Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

genstandes eine mehr provisorische ist, die in jedem Augenblicke von
Grund aus durch neue Entdeckungen geändert werden kann. Die
verschiedene Umgränzung des Begriffes, welchen man mit dem Worte
"Würmer" überhaupt verbindet; die mannigfach verschiedenen Versuche
der Classification, welche von Zeit zu Zeit wiederholt werden, sind
sprechende Beweise für den Mangel an ausreichender Kenntniß in
diesem Felde. Wir machen überall die Erfahrung, daß bei mangel-
haftem Material die persönlichen Anschauungen und Ansichten in's
Unendliche wechseln, während bei gehöriger Kenntniß der Thatsachen
die Discussionen von selbst aufhören und ihre faktische Erledigung
finden.

Die Würmer zeichnen sich dem Kreise der Strahlthiere gegenüber
durch eine wesentlich symmetrische Anlage ihrer Organe aus.
Sie sind vollkommen nach bilateralem Typus gebaut. Eine senkrechte
durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt das Thier in zwei vollkom-
men gleiche Hälften. Die einfachen Organe liegen in der Mittellinie,
die mehrfach vorhandenen zu beiden Seiten meist in symmetrischer
Folge. Zwar finden Abweichungen von dieser Symmetrie statt, doch
sind dieselben nur selten und betreffen meist nur den Darmkanal und
die Geschlechtsorgane; zwei Organsysteme, welche überhaupt auch bei
sonst symmetrisch gebauten Thieren leicht eine Ausnahme zu machen
pflegen. Der Körper der Würmer ist bei dieser Symmetrie der Or-
gane meistens lang gestreckt und von oben abgeplattet, oft so ungemein
lang im Verhältniß zu der Breite, daß die Thiere wie schmale Bän-
der oder dünne Bindfaden aussehen. In den niedern Typen herrscht
meistens bei geringer Körperlänge mehr die Abplattung von oben vor,
so daß sie eine eiförmige Umgränzung des Körpers zeigen, während
bei den höhern Typen noch ein zweites charakteristisches Merkmal her-
vortritt, nämlich die Gliederung des Körpers in quere Ringe,
sogenannte Zoniten, die sich in fast vollkommener Gleichheit oft
hundertfach wiederholen. Diese quere Gliederung, welche wir noch
bei einem andern Kreise des Thierreiches, bei den Gliederthieren, eben-
falls mit strenger Symmetrie gepaart wahrnehmen, ist entweder Resultat
einer Art von embryonaler Knospung, wie namentlich bei den höheren Rin-
gelwürmern, oder die Folge einer unvollständigen Knospung, welche
während des ganzen Lebens fortdauert, wie dies namentlich bei den
Bandwürmern der Fall ist. Aber auch in den höchsten Typen, bis
zu welchen sich die dem Kreise der Würmer angehörenden Thiere auf-
schwingen, trägt die Gliederung des Leibes insoferne den Stempel
der Unvollkommenheit, als die Glieder meistens unter sich gleich sind,

genſtandes eine mehr proviſoriſche iſt, die in jedem Augenblicke von
Grund aus durch neue Entdeckungen geändert werden kann. Die
verſchiedene Umgränzung des Begriffes, welchen man mit dem Worte
„Würmer“ überhaupt verbindet; die mannigfach verſchiedenen Verſuche
der Claſſification, welche von Zeit zu Zeit wiederholt werden, ſind
ſprechende Beweiſe für den Mangel an ausreichender Kenntniß in
dieſem Felde. Wir machen überall die Erfahrung, daß bei mangel-
haftem Material die perſönlichen Anſchauungen und Anſichten in’s
Unendliche wechſeln, während bei gehöriger Kenntniß der Thatſachen
die Discuſſionen von ſelbſt aufhören und ihre faktiſche Erledigung
finden.

Die Würmer zeichnen ſich dem Kreiſe der Strahlthiere gegenüber
durch eine weſentlich ſymmetriſche Anlage ihrer Organe aus.
