pvi_1165.001 als solches gibt nie ein eigentliches Dieses, ein empirisch Einzelnes an, pvi_1165.002 denn das Erzeugen von Lautzeichen, wodurch jedes Object ohne sinnliche pvi_1165.003 Aufweisung kennbar gemacht wird, setzt ja eben voraus, daß durch Zusammenfassung pvi_1165.004 der Vielheit empirischer Jndividuen der Begriff, das Allgemeine pvi_1165.005 gebildet sei, und der ursprüngliche symbolisch bildliche Charakter der Laute pvi_1165.006 und Schriftzeichen ist in der entwickelten Sprache nothwendig und mit Recht pvi_1165.007 vergessen, dem reinen Mechanismus gewohnter Verknüpfung des Jnhalts pvi_1165.008 mit dem Worte gewichen. Allein die Abstraction des Denkens, wie es sich pvi_1165.009 in der Sprache darstellt, ist keine absolute: die Einbildungskraft begleitet pvi_1165.010 sie und erzeugt sich einen Auszug aus der unbestimmten Vielheit des Einzelnen, pvi_1165.011 ein Bild der Gattung, das nun den Begriff derselben, wie er im pvi_1165.012 Wort als mechanisirtem Zeichen gegeben ist, umschwebt: was man in der pvi_1165.013 Psychologie Denkbild genannt hat. Die Selbstbeobachtung sagt Jedem, pvi_1165.014 daß mit dem Worte, wie es vernommen oder gelesen wird, eine sinnliche pvi_1165.015 Vorstellung vor seinem Jnnern steht, bei dem Wort Mann ein Mann, pvi_1165.016 Baum ein Baum u. s. w. Der Dichter kann also mit dem Vehikel der pvi_1165.017 Sprache überhaupt auf das innere Schauen wirken, es hervorrufen, sie ist pvi_1165.018 sein elektrischer Telegraph, durch den er sein Bild zu dem hinüberströmen pvi_1165.019 läßt, für den er dichtet. Dieß bedarf allerdings einer eingreifenden näheren pvi_1165.020 Bestimmung. Jenes Denkbild, das mit dem vernommenen Worte wie pvi_1165.021 durch einen Zauberschlag innerlich entsteht, hat an sich weder die Kraft der pvi_1165.022 Jdealität, noch der Jndividualität mit dem ästhetischen Bilde gemein, es ist pvi_1165.023 blaß, verschwommen und zur äußersten Unbestimmtheit zerfließt es bei den pvi_1165.024 Wörtern, welche abstracte Begriffe im engeren Sinne bezeichnen, obwohl pvi_1165.025 auch sie ursprünglich andere, concrete Bedeutung hatten. Die Aufgabe des pvi_1165.026 Dichters fällt in den Mittelpunct dieses Verhältnisses zwischen Sprache und pvi_1165.027 innerem Bild hinein: er hat die Sprache so zu verarbeiten, daß er das pvi_1165.028 Denkbild zum Jdealbild erhebt, dem ganz Abstracten seine Beziehung zum pvi_1165.029 Sinnlichen zurückgibt, ebensosehr aber, daß er in dieser Rückbildung zum pvi_1165.030 Sinnlichen und durch dieselbe die Energie des Allgemeinen vielmehr gerade verdoppelt. pvi_1165.031 Wie er dieß bewerkstelligt, welche Behandlung der Sprache dadurch pvi_1165.032 gefordert ist, dieß ist hier noch nicht weiter auszuführen, sondern zuerst nur pvi_1165.033 das Gewicht der Aufgabe an sich festzuhalten. Und es liegt darauf der pvi_1165.034 ganze Nachdruck eines Grundbegriffes: der Dichter hat Bilder, d. h. natürlich pvi_1165.035 nicht blos einzelne Gleichnisse, Metaphern u. s. w., sondern innere Anschauungen, pvi_1165.036 richtiger: eine ganze Anschauung zu geben. [Annotation]
Textebene Poetikentext, Explikationsebene theoretisch; Abgrenzung Vergleichung als Parallelkategorie
- Es erhellt nun, pvi_1165.037 daß, wenn man in der Poesie noch von einem Materiale sprechen kann, pvi_1165.038 dieß die Phantasie des Zuhörers ist. Jn §. 767, 2. ist dieß auch von der pvi_1165.039 Musik gesagt, aber durch 3. beschränkt: zwischen dem Künstler und dem Zuhörer pvi_1165.040 steht hier zwar kein Material mehr als firer Körper, sondern schwebt pvi_1165.041 nur ein Bewegtes, der Ton, aber er ist mehr, als bloßes Vehikel, er ist
pvi_1165.001 als solches gibt nie ein eigentliches Dieses, ein empirisch Einzelnes an, pvi_1165.002 denn das Erzeugen von Lautzeichen, wodurch jedes Object ohne sinnliche pvi_1165.003 Aufweisung kennbar gemacht wird, setzt ja eben voraus, daß durch Zusammenfassung pvi_1165.004 der Vielheit empirischer Jndividuen der Begriff, das Allgemeine pvi_1165.005 gebildet sei, und der ursprüngliche symbolisch bildliche Charakter der Laute pvi_1165.006 und Schriftzeichen ist in der entwickelten Sprache nothwendig und mit Recht pvi_1165.007 vergessen, dem reinen Mechanismus gewohnter Verknüpfung des Jnhalts pvi_1165.008 mit dem Worte gewichen. Allein die Abstraction des Denkens, wie es sich pvi_1165.009 in der Sprache darstellt, ist keine absolute: die