Es geht schon aus dem Gesagten hervor, daß in den einzelnen Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren Abtheilungen des Thierreiches zusammensetzen, eine allmählige Evo- lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein- zelne Stadien auch in den verschiedenen vorübergehenden Bildungs- momenten der höher stehenden Embryonen erkannt werden können. Das Thierreich in seiner Gesammtheit betrachtet wiederholt demnach in seinen einzelnen Formen und Gestaltungen bleibend gewisse Bil- dungsmomente, welche in den Embryonen im zusammenhängenden Wechsel vor unsern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen Organen, an welchen die Entwickelungsgeschichte diese vorübergehenden Phasen der Bildung nachweist, läßt sich die größere oder geringere Vollkommenheit des Thieres und sein Rang in der Bildungsrichtung, der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. sehen, daß die Wirbel- säule des Säugethieres bei ihrem ersten Auftreten aus einem einfachen Knorpelstabe besteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, so werden wir denjenigen Fischen, welche im erwachsenen Zustande nur einen solchen Knorpelstab besitzen, einen sehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe der Wirbelthiere überhaupt anweisen müssen.
Dasselbe Gesetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt lebenden Schöpfung aufgestellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere seine Anwendung, deren Reste in dem Schoose der Erde begraben liegen. Die Untersuchung der Gesteinsschichten, aus welchen die Rinde unserer Erde zusammengesetzt ist, weis't nach, daß die Oberfläche unseres Erdkörpers viele Geschichtsperioden durchlaufen hat, in wel- chen unter sich verschiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; -- eine allmählige Vervollkommnung der Geschöpfe, welche nacheinander auf der Erde erschienen und wieder untergingen, läßt sich im Großen nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieser Vervoll- kommnung verschiedene Ansichten herrschen können. Aus den vorhan- denen Thatsachen aber läßt sich schon nachweisen, daß dieselben Typen, welche in unserer jetzigen Schöpfung vorhanden sind, in ihren An- fängen schon in der ersten Zeit der organischen Entwickelung auf der Erde vertreten waren und daß sie durch analoge Stufen der Ausbil- dung hindurch gingen, wie diejenigen sind, welche wir in der jetzigen Schöpfung und in den Metamorphosen der werdenden Thiere erkennen. Dasselbe Beispiel, welches wir soeben benutzten, können wir auch hier anwenden. Die ältesten Fische, welche in den untersten Schichten ge- funden werden, besitzen noch keine ausgebildete Wirbelsäule, sondern an ihrer Statt einen Knorpelstab, der in ähnlicher Weise gebildet ist
Es geht ſchon aus dem Geſagten hervor, daß in den einzelnen Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren Abtheilungen des Thierreiches zuſammenſetzen, eine allmählige Evo- lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein- zelne Stadien auch in den verſchiedenen vorübergehenden Bildungs- momenten der höher ſtehenden Embryonen erkannt werden können. Das Thierreich in ſeiner Geſammtheit betrachtet wiederholt demnach in ſeinen einzelnen Formen und Geſtaltungen bleibend gewiſſe Bil- dungsmomente, welche in den Embryonen im zuſammenhängenden Wechſel vor unſern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen Organen, an welchen die Entwickelungsgeſchichte dieſe vorübergehenden Phaſen der Bildung nachweiſt, läßt ſich die größere oder geringere Vollkommenheit des Thieres und ſein Rang in der Bildungsrichtung, der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. ſehen, daß die Wirbel- ſäule des Säugethieres bei ihrem erſten Auftreten aus einem einfachen Knorpelſtabe beſteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, ſo werden wir denjenigen Fiſchen, welche im erwachſenen Zuſtande nur einen ſolchen Knorpelſtab beſitzen, einen ſehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe der Wirbelthiere überhaupt anweiſen müſſen.