Sie ſind vollkommen nach bilateralem Typus gebaut. Eine ſenkrechte
durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt das Thier in zwei vollkom-
men gleiche Hälften. Die einfachen Organe liegen in der Mittellinie,
die mehrfach vorhandenen zu beiden Seiten meiſt in ſymmetriſcher
Folge. Zwar finden Abweichungen von dieſer Symmetrie ſtatt, doch
ſind dieſelben nur ſelten und betreffen meiſt nur den Darmkanal und
die Geſchlechtsorgane; zwei Organſyſteme, welche überhaupt auch bei
ſonſt ſymmetriſch gebauten Thieren leicht eine Ausnahme zu machen
pflegen. Der Körper der Würmer iſt bei dieſer Symmetrie der Or-
gane meiſtens lang geſtreckt und von oben abgeplattet, oft ſo ungemein
lang im Verhältniß zu der Breite, daß die Thiere wie ſchmale Bän-
der oder dünne Bindfaden ausſehen. In den niedern Typen herrſcht
meiſtens bei geringer Körperlänge mehr die Abplattung von oben vor,
ſo daß ſie eine eiförmige Umgränzung des Körpers zeigen, während
bei den höhern Typen noch ein zweites charakteriſtiſches Merkmal her-
vortritt, nämlich die Gliederung des Körpers in quere Ringe,
ſogenannte Zoniten, die ſich in faſt vollkommener Gleichheit oft
hundertfach wiederholen. Dieſe quere Gliederung, welche wir noch
bei einem andern Kreiſe des Thierreiches, bei den Gliederthieren, eben-
falls mit ſtrenger Symmetrie gepaart wahrnehmen, iſt entweder Reſultat
einer Art von embryonaler Knospung, wie namentlich bei den höheren Rin-
gelwürmern, oder die Folge einer unvollſtändigen Knospung, welche
während des ganzen Lebens fortdauert, wie dies namentlich bei den
Bandwürmern der Fall iſt. Aber auch in den höchſten Typen, bis
zu welchen ſich die dem Kreiſe der Würmer angehörenden Thiere auf-
ſchwingen, trägt die Gliederung des Leibes inſoferne den Stempel
der Unvollkommenheit, als die Glieder meiſtens unter ſich gleich ſind,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="170"/>
gen&#x017F;tandes eine mehr provi&#x017F;ori&#x017F;che i&#x017F;t, die in jedem Augenblicke von<lb/>
Grund aus durch neue Entdeckungen geändert werden kann. Die<lb/>
ver&#x017F;chiedene Umgränzung des Begriffes, welchen man mit dem Worte<lb/>
&#x201E;Würmer&#x201C; überhaupt verbindet; die mannigfach ver&#x017F;chiedenen Ver&#x017F;uche<lb/>
der Cla&#x017F;&#x017F;ification, welche von Zeit zu Zeit wiederholt werden, &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;prechende Bewei&#x017F;e für den Mangel an ausreichender Kenntniß in<lb/>
die&#x017F;em Felde. Wir machen überall die Erfahrung, daß bei mangel-<lb/>
haftem Material die per&#x017F;önlichen An&#x017F;chauungen und An&#x017F;ichten in&#x2019;s<lb/>
Unendliche wech&#x017F;eln, während bei gehöriger Kenntniß der That&#x017F;achen<lb/>
die Discu&#x017F;&#x017F;ionen von &#x017F;elb&#x017F;t aufhören und ihre fakti&#x017F;che Erledigung<lb/>
finden.</p><lb/>
        <p>Die Würmer zeichnen &#x017F;ich dem Krei&#x017F;e der Strahlthiere gegenüber<lb/>
durch eine we&#x017F;entlich <hi rendition="#g">&#x017F;ymmetri&#x017F;che Anlage ihrer Organe</hi> aus.<lb/>
Sie &#x017F;ind vollkommen nach bilateralem Typus gebaut. Eine &#x017F;enkrechte<lb/>
durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt das Thier in zwei vollkom-<lb/>
men gleiche Hälften. Die einfachen Organe liegen in der Mittellinie,<lb/>
die mehrfach vorhandenen zu beiden Seiten mei&#x017F;t in &#x017F;ymmetri&#x017F;cher<lb/>
Folge. Zwar finden Abweichungen von die&#x017F;er Symmetrie &#x017F;tatt, doch<lb/>
&#x017F;ind die&#x017F;elben nur &#x017F;elten und betreffen mei&#x017F;t nur den Darmkanal und<lb/>
die Ge&#x017F;chlechtsorgane; zwei Organ&#x017F;y&#x017F;teme, welche überhaupt auch bei<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ymmetri&#x017F;ch gebauten Thieren leicht eine Ausnahme zu machen<lb/>
pflegen. Der Körper der Würmer i&#x017F;t bei die&#x017F;er Symmetrie der Or-<lb/>
gane mei&#x017F;tens lang ge&#x017F;treckt und von oben abgeplattet, oft &#x017F;o ungemein<lb/>
lang im Verhältniß zu der Breite, daß die Thiere wie &#x017F;chmale Bän-<lb/>
der oder dünne Bindfaden aus&#x017F;ehen. In den niedern Typen herr&#x017F;cht<lb/>
