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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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der dramatische, in sie verwandelt; Momente der Handlung sind zwischen pvi_1363.002
den Reden verschwiegen, es ist vorausgesetzt, daß man sie sich vorstelle, die pvi_1363.003
Anschauung derselben aus dem Gesprochenen sich erzeuge, wie im Drama, pvi_1363.004
sofern die Schauspielkunst es nicht ergänzt. Jn der bekannten schottischen pvi_1363.005
Ballade Eduard ist z. B. nicht erzählt, daß der Mörder mit blutigem pvi_1363.006
Schwerte vor seine Mutter tritt, es geht sogleich aus der Anrede hervor: pvi_1363.007
"warum ist dein Schwert von Blut so roth?" Jn diesem Ueberspringen, pvi_1363.008
Ahnenlassen liegt etwas Banges und so ist mit solchem Style auch die pvi_1363.009
Neigung zu tragischen Stoffen gegeben; man kann sagen, daß das Nibelungenlied pvi_1363.010
in seiner Stimmung als tragisches Epos eben zugleich mehr pvi_1363.011
balladenartig sei, als das Homerische Heldengedicht, und es ist merkwürdig, pvi_1363.012
daß in England zu der Zeit von Shakespeare's Auftreten beliebte Volksballaden pvi_1363.013
den Stoff zu manchen Dramen gaben. Doch wurden auch heitere pvi_1363.014
Balladen zu Komödien verwendet, und unser Satz will nicht sagen, daß die pvi_1363.015
Ballade nothwendig tragisch sei, so wenig, als der Romanze blos heiterer pvi_1363.016
Jnhalt zugeschrieben werden soll. Ja der Ballade sagt ausdrücklich auch das pvi_1363.017
Komische zu, denn die subjectivere Durchschüttlung des Objectiven erzeugt pvi_1363.018
mit ihren raschen Beleuchtungen den komischen Contrast, wie den erhabenen. pvi_1363.019
Die vordrängenden Jamben und Anapäste, welche namentlich die schottische, pvi_1363.020
englische Ballade liebt, entsprechen dieser springenden nordischen Unruhe, wie pvi_1363.021
die fallenden Trochäen der romanischen Ebenmäßigkeit und stetigeren Beleuchtung pvi_1363.022
der Dinge, aber der relative Fortbestand des innern Gegensatzes pvi_1363.023
innerhalb einer National-Literatur kann nicht weiter nur an diese Formen pvi_1363.024
gebunden sein. Auch die Neigung zum Geisterhaften, die jenem helldunkeln pvi_1363.025
Tone näher liegt, als diesem klaren, hängt mit unheimlich düsterem Jnhalt pvi_1363.026
zwar gerne, doch nicht schlechtweg zusammen, die wunderbaren Mächte pvi_1363.027
können auch neckisch, hülfreich wirken. Selbst die reinste, anmuthvolle pvi_1363.028
Heiterkeit des Jnhalts hebt den Balladencharakter nicht auf: der Junggesell pvi_1363.029
und der Mühlbach, der Edelknabe und die Müllerinn von Göthe weisen sich pvi_1363.030
durch die völlige Versenkung des Gefühls in den Stoff, die ihn dialogisch pvi_1363.031
selbst sprechen läßt und alle Mittelglieder überspringt, noch genugsam als pvi_1363.032
Balladen aus. - Es ist aber noch eine andere Seite des Unterschieds pvi_1363.033
hervorzuheben, die dem Bisherigen auf den ersten Blick zu widersprechen pvi_1363.034
scheint. Viele spanische Romanzen sind von der Art, daß sie den Schritt pvi_1363.035
zum Epischen, d. h. jetzt zunächst einfach zum Erzählen, nur halb vollziehen: pvi_1363.036
der Dichter redet seine Personen an, spricht sein Gefühl über sie, über ihr pvi_1363.037
Schicksal direct aus, erzählt im Präsens und gibt oft statt einer ganzen pvi_1363.038
Begebenheit nur eine Situation. Man lese nun von Uhland: der Traum, pvi_1363.039
Sängers Vorüberzieh'n, der nächtliche Ritter, der kastilische Ritter, S. Georgs pvi_1363.040
Ritter, Romanze vom kleinen Däumling, Ritter Paris, der Räuber und pvi_1363.041
was in der Sammlung folgt bis zu Bertran de Born, so wird man das

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der dramatische, in sie verwandelt; Momente der Handlung sind zwischen pvi_1363.002
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Ballade Eduard ist z. B. nicht erzählt, daß der Mörder mit blutigem pvi_1363.006
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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/225>, abgerufen am 21.11.2024.