Dasſelbe Geſetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt lebenden Schöpfung aufgeſtellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere ſeine Anwendung, deren Reſte in dem Schooſe der Erde begraben liegen. Die Unterſuchung der Geſteinsſchichten, aus welchen die Rinde unſerer Erde zuſammengeſetzt iſt, weiſ’t nach, daß die Oberfläche unſeres Erdkörpers viele Geſchichtsperioden durchlaufen hat, in wel- chen unter ſich verſchiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; — eine allmählige Vervollkommnung der Geſchöpfe, welche nacheinander auf der Erde erſchienen und wieder untergingen, läßt ſich im Großen nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieſer Vervoll- kommnung verſchiedene Anſichten herrſchen können. Aus den vorhan- denen Thatſachen aber läßt ſich ſchon nachweiſen, daß dieſelben Typen, welche in unſerer jetzigen Schöpfung vorhanden ſind, in ihren An- fängen ſchon in der erſten Zeit der organiſchen Entwickelung auf der Erde vertreten waren und daß ſie durch analoge Stufen der Ausbil- dung hindurch gingen, wie diejenigen ſind, welche wir in der jetzigen Schöpfung und in den Metamorphoſen der werdenden Thiere erkennen. Dasſelbe Beiſpiel, welches wir ſoeben benutzten, können wir auch hier anwenden. Die älteſten Fiſche, welche in den unterſten Schichten ge- funden werden, beſitzen noch keine ausgebildete Wirbelſäule, ſondern an ihrer Statt einen Knorpelſtab, der in ähnlicher Weiſe gebildet iſt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0024"n="18"/><p>Es geht ſchon aus dem Geſagten hervor, daß in den einzelnen<lb/>
Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren<lb/>
Abtheilungen des Thierreiches zuſammenſetzen, eine allmählige Evo-<lb/>
lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein-<lb/>
zelne Stadien auch in den verſchiedenen vorübergehenden Bildungs-<lb/>
momenten der höher ſtehenden Embryonen erkannt werden können.<lb/>
Das Thierreich in ſeiner Geſammtheit betrachtet wiederholt demnach<lb/>
in ſeinen einzelnen Formen und Geſtaltungen bleibend gewiſſe Bil-<lb/>
dungsmomente, welche in den Embryonen im zuſammenhängenden<lb/>
Wechſel vor unſern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen<lb/>
Organen, an welchen die Entwickelungsgeſchichte dieſe vorübergehenden<lb/>
Phaſen der Bildung nachweiſt, läßt ſich die größere oder geringere<lb/>
Vollkommenheit des Thieres und ſein Rang in der Bildungsrichtung,<lb/>
der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. ſehen, daß die Wirbel-<lb/>ſäule des Säugethieres bei ihrem erſten Auftreten aus einem einfachen<lb/>
Knorpelſtabe beſteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, ſo werden wir<lb/>
denjenigen Fiſchen, welche im erwachſenen Zuſtande nur einen ſolchen<lb/>
Knorpelſtab beſitzen, einen ſehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe<lb/>
der Wirbelthiere überhaupt anweiſen müſſen.</p><lb/><p>Dasſelbe Geſetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt<lb/>
lebenden Schöpfung aufgeſtellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere<lb/>ſeine Anwendung, deren Reſte in dem Schooſe der Erde begraben<lb/>
liegen. Die Unterſuchung der Geſteinsſchichten, aus welchen die Rinde<lb/>
unſerer Erde zuſammengeſetzt iſt, weiſ’t nach, daß die Oberfläche<lb/>
unſeres Erdkörpers viele Geſchichtsperioden durchlaufen hat, in wel-<lb/>
chen unter ſich verſchiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; — eine<lb/>
allmählige Vervollkommnung der Geſchöpfe, welche nacheinander auf<lb/>
der Erde erſchienen und wieder untergingen, läßt ſich im Großen<lb/>
nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieſer Vervoll-<lb/>