Einbildungskraft begleitet pvi_1165.010 sie und erzeugt sich einen Auszug aus der unbestimmten Vielheit des Einzelnen, pvi_1165.011 ein Bild der Gattung, das nun den Begriff derselben, wie er im pvi_1165.012 Wort als mechanisirtem Zeichen gegeben ist, umschwebt: was man in der pvi_1165.013 Psychologie Denkbild genannt hat. Die Selbstbeobachtung sagt Jedem, pvi_1165.014 daß mit dem Worte, wie es vernommen oder gelesen wird, eine sinnliche pvi_1165.015 Vorstellung vor seinem Jnnern steht, bei dem Wort Mann ein Mann, pvi_1165.016 Baum ein Baum u. s. w. Der Dichter kann also mit dem Vehikel der pvi_1165.017 Sprache überhaupt auf das innere Schauen wirken, es hervorrufen, sie ist pvi_1165.018 sein elektrischer Telegraph, durch den er sein Bild zu dem hinüberströmen pvi_1165.019 läßt, für den er dichtet. Dieß bedarf allerdings einer eingreifenden näheren pvi_1165.020 Bestimmung. Jenes Denkbild, das mit dem vernommenen Worte wie pvi_1165.021 durch einen Zauberschlag innerlich entsteht, hat an sich weder die Kraft der pvi_1165.022 Jdealität, noch der Jndividualität mit dem ästhetischen Bilde gemein, es ist pvi_1165.023 blaß, verschwommen und zur äußersten Unbestimmtheit zerfließt es bei den pvi_1165.024 Wörtern, welche abstracte Begriffe im engeren Sinne bezeichnen, obwohl pvi_1165.025 auch sie ursprünglich andere, concrete Bedeutung hatten. Die Aufgabe des pvi_1165.026 Dichters fällt in den Mittelpunct dieses Verhältnisses zwischen Sprache und pvi_1165.027 innerem Bild hinein: er hat die Sprache so zu verarbeiten, daß er das pvi_1165.028 Denkbild zum Jdealbild erhebt, dem ganz Abstracten seine Beziehung zum pvi_1165.029 Sinnlichen zurückgibt, ebensosehr aber, daß er in dieser Rückbildung zum pvi_1165.030 Sinnlichen und durch dieselbe die Energie des Allgemeinen vielmehr gerade verdoppelt. pvi_1165.031 Wie er dieß bewerkstelligt, welche Behandlung der Sprache dadurch pvi_1165.032 gefordert ist, dieß ist hier noch nicht weiter auszuführen, sondern zuerst nur pvi_1165.033 das Gewicht der Aufgabe an sich festzuhalten. Und es liegt darauf der pvi_1165.034 ganze Nachdruck eines Grundbegriffes: der Dichter hat Bilder, d. h. natürlich pvi_1165.035 nicht blos einzelne Gleichnisse, Metaphern u. s. w., sondern innere Anschauungen, pvi_1165.036 richtiger: eine ganze Anschauung zu geben. [Annotation]
Textebene Poetikentext, Explikationsebene theoretisch; Abgrenzung Vergleichung als Parallelkategorie
– Es erhellt nun, pvi_1165.037 daß, wenn man in der Poesie noch von einem Materiale sprechen kann, pvi_1165.038 dieß die Phantasie des Zuhörers ist. Jn §. 767, 2. ist dieß auch von der pvi_1165.039 Musik gesagt, aber durch 3. beschränkt: zwischen dem Künstler und dem Zuhörer pvi_1165.040 steht hier zwar kein Material mehr als firer Körper, sondern schwebt pvi_1165.041 nur ein Bewegtes, der Ton, aber er ist mehr, als bloßes Vehikel, er ist
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[1165/0027]
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als solches gibt nie ein eigentliches Dieses, ein empirisch Einzelnes an, pvi_1165.002
denn das Erzeugen von Lautzeichen, wodurch jedes Object ohne sinnliche pvi_1165.003
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ein Bild der Gattung, das nun den Begriff derselben, wie er im pvi_1165.012
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daß mit dem Worte, wie es vernommen oder gelesen wird, eine sinnliche pvi_1165.015
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Baum ein Baum u. s. w. Der Dichter kann also mit dem Vehikel der pvi_1165.017
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sein elektrischer Telegraph, durch den er sein Bild zu dem hinüberströmen pvi_1165.019
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richtiger: eine ganze Anschauung zu geben. – Es erhellt nun, pvi_1165.037
daß, wenn man in der Poesie noch von einem Materiale sprechen kann, pvi_1165.038
dieß die Phantasie des Zuhörers ist. Jn §. 767, 2. ist dieß auch von der pvi_1165.039
Musik gesagt, aber durch 3. beschränkt: zwischen dem Künstler und dem Zuhörer pvi_1165.040
steht hier zwar kein Material mehr als firer Körper, sondern schwebt pvi_1165.041
nur ein Bewegtes, der Ton, aber er ist mehr, als bloßes Vehikel, er ist
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/27>, abgerufen am 16.07.2024.
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