mei&#x017F;tens bei geringer Körperlänge mehr die Abplattung von oben vor,<lb/>
&#x017F;o daß &#x017F;ie eine eiförmige Umgränzung des Körpers zeigen, während<lb/>
bei den höhern Typen noch ein zweites charakteri&#x017F;ti&#x017F;ches Merkmal her-<lb/>
vortritt, nämlich die <hi rendition="#g">Gliederung</hi> des Körpers in <hi rendition="#g">quere Ringe</hi>,<lb/>
&#x017F;ogenannte <hi rendition="#g">Zoniten</hi>, die &#x017F;ich in fa&#x017F;t vollkommener Gleichheit oft<lb/>
hundertfach wiederholen. Die&#x017F;e quere Gliederung, welche wir noch<lb/>
bei einem andern Krei&#x017F;e des Thierreiches, bei den Gliederthieren, eben-<lb/>
falls mit &#x017F;trenger Symmetrie gepaart wahrnehmen, i&#x017F;t entweder Re&#x017F;ultat<lb/>
einer Art von embryonaler Knospung, wie namentlich bei den höheren Rin-<lb/>
gelwürmern, oder die Folge einer unvoll&#x017F;tändigen Knospung, welche<lb/>
während des ganzen Lebens fortdauert, wie dies namentlich bei den<lb/>
Bandwürmern der Fall i&#x017F;t. Aber auch in den höch&#x017F;ten Typen, bis<lb/>
zu welchen &#x017F;ich die dem Krei&#x017F;e der Würmer angehörenden Thiere auf-<lb/>
&#x017F;chwingen, trägt die Gliederung des Leibes in&#x017F;oferne den Stempel<lb/>
der Unvollkommenheit, als die Glieder mei&#x017F;tens unter &#x017F;ich gleich &#x017F;ind,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] genſtandes eine mehr proviſoriſche iſt, die in jedem Augenblicke von Grund aus durch neue Entdeckungen geändert werden kann. Die verſchiedene Umgränzung des Begriffes, welchen man mit dem Worte „Würmer“ überhaupt verbindet; die mannigfach verſchiedenen Verſuche der Claſſification, welche von Zeit zu Zeit wiederholt werden, ſind ſprechende Beweiſe für den Mangel an ausreichender Kenntniß in dieſem Felde. Wir machen überall die Erfahrung, daß bei mangel- haftem Material die perſönlichen Anſchauungen und Anſichten in’s Unendliche wechſeln, während bei gehöriger Kenntniß der Thatſachen die Discuſſionen von ſelbſt aufhören und ihre faktiſche Erledigung finden. Die Würmer zeichnen ſich dem Kreiſe der Strahlthiere gegenüber durch eine weſentlich ſymmetriſche Anlage ihrer Organe aus. Sie ſind vollkommen nach bilateralem Typus gebaut. Eine ſenkrechte durch die Mittellinie gelegte Ebene theilt das Thier in zwei vollkom- men gleiche Hälften. Die einfachen Organe liegen in der Mittellinie, die mehrfach vorhandenen zu beiden Seiten meiſt in ſymmetriſcher Folge. Zwar finden Abweichungen von dieſer Symmetrie ſtatt, doch ſind dieſelben nur ſelten und betreffen meiſt nur den Darmkanal und die Geſchlechtsorgane; zwei Organſyſteme, welche überhaupt auch bei ſonſt ſymmetriſch gebauten Thieren leicht eine Ausnahme zu machen pflegen. Der Körper der Würmer iſt bei dieſer Symmetrie der Or- gane meiſtens lang geſtreckt und von oben abgeplattet, oft ſo ungemein lang im Verhältniß zu der Breite, daß die Thiere wie ſchmale Bän- der oder dünne Bindfaden ausſehen. In den niedern Typen herrſcht meiſtens bei geringer Körperlänge mehr die Abplattung von oben vor, ſo daß ſie eine eiförmige Umgränzung des Körpers zeigen, während bei den höhern Typen noch ein zweites charakteriſtiſches Merkmal her- vortritt, nämlich die Gliederung des Körpers in quere Ringe, ſogenannte Zoniten, die ſich in faſt vollkommener Gleichheit oft hundertfach wiederholen. Dieſe quere Gliederung, welche wir noch bei einem andern Kreiſe des Thierreiches, bei den Gliederthieren, eben- falls mit ſtrenger Symmetrie gepaart wahrnehmen, iſt entweder Reſultat einer Art von embryonaler Knospung, wie namentlich bei den höheren Rin- gelwürmern, oder die Folge einer unvollſtändigen Knospung, welche während des ganzen Lebens fortdauert, wie dies namentlich bei den Bandwürmern der Fall iſt. Aber auch in den höchſten Typen, bis zu welchen ſich die dem Kreiſe der Würmer angehörenden Thiere auf- ſchwingen, trägt die Gliederung des Leibes inſoferne den Stempel der Unvollkommenheit, als die Glieder meiſtens unter ſich gleich ſind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/176
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/176>, abgerufen am 21.11.2024.