kommnung verſchiedene Anſichten herrſchen können. Aus den vorhan-<lb/>
denen Thatſachen aber läßt ſich ſchon nachweiſen, daß dieſelben Typen,<lb/>
welche in unſerer jetzigen Schöpfung vorhanden ſind, in ihren An-<lb/>
fängen ſchon in der erſten Zeit der organiſchen Entwickelung auf der<lb/>
Erde vertreten waren und daß ſie durch analoge Stufen der Ausbil-<lb/>
dung hindurch gingen, wie diejenigen ſind, welche wir in der jetzigen<lb/>
Schöpfung und in den Metamorphoſen der werdenden Thiere erkennen.<lb/>
Dasſelbe Beiſpiel, welches wir ſoeben benutzten, können wir auch hier<lb/>
anwenden. Die älteſten Fiſche, welche in den unterſten Schichten ge-<lb/>
funden werden, beſitzen noch keine ausgebildete Wirbelſäule, ſondern<lb/>
an ihrer Statt einen Knorpelſtab, der in ähnlicher Weiſe gebildet iſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[18/0024]
Es geht ſchon aus dem Geſagten hervor, daß in den einzelnen
Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren
Abtheilungen des Thierreiches zuſammenſetzen, eine allmählige Evo-
lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein-
zelne Stadien auch in den verſchiedenen vorübergehenden Bildungs-
momenten der höher ſtehenden Embryonen erkannt werden können.
Das Thierreich in ſeiner Geſammtheit betrachtet wiederholt demnach
in ſeinen einzelnen Formen und Geſtaltungen bleibend gewiſſe Bil-
dungsmomente, welche in den Embryonen im zuſammenhängenden
Wechſel vor unſern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen
Organen, an welchen die Entwickelungsgeſchichte dieſe vorübergehenden
Phaſen der Bildung nachweiſt, läßt ſich die größere oder geringere
Vollkommenheit des Thieres und ſein Rang in der Bildungsrichtung,
der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. ſehen, daß die Wirbel-
ſäule des Säugethieres bei ihrem erſten Auftreten aus einem einfachen
Knorpelſtabe beſteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, ſo werden wir
denjenigen Fiſchen, welche im erwachſenen Zuſtande nur einen ſolchen
Knorpelſtab beſitzen, einen ſehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe
der Wirbelthiere überhaupt anweiſen müſſen.
Dasſelbe Geſetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt
lebenden Schöpfung aufgeſtellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere
ſeine Anwendung, deren Reſte in dem Schooſe der Erde begraben
liegen. Die Unterſuchung der Geſteinsſchichten, aus welchen die Rinde
unſerer Erde zuſammengeſetzt iſt, weiſ’t nach, daß die Oberfläche
unſeres Erdkörpers viele Geſchichtsperioden durchlaufen hat, in wel-
chen unter ſich verſchiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; — eine
allmählige Vervollkommnung der Geſchöpfe, welche nacheinander auf
der Erde erſchienen und wieder untergingen, läßt ſich im Großen
nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieſer Vervoll-
kommnung verſchiedene Anſichten herrſchen können. Aus den vorhan-
denen Thatſachen aber läßt ſich ſchon nachweiſen, daß dieſelben Typen,
welche in unſerer jetzigen Schöpfung vorhanden ſind, in ihren An-
fängen ſchon in der erſten Zeit der organiſchen Entwickelung auf der
Erde vertreten waren und daß ſie durch analoge Stufen der Ausbil-
dung hindurch gingen, wie diejenigen ſind, welche wir in der jetzigen
Schöpfung und in den Metamorphoſen der werdenden Thiere erkennen.
Dasſelbe Beiſpiel, welches wir ſoeben benutzten, können wir auch hier
anwenden. Die älteſten Fiſche, welche in den unterſten Schichten ge-
funden werden, beſitzen noch keine ausgebildete Wirbelſäule, ſondern
an ihrer Statt einen Knorpelſtab, der in ähnlicher Weiſe gebildet iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/24>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.