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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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die Alten ihre Götter. Blumenwesen, Feuerwerk mit
Girandola, Musik, große Gugelfuhr. Wer war wohl
einst die heilige Rosalia? Geborene Minerva, Diana,
Juno? -- Es sind Kinder, enfants terribles, diese
guten Leute, gestehen nur ganz, sagen nur heraus,
was allerwärts nicht besser ist, nur anderswo mehr in¬
wendig stecken bleibt.


Immer mit einer wahren logischen Beunruhigung
lese ich die Urtheile der Römer und Griechen über das
Christenthum in seinen Anfängen. Es hat der Welt
eine neue Seele eingesetzt. Es ist Religion der Herz¬
lichkeit. Der Stifter war ein Mensch freien, wohl¬
wollenden, lichthellen Gemüths, will uns sanft, liebevoll,
verzeihend, gut. Das hatte keine der Naturreligionen,
es war ganz neu; was Plato, was Stoiker, was
jüdische Sekten lehrten, ist in Manchem verwandt, hat
vorbereitet, aber dieser Einheitspunkt, dieß vertiefte Herz
war das grundeigene Geheimniß des Mannes Jesus,
von dem wir so wenig Geschichtliches wissen; Berg¬
predigt -- himmlischen Geistes voll. Dazu ist gekommen
oder daraus hat sich entwickelt die richtende Einkehr des
Menschen in sich selbst, wie keine frühere Religion sie
hatte, Geist der sittlichen Selbstkritik, begreiflicherweise
zuerst zu negativ, finster dualistische Verwerfung der Sinn¬
lichkeit, doch auch so Grundlage für eine neue Ethik.


die Alten ihre Götter. Blumenweſen, Feuerwerk mit
Girandola, Muſik, große Gugelfuhr. Wer war wohl
einſt die heilige Roſalia? Geborene Minerva, Diana,
Juno? — Es ſind Kinder, enfants terribles, dieſe
guten Leute, geſtehen nur ganz, ſagen nur heraus,
was allerwärts nicht beſſer iſt, nur anderswo mehr in¬
wendig ſtecken bleibt.


Immer mit einer wahren logiſchen Beunruhigung
leſe ich die Urtheile der Römer und Griechen über das
Chriſtenthum in ſeinen Anfängen. Es hat der Welt
eine neue Seele eingeſetzt. Es iſt Religion der Herz¬
lichkeit. Der Stifter war ein Menſch freien, wohl¬
wollenden, lichthellen Gemüths, will uns ſanft, liebevoll,
verzeihend, gut. Das hatte keine der Naturreligionen,
es war ganz neu; was Plato, was Stoiker, was
jüdiſche Sekten lehrten, iſt in Manchem verwandt, hat
vorbereitet, aber dieſer Einheitspunkt, dieß vertiefte Herz
war das grundeigene Geheimniß des Mannes Jeſus,
von dem wir ſo wenig Geſchichtliches wiſſen; Berg¬
predigt — himmliſchen Geiſtes voll. Dazu iſt gekommen
oder daraus hat ſich entwickelt die richtende Einkehr des
Menſchen in ſich ſelbſt, wie keine frühere Religion ſie
hatte, Geiſt der ſittlichen Selbſtkritik, begreiflicherweiſe
zuerſt zu negativ, finſter dualiſtiſche Verwerfung der Sinn¬
lichkeit, doch auch ſo Grundlage für eine neue Ethik.


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[394/0407] die Alten ihre Götter. Blumenweſen, Feuerwerk mit Girandola, Muſik, große Gugelfuhr. Wer war wohl einſt die heilige Roſalia? Geborene Minerva, Diana, Juno? — Es ſind Kinder, enfants terribles, dieſe guten Leute, geſtehen nur ganz, ſagen nur heraus, was allerwärts nicht beſſer iſt, nur anderswo mehr in¬ wendig ſtecken bleibt. Immer mit einer wahren logiſchen Beunruhigung leſe ich die Urtheile der Römer und Griechen über das Chriſtenthum in ſeinen Anfängen. Es hat der Welt eine neue Seele eingeſetzt. Es iſt Religion der Herz¬ lichkeit. Der Stifter war ein Menſch freien, wohl¬ wollenden, lichthellen Gemüths, will uns ſanft, liebevoll, verzeihend, gut. Das hatte keine der Naturreligionen, es war ganz neu; was Plato, was Stoiker, was jüdiſche Sekten lehrten, iſt in Manchem verwandt, hat vorbereitet, aber dieſer Einheitspunkt, dieß vertiefte Herz war das grundeigene Geheimniß des Mannes Jeſus, von dem wir ſo wenig Geſchichtliches wiſſen; Berg¬ predigt — himmliſchen Geiſtes voll. Dazu iſt gekommen oder daraus hat ſich entwickelt die richtende Einkehr des Menſchen in ſich ſelbſt, wie keine frühere Religion ſie hatte, Geiſt der ſittlichen Selbſtkritik, begreiflicherweiſe zuerſt zu negativ, finſter dualiſtiſche Verwerfung der Sinn¬ lichkeit, doch auch ſo Grundlage für eine neue Ethik.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/407>, abgerufen am 18.05.2024.