Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1232.001 §. 853. pvi_1232.0171. Die, der musikalischen Wirkung verwandteren, Formen der subjectiven pvi_1232.018 1. Man begreift unter dem Figürlichen öfters auch das Tropische, in pvi_1232.027
pvi_1232.001 §. 853. pvi_1232.0171. Die, der musikalischen Wirkung verwandteren, Formen der subjectiven pvi_1232.018 1. Man begreift unter dem Figürlichen öfters auch das Tropische, in pvi_1232.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0094" n="1232"/><lb n="pvi_1232.001"/> aus: selbst die fühllosen Brände des Kamins, bei dem die Königin seinen <lb n="pvi_1232.002"/> beklagenswerthen Fall erzähle, werden mitleidsvoll das Feuer ausweinen und <lb n="pvi_1232.003"/> theils in Asche, theils kohlschwarz um die Entsetzung eines ächten Königs <lb n="pvi_1232.004"/> trauern. Shakespeare fühlte hier gewiß das Kindische und wollte es, ohne <lb n="pvi_1232.005"/> daß er darum ganz entschuldigt wäre. Noch weniger ist die Uebertragung <lb n="pvi_1232.006"/> eines an sich schon hyperbolischen Bilds in ein weiteres, das dann ganz <lb n="pvi_1232.007"/> absurd wieder einen eigentlichen Zug vom Verglichenen aufnimmt, durch <lb n="pvi_1232.008"/> die Situation entschuldigt in der Stelle von Romeo und Julie, wo dieser <lb n="pvi_1232.009"/> schwört, wenn er Rosalinden verlasse, so sollen seine Thränen Feuer werden <lb n="pvi_1232.010"/> und nachdem sie so oft (in ihrer eigenen Fluth) ertränkt waren und doch <lb n="pvi_1232.011"/> nicht sterben konnten, nun für ihre Lüge als durchsichtige (!) Ketzer verbrannt <lb n="pvi_1232.012"/> werden. Wir werden jedoch am Folgenden zeigen, daß manche <lb n="pvi_1232.013"/> Bilder Shakespeare's, welche die Phantasielosigkeit noch heute für geschmacklos <lb n="pvi_1232.014"/> erklärt, nicht nur keiner Entschuldigung bedürfen, sondern vielmehr die <lb n="pvi_1232.015"/> höchste Bewunderung verdienen.</hi> </p> </div> <lb n="pvi_1232.016"/> <div n="4"> <p> <hi rendition="#c">§. 853.</hi> </p> <lb n="pvi_1232.017"/> <note place="left">1.</note> <p> Die, der musikalischen Wirkung verwandteren, Formen der subjectiven <lb n="pvi_1232.018"/> Belebung (vergl. §. 851) sind die sogenannten <hi rendition="#g">Redefiguren:</hi> Bewegungslinien <lb n="pvi_1232.019"/> der <hi rendition="#g">Stimmung,</hi> wie sich solche in der Sprache niederschlagen. Ein <lb n="pvi_1232.020"/> Theil derselben liegt näher an der Grenze der objectiven Veranschaulichung <lb n="pvi_1232.021"/> theils durch bildlichen Charakter, theils durch Aufnahme der Redeformen der <lb n="pvi_1232.022"/> Handlung; ein anderer enthält die Unterschiede der Fülle und Enge, des <lb n="pvi_1232.023"/> Anschwellens und Abschwellens im Flusse der Empfindung, ein anderer die <lb n="pvi_1232.024"/> <note place="left">2.</note>Jntensitäts-Unterschiede des einzelnen Moments. Dem eigentlich Musikalischen <lb n="pvi_1232.025"/> nähert sich die dichterische Sprache durch <hi rendition="#g">Klangnachahmung.</hi></p> <lb n="pvi_1232.026"/> <p> <hi rendition="#et"> 1. Man begreift unter dem Figürlichen öfters auch das Tropische, in <lb n="pvi_1232.027"/> genauerer Unterscheidung bezieht sich aber der Begriff des anschaulichen <lb n="pvi_1232.028"/> Bildes, der hier in <hi rendition="#aq">figura</hi> liegt, nicht auf ein festes Object, das dem innern <lb n="pvi_1232.029"/> Auge gegenübertritt, sondern auf die Linien der Sprachbewegung als Ausdruck <lb n="pvi_1232.030"/> der Stimmung: die Wissenschaft versucht mit dieser Bestimmung ein <lb n="pvi_1232.031"/> Aehnliches, wie die Zeichnung, wenn sie die Bewegungen eines Tanzes <lb n="pvi_1232.032"/> durch die Figur auf der horizontalen Fläche darstellt, nur daß die Abstraction <lb n="pvi_1232.033"/> vom Dichter, der Versuch, die Formen seiner Rede ohne den wirklichen Jnhalt <lb n="pvi_1232.034"/> des einzelnen Zusammenhanges zu fixiren und aufzuzählen, ein ungleich <lb n="pvi_1232.035"/> härterer, mühsamerer und durch das Unbestimmbare der freien Bewegung <lb n="pvi_1232.036"/> mangelhafterer Act ist, als dort die Abstraction vom Tänzer. Der §. sucht <lb n="pvi_1232.037"/> einige Ordnung in die bisher durchaus verworren aufgehäufte Masse zu <lb n="pvi_1232.038"/> bringen durch die aufgestellte Eintheilung. Demnach unterscheidet sich zuerst </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1232/0094]
