die vermeintlichen Blüthen des Korall's entdeckt und dieselben weit-
[Abbildung]
Fig. 1.
Korallenbaum mit entwickelten Polypen -- vermeintliche Blüthen.
läufig beschrieben. Ein Arzt in Mar- seille untersuchte die Sache genauer und fand zu seinem Erstaunen, daß diese vermeintlichen Blüthen wirk- liche Thiere seien, die sich nach Willkühr bewegten. Der Arzt theilte seine Entdeckung der Pariser Aka- demie mit; diese fand aber die Sache so gänzlich unwahrscheinlich, daß Reaumur Anfangs den Namen des Entdeckers nicht zu nennen wagte, um den Mann nicht dem öffentlichen Spotte auszusetzen. Heut zu Tage setzt sich derjenige dem Spotte aus, welcher aus Unkenntniß Polypen als Pflanzen beschreibt oder Koral- len für pflanzliche Erzeugnisse hält.
Die Zweifel haben sich in unsern Tagen auf andere Körper über- tragen. Noch vor wenigen Jahren behauptete man, jedes Thier habe einen Mund zur Aufnahme der Nahrung oder in Ermangelung des- selben mehrere freie Oeffnungen; aber es giebt eine Menge von Thier- wesen, die ganz gewiß und unzweifelhaft Thiere sind und dennoch kei- nen Mund besitzen, keine äußere Oeffnung irgend einer Art haben, sondern ihre Nahrungsstoffe durch Einsaugung auf der Körperfläche
[Abbildung]
Fig. 2.
Opalina aus dem Darm- schleime des Frosches.
zu sich nehmen. So lebt in dem Darmkanale der Frösche ein ziemlich großes Infusions- thierchen, vollkommen durchsichtig, das mit- telst Wimpern, die auf seiner Oberfläche an- gebracht sind, sich freiwillig in den Flüssigkeiten des Darmes umherbewegt und das ganz be- stimmt weder einen Mund, noch zerstreute Saugöffnungen besitzt. Viele Infusionsthier- chen, ja selbst hoch organisirte Eingeweide- würmer sind durchaus in demselben Falle, sie fristen ihr Leben nur dadurch, daß sie durch Ein- saugung ihrer Körperfläche Stoffe aus den Flüssigkeiten aufnehmen, in welchen sie leben. Die Aufnahme der Ernährungsstoffe geht hier
die vermeintlichen Blüthen des Korall’s entdeckt und dieſelben weit-
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Fig. 1.
Korallenbaum mit entwickelten Polypen — vermeintliche Blüthen.
läufig beſchrieben. Ein Arzt in Mar- ſeille unterſuchte die Sache genauer und fand zu ſeinem Erſtaunen, daß dieſe vermeintlichen Blüthen wirk- liche Thiere ſeien, die ſich nach Willkühr bewegten. Der Arzt theilte ſeine Entdeckung der Pariſer Aka- demie mit; dieſe fand aber die Sache ſo gänzlich unwahrſcheinlich, daß Réaumur Anfangs den Namen des Entdeckers nicht zu nennen wagte, um den Mann nicht dem öffentlichen Spotte auszuſetzen. Heut zu Tage ſetzt ſich derjenige dem Spotte aus, welcher aus Unkenntniß Polypen als Pflanzen beſchreibt oder Koral- len für pflanzliche Erzeugniſſe hält.
Die Zweifel haben ſich in unſern Tagen auf andere Körper über- tragen. Noch vor wenigen Jahren behauptete man, jedes Thier habe einen Mund zur Aufnahme der Nahrung oder in Ermangelung des- ſelben mehrere freie Oeffnungen; aber es giebt eine Menge von Thier- weſen, die ganz gewiß und unzweifelhaft Thiere ſind und dennoch kei- nen Mund beſitzen, keine äußere Oeffnung irgend einer Art haben, ſondern ihre Nahrungsſtoffe durch Einſaugung auf der Körperfläche
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Fig. 2.
Opalina aus dem Darm- ſchleime des Froſches.
zu ſich nehmen. So lebt in dem Darmkanale der Fröſche ein ziemlich großes Infuſions- thierchen, vollkommen durchſichtig, das mit- telſt Wimpern, die auf ſeiner Oberfläche an- gebracht ſind, ſich freiwillig in den Flüſſigkeiten des Darmes umherbewegt und das ganz be- ſtimmt weder einen Mund, noch zerſtreute Saugöffnungen beſitzt. Viele Infuſionsthier- chen, ja ſelbſt hoch organiſirte Eingeweide- würmer ſind durchaus in demſelben Falle, ſie friſten ihr Leben nur dadurch, daß ſie durch Ein- ſaugung ihrer Körperfläche Stoffe aus den Flüſſigkeiten aufnehmen, in welchen ſie leben. Die Aufnahme der Ernährungsſtoffe geht hier
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die vermeintlichen Blüthen des Korall’s entdeckt und dieſelben weit-
[Abbildung Fig. 1. Korallenbaum mit entwickelten Polypen —
vermeintliche Blüthen.]
läufig beſchrieben. Ein Arzt in Mar-
ſeille unterſuchte die Sache genauer
und fand zu ſeinem Erſtaunen, daß
dieſe vermeintlichen Blüthen wirk-
liche Thiere ſeien, die ſich nach
Willkühr bewegten. Der Arzt theilte
ſeine Entdeckung der Pariſer Aka-
demie mit; dieſe fand aber die
Sache ſo gänzlich unwahrſcheinlich,
daß Réaumur Anfangs den Namen
des Entdeckers nicht zu nennen wagte,
um den Mann nicht dem öffentlichen
Spotte auszuſetzen. Heut zu Tage
ſetzt ſich derjenige dem Spotte aus,
welcher aus Unkenntniß Polypen
als Pflanzen beſchreibt oder Koral-
len für pflanzliche Erzeugniſſe hält.
Die Zweifel haben ſich in unſern Tagen auf andere Körper über-
tragen. Noch vor wenigen Jahren behauptete man, jedes Thier habe
einen Mund zur Aufnahme der Nahrung oder in Ermangelung des-
ſelben mehrere freie Oeffnungen; aber es giebt eine Menge von Thier-
weſen, die ganz gewiß und unzweifelhaft Thiere ſind und dennoch kei-
nen Mund beſitzen, keine äußere Oeffnung irgend einer Art haben,
ſondern ihre Nahrungsſtoffe durch Einſaugung auf der Körperfläche
[Abbildung Fig. 2. Opalina aus dem Darm-
ſchleime des Froſches.]
zu ſich nehmen. So lebt in dem Darmkanale
der Fröſche ein ziemlich großes Infuſions-
thierchen, vollkommen durchſichtig, das mit-
telſt Wimpern, die auf ſeiner Oberfläche an-
gebracht ſind, ſich freiwillig in den Flüſſigkeiten
des Darmes umherbewegt und das ganz be-
ſtimmt weder einen Mund, noch zerſtreute
Saugöffnungen beſitzt. Viele Infuſionsthier-
chen, ja ſelbſt hoch organiſirte Eingeweide-
würmer ſind durchaus in demſelben Falle, ſie
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/37>, abgerufen am 23.07.2024.
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