt breit, kurz,
die Augen ſehr groß, kugelförmig vorgequollen,
gehäuft. Die Fühler ſind kurz, geſpalten, ſo
daß ſcheinbar vier Fühler vorhanden ſind oder
auch bei einer Gattung mit wenigen langen
Kammblättern verſehen. Die Mundwerkzeuge beſtehen aus zwei ſäbel-
förmig gekrümmten, dünnen Kiefern, blattartigen Kinnladen mit drei-
gliedrigen Taſtern — die indeß von dem Thierchen gewiß nie gebraucht
werden, da ſie nur wenige Stunden leben und während dieſer Zeit
mit der Begattung beſchäftigt ſind. Die Füße ſind kurz, die Tarſen
viergliederig; die Flügel höchſt eigenthümlich. Die Mittelbruſt trägt zwei
kurze häutige, ſonderbar verdrehte, kolbige Anhänge, welche einiger-
maßen den Schwingkolben der Zweiflügler gleichen, aber auch als
rudimentäre Flügeldecken betrachtet werden können; an der Hinterbruſt
ſtehen zwei häutige große, dreieckige Flügel die nur wenige fächerartige
Falten haben. Es genügen dieſe Flügel aber trotz ihrer Größe nicht
zum freien Fluge der Thierchen — ſie flattern nur tanzend auf dem
Leibe der Wespen und vielleicht auch in den Neſtern derſelben umher,
bis ſie ein Weibchen gefunden haben, mit dem ſie ſich begatten. Zu
dieſem Ende tragen ſie an dem zugeſpitzten Hinterleibe einen hornigen
Hakenpenis, der nach der Seite zu eingeſchlagen iſt und deutlich mit
den Samenleitern in Verbindung ſteht.

Die Weibchen dieſer Thierchen, die durch ihre Organiſation
den Käfern am nächſten ſtehen, bleiben das ganze Leben hindurch in
einem larvenähnlichen Zuſtande ſchmarotzend im Hinterleibe der Wes-
pen und wurden bis in die neuere Zeit ſtets für die Larven der Strep-
ſipteren angeſehen. Man nennt die Wespen, welche ſolche Gäſte be-
herbergen, kurzweg ſtylopiſirt. Bei den fortpflanzungsfähigen
Weibchen iſt der Leib weich, geringelt, wurmartig, weiß; Kopf und
Bruſt dagegen ſind in ein plattes, linſenförmiges Schild zuſammenver-
ſchmolzen, das eine braune Farbe und hornige Beſchaffenheit hat.
Unter dem Vorderrande dieſes Schildes ſieht man die kleine, halb-
mondförmige Mundöffnung, die in einen weiten, geraden, blind geen-
deten Darm führt, und neben welcher zwei faſt unbewegliche hornige
Stummeln die Reſte der verkümmerten Kauwerkzeuge darſtellen. Mit

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[633/0639] Lange Zeit kannte man nur die ausgebildeten Männchen, kleine [Abbildung Fig. 805 Männchen von Stylops Melittae.] kaum eine Linie lange, geflügelte Thierchen, die man ſelten auf dem Hinterleibe von Wespen flatternd antrifft. Der Kopf iſt breit, kurz, die Augen ſehr groß, kugelförmig vorgequollen, gehäuft. Die Fühler ſind kurz, geſpalten, ſo daß ſcheinbar vier Fühler vorhanden ſind oder auch bei einer Gattung mit wenigen langen Kammblättern verſehen. Die Mundwerkzeuge beſtehen aus zwei ſäbel- förmig gekrümmten, dünnen Kiefern, blattartigen Kinnladen mit drei- gliedrigen Taſtern — die indeß von dem Thierchen gewiß nie gebraucht werden, da ſie nur wenige Stunden leben und während dieſer Zeit mit der Begattung beſchäftigt ſind. Die Füße ſind kurz, die Tarſen viergliederig; die Flügel höchſt eigenthümlich. Die Mittelbruſt trägt zwei kurze häutige, ſonderbar verdrehte, kolbige Anhänge, welche einiger- maßen den Schwingkolben der Zweiflügler gleichen, aber auch als rudimentäre Flügeldecken betrachtet werden können; an der Hinterbruſt ſtehen zwei häutige große, dreieckige Flügel die nur wenige fächerartige Falten haben. Es genügen dieſe Flügel aber trotz ihrer Größe nicht zum freien Fluge der Thierchen — ſie flattern nur tanzend auf dem Leibe der Wespen und vielleicht auch in den Neſtern derſelben umher, bis ſie ein Weibchen gefunden haben, mit dem ſie ſich begatten. Zu dieſem Ende tragen ſie an dem zugeſpitzten Hinterleibe einen hornigen Hakenpenis, der nach der Seite zu eingeſchlagen iſt und deutlich mit den Samenleitern in Verbindung ſteht. Die Weibchen dieſer Thierchen, die durch ihre Organiſation den Käfern am nächſten ſtehen, bleiben das ganze Leben hindurch in einem larvenähnlichen Zuſtande ſchmarotzend im Hinterleibe der Wes- pen und wurden bis in die neuere Zeit ſtets für die Larven der Strep- ſipteren angeſehen. Man nennt die Wespen, welche ſolche Gäſte be- herbergen, kurzweg ſtylopiſirt. Bei den fortpflanzungsfähigen Weibchen iſt der Leib weich, geringelt, wurmartig, weiß; Kopf und Bruſt dagegen ſind in ein plattes, linſenförmiges Schild zuſammenver- ſchmolzen, das eine braune Farbe und hornige Beſchaffenheit hat. Unter dem Vorderrande dieſes Schildes ſieht man die kleine, halb- mondförmige Mundöffnung, die in einen weiten, geraden, blind geen- deten Darm führt, und neben welcher zwei faſt unbewegliche hornige Stummeln die Reſte der verkümmerten Kauwerkzeuge darſtellen. Mit

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/639>, abgerufen am 28.11.2024.