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aus: selbst die fühllosen Brände des Kamins, bei dem die Königin seinen pvi_1232.002
beklagenswerthen Fall erzähle, werden mitleidsvoll das Feuer ausweinen und pvi_1232.003
theils in Asche, theils kohlschwarz um die Entsetzung eines ächten Königs pvi_1232.004
trauern. Shakespeare fühlte hier gewiß das Kindische und wollte es, ohne pvi_1232.005
daß er darum ganz entschuldigt wäre. Noch weniger ist die Uebertragung pvi_1232.006
eines an sich schon hyperbolischen Bilds in ein weiteres, das dann ganz pvi_1232.007
absurd wieder einen eigentlichen Zug vom Verglichenen aufnimmt, durch pvi_1232.008
die Situation entschuldigt in der Stelle von Romeo und Julie, wo dieser pvi_1232.009
schwört, wenn er Rosalinden verlasse, so sollen seine Thränen Feuer werden pvi_1232.010
und nachdem sie so oft (in ihrer eigenen Fluth) ertränkt waren und doch pvi_1232.011
nicht sterben konnten, nun für ihre Lüge als durchsichtige (!) Ketzer verbrannt pvi_1232.012
werden. Wir werden jedoch am Folgenden zeigen, daß manche pvi_1232.013
Bilder Shakespeare's, welche die Phantasielosigkeit noch heute für geschmacklos pvi_1232.014
erklärt, nicht nur keiner Entschuldigung bedürfen, sondern vielmehr die pvi_1232.015
höchste Bewunderung verdienen.
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§. 853.
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Die, der musikalischen Wirkung verwandteren, Formen der subjectiven pvi_1232.018
Belebung (vergl. §. 851) sind die sogenannten Redefiguren: Bewegungslinien pvi_1232.019
der Stimmung, wie sich solche in der Sprache niederschlagen. Ein pvi_1232.020
Theil derselben liegt näher an der Grenze der objectiven Veranschaulichung pvi_1232.021
theils durch bildlichen Charakter, theils durch Aufnahme der Redeformen der pvi_1232.022
Handlung; ein anderer enthält die Unterschiede der Fülle und Enge, des pvi_1232.023
Anschwellens und Abschwellens im Flusse der Empfindung, ein anderer die pvi_1232.024
Jntensitäts-Unterschiede des einzelnen Moments. Dem eigentlich Musikalischen pvi_1232.025
nähert sich die dichterische Sprache durch Klangnachahmung.
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1. Man begreift unter dem Figürlichen öfters auch das Tropische, in pvi_1232.027
genauerer Unterscheidung bezieht sich aber der Begriff des anschaulichen pvi_1232.028
Bildes, der hier in figura liegt, nicht auf ein festes Object, das dem innern pvi_1232.029
Auge gegenübertritt, sondern auf die Linien der Sprachbewegung als Ausdruck pvi_1232.030
der Stimmung: die Wissenschaft versucht mit dieser Bestimmung ein pvi_1232.031
Aehnliches, wie die Zeichnung, wenn sie die Bewegungen eines Tanzes pvi_1232.032
durch die Figur auf der horizontalen Fläche darstellt, nur daß die Abstraction pvi_1232.033
vom Dichter, der Versuch, die Formen seiner Rede ohne den wirklichen Jnhalt pvi_1232.034
des einzelnen Zusammenhanges zu fixiren und aufzuzählen, ein ungleich pvi_1232.035
härterer, mühsamerer und durch das Unbestimmbare der freien Bewegung pvi_1232.036
mangelhafterer Act ist, als dort die Abstraction vom Tänzer. Der §. sucht pvi_1232.037
einige Ordnung in die bisher durchaus verworren aufgehäufte Masse zu pvi_1232.038
bringen durch die aufgestellte Eintheilung. Demnach unterscheidet sich zuerst
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