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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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Wendungen auf ihren Wellen und sieht mit reiner Betrachtung pvi_1373.002
ihrem plätschernden Wellenspiele zu. Es sind vorzüglich die Jtaliener, die pvi_1373.003
uns diese Formen gebracht haben, und es verhält sich wie mit der Herrschaft pvi_1373.004
der melodischen Schönheit bei relativ verminderter Ausdruckstiefe in pvi_1373.005
ihrer Musik. Das deutsche Gemüth wird sich aber nie ganz frei und heimisch pvi_1373.006
in ihnen bewegen.

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2. Wir können in der unbestimmten Masse, die wir enger an die Grenze pvi_1373.008
der Prosa schieben, nur Eine benannte Form aufführen: das Epigramm. pvi_1373.009
Wenn alles Lyrische aus einer Situation entspringen soll, so gilt dieß vom pvi_1373.010
Epigramm in dem ganz speziellen Sinne, daß es auf ein einzelnes äußeres pvi_1373.011
Object gerichtet ist, dem der Dichter gegenübertritt, das er aber nicht in pvi_1373.012
das rein innere Leben des Gemüths umsetzt, sondern nur so weit auf das pvi_1373.013
Subjective bezieht, daß er einen schönen Gedanken darüber ausspricht, pvi_1373.014
und zwar ohne weitere Entwicklung, in schlagender Kürze. So ist die pvi_1373.015
Lyrik an ihrer Grenze noch einmal ganz punctuell, aber jetzt nicht mehr pvi_1373.016
rein empfindend und nicht mehr in den Ring der besonderen Stimmung pvi_1373.017
die Welt fassend, sondern Einzelnes durch einzelne Gedankenlichter beleuchtend; pvi_1373.018
es sind die zerstreuten erkaltenden Funken der Flamme, welche die pvi_1373.019
volle Lyrik in gedrängter Wärme zusammenhält; der Prozeß der Verklärung pvi_1373.020
der Welt im Subjecte hält eine Nach=ärndte, geht weit und breit in der pvi_1373.021
Welt um und wirft auf die einzelnen Dinge, ohne ihre Objectivität aufzuheben, pvi_1373.022
seine geistigen Blitze. Wir haben den Ausdruck gebraucht: schöner pvi_1373.023
Gedanke. Dieß heißt nicht nur ein Gedanke von reinem, edlem Gehalte, pvi_1373.024
sondern ein solcher, der im idealen Gefühls-Element empfangen und geeignet pvi_1373.025
ist, von ihm umfangen zu bleiben. Wir schließen damit das Epigramm, pvi_1373.026
das eine satyrische Spitze hat, vom gegenwärtigen Zusammenhang pvi_1373.027
aus; es gehört mit allem Satyrischen in den Anhang. Das Gefühls= pvi_1373.028
Element hat seinen Anhalt darin, daß das Epigramm ein gegebenes Object pvi_1373.029
zum unmittelbaren Ausgangspunct hat, das geeignet sein muß, unmittelbar pvi_1373.030
in einen Stimmungszustand zu versetzen, aus dem sich eine bedeutende Betrachtung pvi_1373.031
entwickelt. Es ist ursprünglich bestimmt, dem Gegenstand als Aufschrift pvi_1373.032
zu dienen, der also ein sinnlich gegebener ist, dieses Band löst sich, pvi_1373.033
es genügt, daß der Gegenstand der Vorstellung gegeben sei, wenn er nur pvi_1373.034
den Charakter eines vorgefundenen, Erlebten hat, woran sich tiefe Lebensbeziehungen pvi_1373.035
knüpfen. Daraus ergibt sich die Art der Composition im Epigramm: pvi_1373.036
es erregt zuerst durch Nennung des Objects, Anlasses eine kurze pvi_1373.037
Erwartung, dann läßt es in rascher Wendung den Aufschluß, die Pointe pvi_1373.038
hervorspringen. Der Uebergang in die satyrisch witzige Form liegt daher pvi_1373.039
nahe genug, man kann aber von einem Witze des schönen Gedankens reden pvi_1373.040
und dabei die Satyre noch völlig ausschließen. Wir verweisen auf die pvi_1373.041
unendlichen schönen Epigramme der Alten, unter den Neueren nur auf einen

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Wendungen auf ihren Wellen und sieht mit reiner Betrachtung pvi_1373.002
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in ihnen bewegen.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/235>, abgerufen am 21.11.2024.